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Morbus Sudeck/CRPS Wenn leichte Verletzungen zur Qual werden

Meist trifft es Patienten nach einer Bagatellverletzung an Armen oder Beinen, wie einem Knochenbruch, einer Verstauchung, einem Muskelfaserriss oder einer OP. Bis zu fünf Prozent entwickeln ein komplexes regionales Schmerzsyndrom, kurz CRPS oder Morbus Sudeck. Wenn die Heilung eigentlich abgeschlossen sein sollte, werden die Schmerzen nicht weniger sondern stärker. Gesundheit! zeigt, welche weiteren Symptome auf die Erkrankung hinweisen, weshalb sie oft lange nicht erkannt wird und welche Therapien helfen können, damit die Schmerzerkrankung nicht chronisch wird.

Von: Gunther Franke

Stand: 19.11.2018

CRPS/Morbus Sudeck: Wenn leichte Verletzungen zur Qual werden | Bild: BR

CRPS oder Morbus Sudeck

Die Erkrankung „Morbus Sudeck“ ist nach dem deutschen Chirurgen Paul Sudeck benannt. Um das Jahr 1900 betreute er Patienten, die nach Traumen und Entzündungen an den Gliedmaßen chronische Brennschmerzen entwickelten. Er beschrieb die Krankheit später als „entgleiste Heilentzündung“. Heute wird für das Krankheitsbild der Begriff Komplexes regionales Schmerzsyndrom verwendet, kurz CRPS von complex regional pain syndrome.

CRPS: Auslöser

Auch bei den Patienten Stefanie Breiteneicher und Wolfgang Weiß war der Auslöser für ihre inzwischen chronisch gewordenen Schmerzen eigentlich eine harmlose Bagatelle.

"Bei einem Freizeitausflug mit der Familie, ich wollte gerade loslaufen, habe ich mich zur Seite weggedreht und einen plötzlich einschießenden Schmerz in der Wade verspürt. Ich dachte, es sei ein Muskelfaserriss und ich brauche das Bein nur drei Wochen hoch lagern und dann wird alles wieder gut."

Wolfgang Weiß, CRPS Patient 

"Ich bin auf Glatteis ausgerutscht und auf mein überstrecktes Handgelenk gestürzt. Ich habe gedacht, das ist nichts Schlimmes, denn ich konnte die Hand, zwar unter Schmerzen, doch ganz gut bewegen."

Stefanie Breiteneicher, CRPS Patientin

CRPS: Oft an verletzten Extremitäten

CRPS: Oft tritt das Schmerzsyndrom nach leichten Verletzungen auf.

CRPS tritt meist nach einer Verletzung an den Extremitäten auf, also an der Hand, dem Unterarm, dem Fuß oder dem Unterschenkel, zum Beispiel nach Knochenbrüche (oft nach Radiusfrakturen), Verstauchungen, Prellungen oder operativen Eingriffen. Ruhigstellung mit langen Gipszeiten, Thrombosen und Infektionen können der Erkrankung ebenfalls vorausgegangen sein. Bisweilen lässt sich überhaupt keine Ursache ausmachen.

CRPS: Frauen trifft es häufiger als Männer

Häufig tritt das Leiden zwischen dem 40. bis 70. Lebensjahr auf. Frauen erkranken öfter als Männer, warum, ist medizinisch noch unklar. Auch die Entstehung von CRPS gibt immer noch Rätsel auf. Vermutet wird ein gestörter Heilungsverlauf der betroffenen Region und eine gestörte Schmerzweiterleitung. Eine Theorie: Nach einer Verletzung an den Gliedmaßen ist die Schmerzweiterleitung zum Rückenmark und zum Gehirn gestört. Dabei soll das vegetative Nervensystem - insbesondere der Sympatikus - eine erhebliche Rolle spielen. Der akute Schmerz wird chronisch, wenn Veränderungen im Gehirn stattfinden.

