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Haarwuchsmittel, Medikamente gegen Haarausfall Finasterid: Volles Haar mit Risiken?

Haarausfall: Ein Problem, mit dem sich viele Männer herumschlagen. Was tun? Der Wirkstoff Finasterid kann helfen, den Haarausfall zu stoppen. Doch in letzter Zeit häufen sich Berichte über Nebenwirkungen. Patienten klagen über Depressionen bis zu Suizidgedanken, erektile Dysfunktion, verminderte Libido, Schlafstörungen. Wegen dieser Leiden klagen aktuell in Deutschland mehrere Betroffene gegen Hersteller des Medikaments.

Von: Veronika Keller

Stand: 01.07.2019

Finasterid: Volles Haar mit Risiko? | Bild: BR

Erblich bedingter Haarausfall: Das Problem kennen viele Männer.

Ein ansprechendes Äußeres, darauf legt Daniel Becker Wert. Der regelmäßige Haarschnitt gehört für ihn dazu. Doch dass bei ihm mit 46 Jahren überhaupt noch Haar zum Schneiden vorhanden ist, ist nicht selbstverständlich. Die Männer in seiner Familie hatten meist schon mit Ende 30 nur noch einen Haarkranz.

"Ich wusste, dass ich eine gewisse familiäre Vorbelastung habe, und dass es irgendwann so enden würde, dass ich mir dann lieber alle Haare abschneiden lassen würde, statt mit so einem Kranz herumzulaufen. Das konnte ich mir für mich nicht vorstellen."

Daniel Becker

Finasteridhaltige Haarwuchsmittel: erblich bedingten Haarausfall stoppen

Der Münchner Friseur Frederik Rock macht oft die Erfahrung, dass das Problem Haarausfall Männer sehr beschäftigt.

"Sobald Männer merken, es geht los, bricht oft Panik aus. Ich habe das selber auch schon mitgemacht. Ich bin aufgewacht und merke: Immer mehr Haare liegen im Bett. Man fängt an zu überlegen, man schaut länger in den Spiegel, also man macht sich da schon ziemlich fertig."

Frederik Rock, Friseur, München

Ärzte können helfen, den Haarausfall manchmal zumindest zu stoppen.

Der erbliche, hormonell bedingte Haarausfall, unter dem Daniel Becker leidet, nennt sich Alopezie. Er hat sich vom Dermatologen beraten lassen und nimmt seit über 15 Jahren ein Medikament mit dem Wirkstoff Finasterid ein, das das Problem bei den meisten Betroffenen gut in Schach halten kann.

"Wichtig ist, dass Sie den Wirkstoff Finasterid rechtzeitig einsetzen. Das heißt, er wirkt nur so, dass er den Haarausfall stoppt. Was weg ist, ist meistens weg. Es wächst zwar etwas nach, aber nicht besonders viel."

Dr. med. Christoph Liebich, Dermatologe, München

Wirkstoff mit Nebenwirkungen?

Finasterid: Ist der Wirkstoff wirklich unbedenklich?

Doch in letzter Zeit häufen sich Berichte über Nebenwirkungen. Patienten klagen über Depressionen bis zu Suizidgedanken, erektile Dysfunktion, verminderte Libido, Schlafstörungen. Finasterid bremst über ein Enzym die Wirkung des Sexualhormons Testosteron aus. Das Original-Medikament wird unter dem Namen Propecia verkauft. Inzwischen gibt es einige Nachahmerprodukte mit dem gleichen Wirkstoff.
Der Endokrinologe Günter Stalla weiß: Dieser Eingriff in den Hormonhaushalt kann nicht nur den Haarausfall stoppen. Testosteron hat im Körper viele verschiedene Aufgaben, unter anderem beeinflusst es die Knochen, die Blutbildung und die Muskulatur.

"Testosteron ist aber auch ein Hormon, das für die Stimmung verantwortlich ist. Da kann es natürlich das Problem geben, dass, vor allem wenn schon eine depressive Grundstimmung besteht, die Depressivität doch wesentlich verstärkt wird."

