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Anlaufstelle für Eltern Mein Kind, der Islamist

Was tun, wenn sich das eigene Kind dem radikalen Islam zuwendet? Hilfe zu bekommen war bislang schwer. Doch nun gründet sich in Bayern eine spendenfinanzierte Anlaufstelle für gefährdete Jugendliche und ihre Angehörigen. Das ergaben Recherchen des BR.

Von: Joseph Röhmel

Stand: 07.08.2015 | Archiv

Salafisten  | Bild: picture-alliance/dpa

Ein Besuch in Kempten: Korhan Erdön sitzt an einem massiven Tisch, blättert in einem Fachbuch über Salafismus. Dieses Wissen braucht der 41-jährige Muslim. Künftig kümmert er sich als Berater in Bayern um Angehörige von Islamisten. Und er will verhindern, dass junge Menschen nach Syrien ausreisen, sich dem Islamischen Staat anschließen. Im Freistaat ist die Stelle bisher einmalig, aber offensichtlich dringend notwendig. Korhan Erdön hat das selbst als Vorsitzender der Kemptener Moschee erlebt:   

"Wir hier in Kempten haben eine offene Salafisten-Szene, die auch bekannt ist. Unsere Urbefürchtung war, dass unsere Jugendlichen von der Moschee irgendwann zu diesen Jugendlichen Kontakt haben. Da war einfach die Fragestellung: Wer kann uns helfen? Und es war eine gähnende Leere, leider."

VPN-Berater Korhan Erdön

Gewalt verhindern

Korhan Erdön arbeitet für das sogenannte Violence Prevention Network VPN. Der Verein arbeitet im gesamten süddeutschen Raum. Seit 2013 arbeitet er mit der Beratungsstelle Radikalisierung im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zusammen. Besorgte Eltern wenden sich über eine Hotline an das Bundesamt. Die VPN-Mitarbeiter kümmern sich dann um verzweifelte Eltern, die nicht weiter wissen, weil das Kind zum Islam konvertiert ist und nicht mehr mit ihnen reden will. Was bisher fehlt, ist jemand, der vor Ort in Bayern mit gefährdeten Jugendlichen zusammenarbeitet, sagt Geschäftsführer Thomas Mücke:

"Wir haben sehr oft Situationen, wo man auch direkt mit den betroffenen jungen Menschen arbeiten muss. Dazu hatten wir bisher nicht die Kapazitäten. Und wir haben sehr viel Aufklärungsbedarf auch im schulischen Bereich, wo nachgefragt wird, wo gesagt wird, das ist Thema, das ist Diskussion, wo man auch feststellt, es könnte sein, dass sich der Schüler, die Schülerin der Szene angeschlossen hat, dass da Unterstützung gebraucht wird."

VPN-Geschäftsführer Thomas Mücke

Lehrer fürchten Schülerinnen-Ausreise

Als Mitarbeiter ausgewählt wurde Korhan Erdön, weil er die Szene kennt, weil er in Kempten Initiative ergriffen und vor einem halben Jahr eine Diskussionsveranstaltung organisiert hat mit der Frage: Wie will Kempten künftig mit Islamisten umgehen? In seiner neuen Rolle als Berater hat Korhan Erdön schon einige Anfragen erhalten – unter anderem von einer Schule. Eine Schülerin ist Richtung Syrien ausgereist. Die Lehrer fürchten, dass weitere Mädchen ihrem Beispiel folgen könnten. Im neuen Schuljahr möchte der Berater einen Workshop anbieten:

"Die Schule steht in der Öffentlichkeit natürlich auch. Da ist die Verunsicherung besonders groß. Und es ist auch unsere Aufgabe, ein bisschen Ruhe reinzubringen und die Lehrer in ihrer Arbeit zu unterstützen."

VPN-Berater Korhan Erdön

Violence Prevention Network begrüßt, dass der Freistaat ein Programm entwickelt. Das Bayerische Landeskriminalamt baut gerade ein sogenanntes Kompetenzzentrum auf. Kosten: 400.000 Euro, bereitgestellt aus dem Polizeihaushalt. Das Kompetenzzentrum soll mit einem zivilen Träger zusammenarbeiten. Einer der möglichen Kandidaten: Das Violence Prevention Network. Noch in diesem Jahr soll das Programm umgesetzt werden. Der Zeitdruck ist groß, heißt es aus Kreisen des Landeskriminalamtes.


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