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Boomtown Ingolstadt Audi - Segen und Fluch der Stadt

Uns Bayern geht es gut: Die Wirtschaft floriert, wir haben eine niedrige Arbeitslosenquote. In ganz vielen Regionen brummt es richtig. Doch der Boom hat auch seine Schattenseiten. In Gegenden, in denen sich besonders viel Industrie angesiedelt hat, steigen nicht nur die Lebenshaltungskosten. Auch Facharbeiter werden händeringend gesucht. So ein Beispiel ist Ingolstadt. Licht und Schatten liegen da eng beieinander.

Von: Lisa Wurscher

Stand: 14.04.2016

Bommtown Ingolstadt | Bild: BR

Dieter Uhlmann schließt seine Schlosserei. Aufträge hätte er, aber er kann sie nicht mehr annehmen. Sechs seiner besten Kräfte haben gekündigt.

"Die sind zum Großteil leider in die Industrie abgewandert. Wir können halt schlicht und einfach mit den Löhnen nicht mithalten."

Dieter Uhlmann

Audi und Ingolstadt

Industrie ist in Ingolstadt ein Synonym für Audi: Mit 43.000 Mitarbeitern ist Audi der größte Arbeitgeber und gleichzeitig auch wichtiger Auftraggeber für mittelständische Betriebe. Dieter Uhlmann hat lange gut von und mit Audi gelebt. Den Wettbewerb um Fachkräfte allerdings hat er endgültig verloren.

"Dieses Problem haben sehr viele Handwerksbetriebe in unserer Region. Das ist klar. Audi ist ein sehr attraktiver Arbeitgeber und aufgrund dessen gehen sehr viele Leute zur Industrie. Das Problem ist, dass sehr ungern darüber gesprochen wird. Das ist auch kein Wunder. Ohne Audi geht in der Region sehr wenig und sehr viele Leute verdienen viel Geld mit Audi und man sägt halt ungern den Ast ab, auf dem man selbst sitzt. Das ist klar."

Dieter Uhlmann

Fachkräftemangel in ganz Bayern

In Ingolstadt mag der Kampf um Fachkräfte extrem sein – betroffen ist aber ganz Bayern: Laut Prognosen wird der Bedarf zwar langfristig etwas sinken – die Schere zwischen Angebot und Nachfrage aber wird immer größer. Aktuell können drei Prozent der Stellen nicht besetzt werden. 2020 werden es bereits sieben Prozent sein und 2030 sogar 12 Prozent.

Die meisten der ehemals 21 Schlosserei-Mitarbeiter haben bereits einen neuen Job gefunden. Nur der harte Kern ist noch da. Audi macht den Mittelständlern Konkurrenz:

"In den ersten Monaten kommt man schon mit Netto zwischen 2100 und 2300 Euro raus. Um draußen so viel Geld zu verdienen, muss man mindestens ein Meister sein."

Georg della Pietra

Viele Lebensbereiche werden von Audi beeinflusst

Beispiel: Wohnraum - die Nachfrage nach Wohnungen ist groß, das Angebot knapp. Ingolstadt wächst überdurchschnittlich. Wir begleiten einen Immobilienmakler. Für ihn und seine Kollegen wird es immer schwieriger, geeignete Objekte zu finden. Er zeigt uns eine 4-Zimmer-Wohnung, die erst seit wenigen Tagen leer steht. Stolze 12,70 Euro pro Quadratmeter Miete soll sie kosten. Die Immobilienpreise in Ingolstadt steigen seit Jahren konstant an. Mit durchschnittlich 3600 Euro pro Quadratmeter liegen sie bereits weit über dem deutschen Mittelwert. Ein Ende dieses Trends ist nicht abzusehen – und das stimmt selbst den Immobilienmakler inzwischen nachdenklich:

"Hier trifft arm auf reich mittlerweile. Audi mit seinen Arbeitsplätzen ist Segen und Fluch für die Stadt. Die, die dort sind, denen geht es gut. Die können sich so etwas hier noch leisten – aber die anderen, die schauen oftmals in die Röhre."

Horst Fechner/Immobilienmakler

Am Ende unserer Dreharbeiten fahren wir noch einmal in die Schlosserei. Der letzte Arbeitstag in einem Familienbetrieb mit mehr als 70 Jahren Geschichte.

"Ja, es war ehrlich gesagt keine leichte Zeit die letzten zwei, drei Jahre. Wir haben sehr viel gekämpft und jetzt ist es Gott sei Dank zu Ende."

Dieter Uhlmann

Haus und Grund konnte er verkaufen. Den Traditionsbetrieb mit seinem großen  Kundenstamm aber wollte niemand haben.


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