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EU oder Russland? Kraftprobe in Moldawien

Durch die Ukrainekrise ist das kleine Land zwischen Rumänien und der Ukraine in den Fokus gerückt. Auch hier sind die Bewohner gespalten zwischen Ost und West, zwischen Befürwortern einer Annäherung an die EU und der Rückkehr in Moskaus Arme.

Von: Manuela Roppert

Stand: 31.05.2015 | Archiv

Leninstatue in Tiraspol | Bild: BR

Das Assoziierungsabkommen wurde schon unterzeichnet. Der Beitrittsantrag soll noch in diesem Jahr erfolgen. Doch Moldawien ist ein zerrissenes Land.

Nach einem blutigen Bürgerkrieg hat sich 1992 das überwiegend von Ukrainern und Russen bewohnte Transnistrien von der Zentralregierung losgesagt. Hier sind immer noch etwa 1.500 russische Soldaten stationiert. Ein erneutes Kräftemessen bahnt sich an.

Swetlana Gudumas mit dem Nachrichtensprecher im Studio

Zurechtgemacht wird sie wie ein Fernsehstar – Swetlana Gudumas arbeitet seit zwei Monaten beim öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Moldova 1. Sie ist froh über den neuen Job, aber mit dem Gehalt von umgerechnet 150 Euro kommt sie kaum über die Runden:

"Man kann davon leben, aber wir müssen auf sehr viel verzichten. Es ist sehr bitter, dass ich und viele andere, die eine gute Ausbildung haben, dazu gezwungen sind, ins Ausland zu gehen, nach Russland oder in die EU, und dort, obwohl wir eine langjährige Ausbildung hinter uns haben, Hilfsarbeiten ausüben, nur um zu überleben."

Swetlana Gudumas

Eigentlich ist Swetlana Logopädin. Jetzt dolmetscht sie die Hauptnachrichten des Senders für Gehörlose. Die Gebärdensprache hat sie gelernt, weil ihr Eltern beide gehörlos sind. Durch ihre Arbeit ist sie gut informiert: In mindestens der Hälfte der Meldungen, die Swetlana übersetzt, geht es um Korruption von Politikern und Beamten.

Ein Sonntagsausflug mit Sohn Gleb. Der Achtjährige hängt sehr an seiner Mutter, denn zwei Jahre lang hat er sie schmerzlich vermisst. Sie hat zusammen mit ihrem Mann in Moskau gearbeitet, damit sich die Familie eine größere Wohnung leisten kann und Gleb ein eigenes Zimmer bekommt. Doch dann wurde sie ausgewiesen.

Swetlana war mit einem Touristenvisum in Moskau und hat, wie viele andere Moldawier auch, dort illegal gearbeitet. Jahrelang haben das die russischen Behörden stillschweigend geduldet. Doch jetzt zieht der Kreml die Daumenschrauben an, nicht zuletzt um politischen Druck auszuüben.

Moldawien lebt überwiegend von der Landwirtschaft. Das Einfuhrverbot erst für Wein, dann für Obst, Gemüse und Fleisch nach Russland hat vielen Bauern die Existenzgrundlage genommen.

Sie suchen jetzt Arbeit im Ausland, so wie zuvor schon über die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung des Landes. Nicht nur in Cirnateni, einem Dorf eine Stunde südlich der Hauptstadt, leiden darunter vor allem die Kinder. Von den 600 Kindern, die hier leben, wachsen mehr als 300 ohne Eltern auf.

Irina Goland und Enkel Mihai

Irina Golan hat ihre drei Kinder alleine großgezogen, ihr Mann ist früh an einem Herzinfarkt verstorben. Jetzt kümmert sie sich um drei ihrer Enkel. Der 14-jährige Mihai geht ihr oft zur Hand. Der Junge fühlt sich einsam. Sein Vater hat die Familie verlassen und seine Mutter arbeitet in Moskau als Verkäuferin. Er sieht sie nur ein paar Mal im Jahr. Aber ohne das Geld, das sie nach Hause schickt, könnten sie nicht überleben. Die Großmutter bekommt nur eine Rente von umgerechnet 35 Euro.

Tiefe Furchen hat das harte Leben auf dem Land in Oma Irinas Gesicht hinterlassen. Früher hat sie in einer Kolchose geschuftet. Jetzt versucht die 59-jährige sich und die drei Enkel so gut es geht, selbst zu versorgen. Sie hat Hühner und Truthähne, eine Milchkuh und ein Kalb. Auf dem Feld baut sie Kartoffeln und Mohrrüben an. Da bleibt nicht mehr viel Zeit, um sich um Fjodor zu kümmern. Der Neunjährige leidet an einer Muskelschwäche in den Beinen. Gut, dass Tochter Oxana vor ein paar Tagen zu Besuch war und Geld dagelassen hat. Da kann Irina mit ihm nächste Woche zum Arzt gehen und vielleicht sogar neue Medikamente kaufen.

Schätzungsweise 250.000 Kinder in Moldawien müssen so wie Irinas Enkel ohne Vater oder Mutter bei Verwandten aufwachsen, weil die Eltern oft illegal im Ausland arbeiten und deswegen ihre Kinder nicht mitnehmen können.

