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Fernwärme Willkürlicher Monopolmissbrauch?

Jeder siebte Haushalt nutzt die umweltfreundliche Heizmethode Fernwärme. Doch weil es kein deutschlandweites Netz gibt, erlangen örtliche Versorger eine Monopolposition. Die Verbraucher sind Preissteigerungen ausgeliefert. Allerdings ist die rechtliche Lage schwierig, da eine Gesetzeslücke Fernwärme vom Monopolmissbrauch ausnimmt.

Von: Reinhard Weber

Stand: 06.12.2017

Fall in München | Bild: BR

Etwa jeder siebte Haushalt hängt an der Fernwärme. Sie fließt in Form von heißem Wasser durch regionale Netze in die Häuser. Eigentlich eine gute und umweltfreundliche Heizmethode. Doch eine deutschlandweite Durchleitung der Fernwärme gibt es nicht, es ist dafür kein Netz vorhanden und das Wasser würde auf langen Wegen zu viel Wärme verlieren. So bekommen die örtlichen Versorger eine Monopolposition. Und die nutzen immer mehr Anbieter aus und schröpfen ihre Kunden ab.

Der Fall Böblingen Stadt

Die Interessengemeinschaft Fernwärme in Böblingen.

Böblingen, ein Donnerstag, 18 Uhr. Treffen der Interessengemeinschaft Fernwärme. Seit zwei Jahren kämpfen die Vorstände des Vereins gegen aus ihrer Sicht drastische Preiserhöhungen der Stadtwerke für die örtliche Fernwärme. Rund 20.000 Bürger seien davon betroffen.

Einen aus der Runde, Peter Aue, besuchen wir zuhause. Seit er in den 1970er Jahren hier gebaut hat, bezieht er für sein Reihenmittelhaus Fernwärme von den Stadtwerken Böblingen. Die haben das Monopol auf das örtliche Versorgungsnetz. Im Sommer 2015 kam der Schock. Peter Aue sollte mit einem Mal wesentlich mehr bezahlen. Zum Jahreswechsel 2017 kam die nächste Erhöhung, unterm Strich sind es fast 83 Prozent mehr in nur zweieinhalb Jahren. Er soll statt der früher eher günstigen 85 Euro nun 157 Euro monatlichen Abschlag zahlen. Peter Aue findet das ungerecht: "Wir sind für Fernwärme, wir finden Fernwärme eine gute Lösung, wenn sie richtig eingesetzt wird, aber das kann natürlich nicht zur Geldmaschine für Monopolisten dienen."

Woher kommt die Fernwärme?

Von hier aus der Müllverbrennung Böblingen kommt der Großteil der Fernwärme für Peter Aue. Sie entsteht quasi als Abfallprodukt bei der Müllbeseitigung. Die Stadtwerke wollen daraus nun großen Gewinn schlagen, so der Vorwurf. Und die Preissprünge kamen kurz nach der Privatisierung zur gewinnorientierten GmbH. 59 Prozent gehören der Stadt, 41 Prozent hält jetzt das Energieunternehmen EnBW.

Anschluss- und Benutzungszwang

Bezieher von Fernwärme laufen Gefahr von einem Anbieter abhängig zu sein.

Peter Aue ist dem Unternehmen ausgeliefert. Denn sein Haus unterliegt einem sogenanntem Anschluss- und Benutzungszwang für Fernwärme. Er darf gar keine andere Heizung einbauen, es gibt keinen Kamin, keine Gasleitung, nichts, nur Fernwärme – zwangsweise. Und das im ganzen Viertel. Eine Situation, in die sich Peter Aue nicht mehr begeben würde: "Ich würde heute jemand, wenn er neu baut, empfehlen, nirgends zu bauen wo Fernwärme liegt, und Anschluss und Benutzungszwang ist." Von Peter Aue Luftlinie ein paar Kilometer weiter in einem anderen Ortsteil gibt es keinen Anschluss und Benutzungszwang. Kunden zahlen dort für die gleiche Fernwärme, geliefert über eine Tochtergesellschaft der Stadtwerke, zum Teil rund 30 Prozent weniger. Denn hier herrscht Wettbewerb mit den anderen Energieträgern Öl und Gas.

Externe Einschätzung

Geht es da mit rechten Dingen zu? Wir treffen Werner Dorß aus Frankfurt, Anwalt für Energierecht, der unter anderem Verbraucherzentralen in Sachen Fernwärme berät. Ihm legen wir den Böblinger Fall vor. Der Anwalt findet: "Die Preissprünge hier sind schon sehr erheblich, und man muss sagen, es gibt massive Anhaltspunkte für Monopolmissbrauch in diesem vorliegenden Fall."

Reaktion der Stadtwerke Böblingen

Wir fragen die Stadtwerke, ob sie mit den Preissteigerungen die Monopolsituation missbräuchlich ausnutzen? Schriftlich heißt es: "Der aktuelle Preis spiegelt die tatsächliche Kostenstruktur wider. … Die Stadtwerke Böblingen nutzen ihre Marktstellung keineswegs 'missbräuchlich' aus."