CRPS: Der langer Weg zur Diagnose

CRPS: Typisch sind die Verfärbungen der Extremitäten

Fast zwei Jahre litten die Graphikdesignerin Stefanie Breiteneicher und der Anästhesist Dr. Wolfgang Weiß an der wenig bekannten Schmerzerkrankung, bis die eindeutige Diagnose Morbus Sudeck feststand. Sie erlebten eine regelrechte Ärzteodyssee. Anstatt dass die eigentlich harmlose Verletzung rasch heilte, wurden die Schmerzen an der betroffenen Stelle bei beiden schlimmer.
Wolfgang Weiß hat genau dokumentiert, wie nach dem Muskelfaserriss sein Fuß anschwoll, berührungsempflindlich wurde und sich verfärbte.

CRPS: Die Symptome

Dr. Anselm Reiners ist einer der Experten in München, der sich mit der Schmerzerkrankung Morbus Sudeck beschäftigt. Für die Diagnosestellung wendet er spezielle Kriterien aus der Schmerzforschung an, die sogenannten Budapest-Kriterien. Einzelne wichtige Symptome, wie zum Beispiel Temperatur­unterschiede an den Händen, sollten bei Verdacht auf CRPS schnell untersucht werden.

"Es sind im Wesentlichen vier Symptomkomplexe, die wir objektiv versuchen nachzuweisen: Gibt es eine Schwellung, eine Überwärmung, einen Berührungsschmerz und eine Bewegungsstörung. Dabei  unterscheiden wir zum Beispiel eine Plus-Minus-Symptomatik: Die Extremität kann kalt oder warm sein. Kann sie bei Berührungen schmerzhaft sein, je nach Druckqualität oder spürt der Patient zuwenig? Und es gibt eine Bewegungs-Plus-Symptomatik und eine Minussymptomatik."

Dr. med. Anselm Reiners, Klinik für Physikalische Medizin und Frührehabilitation, München Klinik Bogenhausen

CRPS: Symptome mit starkem Leidensdruck

CRPS: Vor allem Arme und Beine sind betroffen.

Die Patienten leiden meist unter einem oder mehreren Symptomen, die jedoch nicht gleichzeitig auftreten müssen. Zu den extremen Schmerzen kommen im Anfangsstadium meist Anzeichen einer Entzündung. Dies geht mit Schwellung, Rötung und Temperaturdifferenz an der betroffenen Körperpartie einher. Da die Haut wegen der Schwellung gespannt ist, bekommt sie ein wächsernes Aussehen. Man spricht von der sogenannten „Glanzhaut“.

Weitere Symptome sind:

  • Motorische Störungen, wie Bewegungseinschränkungen, Muskelschwäche, verlangsamte Bewegungen, unwillkürliche Muskelkontraktionen (Dystonien) und Muskelzittern (Tremor).
  • Erhöhte Schmerz­- und Berührungs­empfindlichkeit. So kann zum Beispiel Kleidung auf der Haut oder Wasser an der betroffenen Stelle extreme Schmerzen verursachen. Die Haut kann bei Berührung auch als taub empfunden werden. 
  • Hautveränderungen; zum Teil kommt es zu verstärktem Haar- und Nagelwachstum
  • vermehrte Schweißbildung an der betroffenen Körperstelle
  • Psychische Symptome: Die Patienten leiden unter den anhaltenden Schmerzen und Funktionseinschränkung und reagieren mit Depressionen.

Oft werden die Beschwerden für einen Teil des normalen Heilungsprozesses gehalten oder falsch interpretiert. Dadurch verzögert sich die Diagnose. Dabei sollte die multimodale Schmerztherapie möglich schnell beginnen.

"CRPS ist ein Notfall. Wenn Sie die Verdachtsdiagnose CRPS haben, dann ist das ein Notfall. Wenn Sie dann bei uns anrufen, bekommen Sie in ganz kurzer Zeit einen Termin, weil wir sofort handeln wollen. Es kann also nicht sein, dass Sie erst nach vier Wochen einen Termin bekommen. Die ersten drei Monate sind entscheidend. Insofern können wir sagen, wenn wir eine akute Symptomatik haben, bekommen wir 80% der Patienten wieder in einen zufriedenstellenden Funktionszustand."