Prof. Dr. med. Günter Stalla, Endokrinologe und Androloge, München

Finasterid: vermehrte Spätfolgen nach Absetzen?

Stimmungsveränderungen und Potenzprobleme sind als Nebenwirkungen von Finasterid bekannt. Das Besondere: Nicht nur während der Einnahmezeit scheinen sie aufzutreten. Zurzeit häufen sich Fälle, in denen unerwünschte Symptome nach dem Absetzen bleiben oder erst dann einsetzen. Gesundheit! hat mit einem Betroffenen gesprochen, der anonym bleiben möchte. 12 Jahre lang hat er Finasterid eingenommen, war sein Leben lang gesund und sportlich. Nachdem er das Medikament absetzte, stellte sich eine extreme Ruhelosigkeit ein, die er nicht in den Griff bekam.

"2014 habe ich festgestellt: Ich kann gar nicht mehr müde werden. Es ist so schlimm geworden, dass ich mehrere Tage nicht mehr geschlafen habe und mich wirklich in die Arbeit geschleppt und gedacht habe: Jetzt kippe ich jeden Moment um und bin tot."

Anonymer Betroffener

Post-Finasterid-Syndrom: Klagen gegen Herstellerfirmen

Gesundheitliche Folgen, die erst nach dem Absetzen des Wirkstoffes auftreten, sind umstritten.

Einige Male erlitt er einen Kreislaufkollaps und kam ins Krankenhaus. Er suchte diverse Ärzte auf, doch jahrelang wurde für seine Schlaflosigkeit keine Erklärung gefunden. Dann stellte er selbst die Verbindung zu dem Medikament her, das er lange eingenommen hatte. Symptome wie seine werden unter dem Begriff Post-Finasterid-Syndrom zusammengefasst. Betroffene haben aber sehr unterschiedliche Folgeprobleme, auch sexuelle Funktionsstörungen und Depressionen kommen vor. Aktuell klagen in Deutschland mehrere Betroffene gegen Herstellerfirmen des Medikaments. Der anonyme Betroffene kann seinen Alltag heute nur mit Tabletten bewältigen, manchmal braucht er starke Beruhigungsmittel. Inzwischen bereut er, das Haarwuchsmittel eingenommen zu haben.

"Für mich ist das Hauptanliegen, dass dieses Produkt unbedingt vom Markt genommen wird oder dass man es nicht mehr für kosmetische Zwecke nimmt. Mir wurde damals nicht wirklich gesagt, dass das so extrem eingreift in den Hormonhaushalt und dass das so dramatische, irreversible Auswirkungen haben kann."

Anonymer Betroffener

Finasterid: umstrittene Spätfolgen, unklarer Zusammenhang

Auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte warnt inzwischen vor bestimmten Symptomen.

In der Haarsprechstunde der Münchner Uniklinik wird Finasterid seit 20 Jahren immer noch regelmäßig verordnet - obwohl Oberarzt Prof. Hans Wolff seine Patienten auf die Möglichkeit von unerwünschten Nebeneffekten hinweist. Inzwischen warnt auch das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vor solchen Symptomen. Das Problem: Wie genau der Zusammenhang mit dem längst abgesezten Finasterid sein könnte, ist unklar und umstritten.

"Eigentlich ist in der Pharmakologie die Nebenwirkung eines Medikaments dann gegeben, während man es einnimmt, wenn sie dann aber nach dem Absetzen wieder verschwindet. Das ist für mich ein kausaler Zusammenhang. Der andere Zusammenhang, der beim Post-Finasterid-Syndrom postuliert wird, ist für mich etwas schwer zu verstehen."

Prof. Dr. med. Hans Wolff, Dermatologe, Klinikum der Universität München

Wie die Chancen der Kläger bei den laufenden Verfahren gegen Herstellerfirmen sind, ist noch offen.


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