Andere Sichtweisen

Das sieht die Interessensgemeinschaft Fernwärme anders und hat inzwischen mit mehreren Anträgen erreicht, dass die Landeskartellbehörde Baden Württemberg ermittelt. Doch das Missbrauchsverfahren dauert an, ein Ergebnis wird erst kommendes Jahr vorliegen. Um Monopolmissbrauch generell zu unterbinden fordert die deutsche Immobilienwirtschaft in einem Positionspapier: "Der Anschluss- und Benutzungszwang gehört abgeschafft, da er entgegen allen Annahmen eine preistreibende Wirkung entfaltet und gesteigertes Missbrauchspotential enthält."

Die Situation in Deutschland

Werner Dorß, Anwalt für Energierecht

Werner Dorß, Anwalt für Energierecht: "Im Unterschied zu Böblingen gibt es auch positive Beispiele aus der Branche, so etwa im Rhein-Main-Gebiet, oder Berlin und Hamburg, Unternehmen, die seit über 100 Jahren ohne Anschluss- und Benutzungszwang auskommen. Und diesen auch nicht einfordern, sondern sogar vielmehr ablehnen." Leider ist das aber die Ausnahme. Denn: Werner Dorß, Anwalt für Energierecht: "Es ist ein Deutschlandweit zu beobachtendes Phänomen, dass es Preismissbrauch gibt, Anhaltspunkte für Monopolmissbrauch, überhöhte Preise, manches sieht auch fast nach Willkür aus."

Der Fall München

Wohnungseigentümer Reinhold Ruthner spricht mit Berater Wilhelm Madlener. Beide sind unzufrieden mit dem Ausgang ihrer Klage.

Ein Wohnblock in München. Der Berater Wilhelm Madlener engagiert sich immer noch für Reinhold Ruthner, den Beiratsvorsitzenden der Wohneigentümergemeinschaft, gegen zu hohe Fernwärmepreise. Und das obwohl gegen den Versorger Danpower bereits ein Missbrauchsverfahren vom Bundeskartellamt lief. Danpower musste daraufhin für den Untersuchungszeitraum 2010 bis 2012 etwa 11Prozent der berechneten Verbrauchskosten zurückerstatten. Gemessen an den damals geltenden ortsüblichen Preisen, ein schwacher Ausgleich für die gesamte Wohnanlage, erklärt Reinhold Ruthner, der Wohnungseigentümer: "Für drei Jahre ist ein bisschen was erstattet worden, 10.000 Euro, aber das ist auch viel zu wenig, das hätten 30.000 sein müssen."

Wie das? Das Kartellamt teilte den Betroffenen mit, der Sachverhalt wurde nicht ausermittelt. Es kam zu einer sogenannten Verständigungslösung. Außer der geringen Rückzahlung hat das Verfahren also nichts gebracht. Wilhelm Madlener, der Berater, erläutert warum: "Sie haben sich der Sache ja gar nicht angenommen, die Preise auf dem hohen Niveau laufen weiter, die sind überhaupt nicht gekappt worden für den Zeitraum danach." Also Danpower verlangt weiterhin die hohen Preise. Reinhold Ruthner ist nun vor Gericht gezogen. Die einzige Chance, sich dagegen zu wehren. Doch das kostet viel Nerven und Geld.

Die Lücke im §29 GWB

Eine Gesetzeslücke verhindert den Monopolmissbrauch bei Fernwärme nicht.

Dabei gibt es §29 im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen GWB. Der verbietet Energie-Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich auszunutzen. Doch das gilt seltsamerweise nur für Strom und Gas.

Werner Dorß, Anwalt für Energierecht, Frankfurt, meint dazu: "Fernwärme kommt ausdrücklich nicht vor, es gab mehrere Reformbestrebungen, das zu ändern und das auf Fernwärme auch auszuweiten, die sind buchstäblich im Sande verlaufen, das muss man wahrscheinlich dem Branchenverband mit seiner Lobbyarbeit zurechnen." Und tatsächlich: der Branchenverband AGFW rühmt sich auf seinen Internetseiten dafür, dass der § 29 GWB ohne Fernwärme verabschiedet wurde, mit den Worten:
"ist es dem AGFW gelungen, die Politik davon zu überzeugen."
Der Verband feiert das als "erneuter Etappensieg für die Branche".

Der Branchenverband AGFW betreibt Lobby-Arbeit in Berlin.

Kein Wunder: unter den Mitgliedern des Verbandes finden sich viele deutsche Stadtwerke.

Deren Chefs sind in der Regel die Stadtoberhäupter, und denen wollen die Parteikollegen in Berlin wohl nicht das Geschäft vermiesen.

Widerstand in Böblingen

Zurück nach Böblingen. Peter Aue zahlt die Preiserhöhungen einfach nicht, überweist den alten Betrag weiter. Peter Aue: "Wenn die Stadtwerke Böblingen von mir mehr Geld haben wollen, müssen sie mich vor Gericht ziehen." Doch bislang reagieren die Stadtwerke nicht darauf.


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