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Pfui Deibel Die großen Lebensmittelskandale

Lebensmittelskandale sind wohl so alt wie die Menschheit: Strenge Vorschriften zu Nahrungsmitteln finden sich schon im "Codex Hammurapi", einer babylonischen Sammlung von Rechtssprüchen aus dem 17. Jahrhundert vor Chr. Und was hat’s gebracht?

Von:  Oliver Wittkowski

Stand: 14.06.2016

Hackfleisch aus dem Labor | Bild: picture-alliance/dpa

1958 klagte eine Sprecherin des Hausfrauenverbands: "Die Häufung der sogenannten Lebensmittelskandale in der allerletzten Zeit gibt natürlich allen Hausfrauen Anlass, mit großer Besorgnis an die alltäglichen Einkäufe für die Familie heranzugehen." Anlass dieser Klage: Der Nitrit-Skandal. Metzger benutzen reines Natrium-Nitrit, um Hackfleisch frischeverheißend zu röten. Schon zwei Gramm der hochgiftigen Chemikalie können tödlich sein. Schon damals ruft das in der Region Wutbürger auf den Plan. Ein Polizeibeamter verkündet im Fernsehen: "Zahllose Anrufer waren aufs höchste empört, und haben von mir die Namen der Stuttgarter Metzger verlangt, die dieses Nitritpökelsalz unzulässigerweise verwendet haben."

Känguru statt Wild in der Mainzer Landtagskantine

Der Beginn der Supermarkt- und Fertiggericht-Ära in den 1960er-Jahren befördert diskretere Schummeleien. Ein Reporter stöbert in der Welt der frühen "Convenience"-Produkte: "In der Kühltruhe der Kaufhäuser und in der Großfleischerei, wird – im Werbeslogan gesprochen – der fortschrittlichen Hausfrau das Leben leichter gemacht." Spricht’s und greift sich eine bereits fertiggestopfte Rinderroulade aus der Theke: "In einem Fleischwarenlabor ließen wir die Ware prüfen." Das Ergebnis: Der gewichtige Inhalt besteht größtenteils aus billigem Speck und anderen minderwertigen Schweineüberbleibseln. Das Urteil des frühen Marktcheckers: "Der Trick füllt die Ladenkasse. Am schlimmsten dabei ist, dass diese Täuschung in Fachkreisen mit dem Prädikat 'gewerbeüblich' bezeichnet wird."

"Gewerbeüblich" ist später noch ganz anderes: Ein Fleischkontrolleur aus Rheinland-Pfalz spricht über seine Erlebnisse 1981 bei der Wurstobservation: "Da waren dann Reste drin wie weiße Gummischürzen, und Ohrmarken von Kühen, wie Unrat, zusammengekehrt." Das werde dann geschreddert und ganz fein gemahlen – "bis es dann irgendwann zur Mettwurst wird."

Ebenso wird in dieser Zeit in der Trierer Grenzregion unter Mithilfe bestochener Veterinäre, tonnenweise Billigfleisch umetikettiert, mutiert gar zur Spezialität: Gipfel des Dramas, so ein in einem Bericht zur Lage damals: "Nicht einmal die Größen der Politik bleiben verschont: Als Wild getarnt landet Känguru sogar auf den Tellern der Mainzer Landtagskantine."

Frostschutzmittel im Wein, gepanschtes Bier

Am besten spült man solche kulinarischen Erlebnisse vielleicht  mit einem guten Tröpfchen runter. Aber Vorsicht: Weinskandal! 1985 kommen die Ergebnisse eines schon länger schwelenden Verdachts an die Öffentlichkeit: Österreichische Winzer nutzen zum Aromatisieren Glycol. Das steckt in ähnlicher Form auch im Frostschutzmittel, vergiftet Leber und Niere noch zuverlässiger als Alkohol. Auch deutsche Verschnittweine sind betroffen.  Ein Reporter ätzt: "Die Warnung auf der Frostschutzmitteldose aufs Weinetikett  zu übernehmen, dazu waren die Weinfälscher zu gerissen."

Also doch lieber ein lecker Bierchen? Nun ja, im selben Jahr: Bierskandal! Bei Laboruntersuchungen zu Schadstoffen im deutschen Reinheitsgebot-Vorzeigeprodukt "stellte sich heraus, dass eine Brauerei aus Mittelfranken, ihr Bier regelmäßig mit Bromessigsäure versetzt hatte, um es haltbarer zu machen.“ Keine gute Nachricht, denn "Bromessigsäureverbindungen waren im Ersten Weltkrieg als Giftkampfstoffe im Einsatz." Da bekommt der Begriff "Kampftrinken" doch eine ganz neue Bedeutung.

Die Zehn-Punkte-Pläne

Und seitdem? Salmonellen-, Fischwurm-, BSE-, Östrogen-, Antibiotika-, Nudel-, Gammelfleisch-, Babynahrung, Milch- Ei-, Eis-, Obst-, Erdbeer- Pestizid-, Vogelgrippe-Skandal und so weiter. 2006 spricht einer, der weiß, wann Schluss sein muss, das nötige Machtwort. Horst Seehofer fordert: "Kontrollen müssen stark verbessert werden in Deutschland." Der damalige Agrarminister legt einen Zehn-Punkte-Plan zur Lebensmittelkontrolle vor. Um den sich nachfolgende Dioxin-Skandale aber nicht scheren. 

Nachfolgerin Ilse Aigner präsentiert also 2011 daher wieder einen Zen-Punkte-Plan zur Lebensmittelsicherheit. Und nach dem Pferdefleischskandal 2013 kommt schon wieder der nächste – genau – Zehn-Punkte-Plan. Was wird’s wohl bringen? Schon beim Nitrit-Skandal in den 1950er-Jahren äußerte sich ein Experte dazu prophetisch: "Solange es Gesetze gibt, wird es auch Gesetzesübertretungen geben."

Buchtipp:

Lebensmittelüberwachung. Was uns Krisen lehren.
Alfred Meyer und Markus Möstl 
Verlag P.C.O. 2015


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