Das Durchschnittseinkommen der Moldauer beträgt rund 175 Euro monatlich und liegt damit nicht viel höher als das Existenzminimum. Swetlana und ihr Mann verdienen zusammen zwischen 250 und 350 Euro monatlich, je nachdem ob der Arbeitsgeber des Mannes gerade genügend Aufträge hat. Damit kann die Familie keine großen Sprünge machen.

Die Plattenbauen im Nordwesten Chișinăus stammen überwiegend aus der Chruschtschow-Zeit. Hier haben sich Swetlana und ihr Mann eine 40-Quadratmeter-Wohnung gekauft und mussten dafür umgerechnet 5.000 Euro hinblättern. Für die Hälfte des Kaufpreises haben sie einen Kredit aufgenommen, den sie immer noch abbezahlen.

Der Untergang des sowjetischen Imperiums hat auch hier blutige Spuren hinterlassen. Um den schmalen Landstreifen am östlichen Ufer des Dnjestr ist Anfang der 90er Jahre ein Bürgerkrieg entbrannt. In der Industrieregion leben überwiegend Russen und russischsprachige Ukrainer.

Jetzt ist Transnistrien ein selbsternannter Staat mit einer halben Million Einwohner und erinnert an ein sowjetisches Freilichtmuseum. Als sich nach der Unabhängigkeit eine Annährung Moldawiens an Rumänien abzeichnete, forderten die Bewohner Transnistriens eine Vereinigung mit Russland. Der Konflikt führte zum Bürgerkrieg und schließlich zur Gründung einer eigenen, aber von keinem anderen Staat anerkannten Republik. Durch den Krieg in der Ostukraine fühlen sich die Menschen in Tiraspol an ihre eigene Geschichte erinnert und haben Angst davor, dass sie sich hier wiederholen könnte.

Wladimir Butschka

Die Union der Verteidiger Transnistriens setzt sich für die Rechte der Kämpfer von damals ein. Ihr Vorsitzender Wladimir Butschka macht die Aggressoren im Westen aus:

"Rumänien und Moldawien sollten uns besser nicht provozieren und die USA sollten nicht nach einem Vorwand suchen, um sich hier einzumischen und die Lage anzuheizen, wie schon an vielen anderen Orten. Die EU hält den Konflikt mit ihren Euros am Laufen."

Wladimir Butschka, Union der Verteidiger Transnistriens

Russland subventioniert Transnistrien mit kostenlosen Gaslieferungen. Dieser wirtschaftlichen Abhängigkeit ist man sich hier durchaus bewusst. Der Graben zwischen Transnistrien auf der einen und Moldawien auf der anderen Seite ist tief, auch wenn viele hier Verwandte und Freunde auf der anderen Seite haben.

Die flache eintönige Landschaft Moldawiens bietet wenig Spektakuläres, das Besucher ins Land locken könnte. Eine Ausnahme ist das Höhlenkloster Orheiul Vechi. Es wurde im 13. Jahrhundert von orthodoxen Mönchen gegründet. Die Klosterkirche wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut und war während der Sowjetzeit geschlossen. Das Kloster selbst wurde unterhalb dieses Glockenturms in den Felsen geschlagen. Seit Ende der 90er Jahre wohnen auch wieder einige Mönche hier. Moldawiens Zerrissenheit zwischen Ost und West spiegelt sich auch in der Kirche wieder. Die moldawisch-orthodoxe Kirche untersteht immer noch dem Moskauer Patriarchat. Anfang der 90er Jahre hat sich die an Rumänien orientierte bessarabisch-orthodoxe Kirche abgespalten. Ihr gehört inzwischen die Mehrheit der Gläubigen in der Republik Moldau an.

Wein war und ist Moldawiens wichtigstes Produkt. Der Rebensaft trägt ein Viertel zum Export des Landes bei. In der Weinkellerei Purcari werden eine Million Flaschen im Jahr abgefüllt. Sie ist die älteste des Landes und war während der Sowjetzeit ein Vorzeigebetrieb. Nach dem Auseinanderfallen des kommunistischen Riesenreichs, schien auch Purcari dem Untergang geweiht. Aber seit der Privatisierung floriert das Unternehmen wieder und beherrscht nun den Markt für gehobene Weine in Moldawien.

Bis vor kurzem war Russland ein wichtiger Abnehmer. Doch als zu Beginn der Ukrainekrise auch Moldawien seinen Kurs in Richtung EU verstärkte, verhängte der Kreml – nicht zum ersten Mal – ein Embargo gegen moldawische Weine. Doch dann kam die Rettung – ein Auftrag aus Norwegen.

Die Krise als Chance – inzwischen ist Rumänien der Hauptabnehmer der Weine aus Purcari, gefolgt von China, Polen, Tschechien und dem Baltikum.

Rumänien bietet einen einfachen Weg in die EU. Es verteilt großzügig rumänische Pässe an die Bürger der Republik Moldau. Die Regierung in Bukarest will so die Idee eines wiedervereinigten Großrumäniens wach halten.

Diese Strategie ist wenig hilfreich für das zerrissene Moldawien. Es muss seinen eigenen Weg finden und darf nicht länger Spielball Russlands oder einiger EU-Länder sein. Sonst driftet das Land noch weiter auseinander.

Der vorliegende Text ist eine stark gekürzte und redaktionell bearbeitete Fassung des Sendungsmanuskripts, das Sie hier unten auch herunterladen können.

Sendungsmanuskript zum Herunterladen Format: PDF Größe: 76,15 KB


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