Dr. med. Anselm Reiners, Klinik für Physikalische Medizin und Frührehabilitation, München Klinik Bogenhausen

CRPS: Erfolg durch frühe multimodale Schmerztherapie

CRPS: Die multimodale Schmerztherapie kann helfen.

Generell gilt: Je früher CRPS erkannt wird, desto besser sind die Heilungschancen. Jedoch müssen sich Patienten auf eine monate-, manchmal jahrelange Behandlung einstellen. Es gibt kein allgemeingültiges Patentrezept gegen die Erkrankung. Das Konzept der multimodalen Schmerztherapie scheint sich jedoch zu bewähren.

Das multimodale Konzept

Beim mulitmodalen Konzept kommt ein ganzes Bündel an medizinischen Maßnahmen zum Einsatz:

  • starke Schmerzmittel (Opiate, Antidepressiva oder Antiepileptika)
  • Ergotherapie und Physiotherapie mit sensomotorisch-perzeptiven Übungen einschließlich Spiegeltherapie, aber auch manuelle Therapie
  • Physikalische Medizin mit Kohlensäurebädern und Lymphdrainage. Auch Kälte oder Wärmebehandlungen können helfen.
  • Psychologische und soziale Unterstützung, einschließlich Schmerzedukation: Belastungen in der Familie oder am Arbeitsplatz, werden analysiert.
  • Musiktherapie soll die Körperwahrnehmung fördern.

CRPS: Entscheidend für den Therapieerfolg ist die frühe Diagnose.

Bei Stefanie Breiteneicher wirkt die sogenannte Spiegeltherapie positiv. Nach dieser Methode soll das Schmerzgeschehen im Gehirn nach und nach gelöscht werden.

"Bei der Methode wird dem Gehirn vorgegaukelt, dass die schmerzhafte Hand sich schmerzfrei bewegt. Dabei findet im Gehirn ein Lernprozess statt, wodurch hoffentlich die Bewegung auf der betroffenen Seite wieder besser wird."

Andreas Gonschor, Physiotherapeut, München Klinik Bogenhausen

CRPS: Wann operieren?

CRPS: Wann muss operiert werden?

Viele Schmerzmediziner warnen davor, dass bei manchen Patienten viel zu schnell operiert werde oder Schmerzsonden eingesetzt werden. Im schlimmsten Fall werden Nerven durchtrennt und die Schmerzleitungen endgültig unterbrochen. Bei einer klaren frühzeitigen Diagnose kann auf diese operativen Eingriffe verzichtet werden.

"Wichtig ist, dass den behandelnden Ärzten die Symptome des CRPS-Syndroms bekannt sind. Jeder Operateur, der eine Fraktur versorgt, sollte darauf achten, dass nach fünf Tagen, wenn die Patienten weiterhin über Schmerzen klagen und wenn eine Schwellung auftritt, vielleicht eine CRPS-Erkrankung vorliegt."

Dr. med. Anselm Reiners, Klinik für Physikalische Medizin und Frührehabilitation, München Klinik Bogenhausen

Leben mit CRPS

Harmlosere Formen der Krankheit können nach wenigen Wochen ausheilen. In vielen Fällen dauert der Schmerz jedoch Jahre an. Auch die Intensität der Beschwerden verläuft nicht linear: Phasen der Besserung, die sehr lange dauern können, wechseln ab mit Phasen der Verschlechterung. Die Symptome können ausheilen, sie können sich aber auch so verstärken, dass die Patienten mit einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität leben müssen. Bei einem Großteil der Patienten ist die Behandlung jedoch erfolgreich und Schmerzen werden signifikant reduziert, die Patientem kommen in die Alltagsaktivität zurück.

Leben mit CRPS: Viele Patienten leben Jahre mit Schmerzen.

Wolfgang Weiß und Stefanie Breiteneicher ist es gelungen, ihre Schmerzen auch psychisch in den Griff zu bekommen und einen normalen Alltag gemeinsam mit Freunden und Familie zu führen. Ihr großes Anliegen ist es, anderen Schmerzpatienten zu helfen. Sie arbeiten in einer Selbsthilfegruppe mit und klären auf, damit vielen Patienten mit CRPS ein ähnliches Schicksal erspart bleibt.


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