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Wirbelsäulenverkrümmung Skoliose – Welche Behandlung passt zu wem?

Schiefe Schultern, herausschauende Rippen auf einer Seite des Rückens, eine asymmetrische Taille: Das sind typische Merkmale einer Skoliose. Vor allem Frauen leiden darunter - meist tritt die Wirbelsäulenverkrümmung rund um die Pubertät auf. "Gesundheit!" begleitet verschiedene Patientinnen und zeigt welche Therapie wem hilft.

Von: Julia Richter

Stand: 07.04.2025

Wirbelsäulenverkrümmung: Skoliose – Welche Behandlung passt zu wem?

Ursachen und Symptome einer Skoliose

Bei der 14-Jährigen Mia ist es ein Zufallsbefund: Sie hat zwar häufiger Nackenschmerzen nach längerem Sitzen, ihrer Mutter fällt aber vor allem das Gangbild auf.
Sophie bemerkt, dass die Kleidung manchmal nicht ganz „sitzt“, dass eine Schulter etwas niedriger ist als die andere und das Becken etwas schief steht. Gedanken macht sie sich nicht.

Was beide nicht ahnen: Mia und Sophie haben beide eine Skoliose – eine Verkrümmung der Wirbelsäule. Das Problem: Oft wird sie nicht oder spät entdeckt, eben weil sie lange keine Beschwerden verursacht.

Grundsätzlich kann man zwei Arten von Skoliose unterscheiden: die sogenannte idiopathische Form – hier ist die Ursache unbekannt und die Skoliose aufgrund einer bestimmten Grunderkrankung. Dazu gehören z. B. angeborene Fehlbildungen. Auch Stoffwechselerkrankungen können eine Rolle spielen. In den meisten Fällen handelt es sich um eine idiopathische Skoliose, die in der Pubertät auftritt:

"Die meisten Skoliosen entstehen nach dem zehnten Lebensjahr, in der Pubertät. Im sogenannten pubertären Wachstumsschub. Es kommt zu einer dreidimensionalen Verdrehung der Wirbelsäule. Das heißt, dass es nicht nur zu einer Seitenverschiebung der Wirbelsäule kommt, sondern auch zu einer Rotation der Wirbelkörper. In den meisten Fällen ist die Ursache unbekannt. Und Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer."

Prof. Dr. med. Sandra Utzschneider, Orthopädin, München

Bei einer Skoliose können ein oder mehrere Abschnitte betroffen sein. Sie kann im Brust- oder Lendenwirbelsäulenbereich auftreten. Sie kann sich aber auch in beiden Bereichen oder in deren Übergangsbereich entwickeln.

Ein typisches Merkmal ist der sogenannte Rippenberg, das heißt, dass die Rippen hinten am Rücken auf einer Seite deutlich herausstehen und eine Art Hügel bilden. Es gibt aber auch andere Anzeichen:

"Eltern können kontrollieren, ob beide Schultern gleich hoch stehen – ob eine Schulter höher steht oder ob ein Schulterblatt höher steht als das andere. Oder in der Taille eine Rechts-Links-Asymmetrie da ist. Und am besten sieht man es, wenn man das Kind nach vorne beugen lässt, ob eine Seite der Rippen höher steht und sich auf der anderen Seite ein sogenannter Lendenwulst zeigt."

Prof. Dr. med. Sandra Utzschneider, Orthopädin, München

Die richtige Diagnose

Neben einer gründlichen klinischen Untersuchung fertigt man bei begründetem Verdacht ein Röntgenbild an. Die Bilder geben Auskunft über Form, Ausmaß und mögliche Ursachen der Verkrümmung. Auch der Schweregrad lässt sich hierdurch genau ausmessen: Durch den sogenannten COBB-Winkel. Er bestimmt, wie es mit der Therapie weitergeht. Steht eine OP an, muss außerdem ein MRT angefertigt werden. "Bis 20 Grad macht man nur Physiotherapie. Von 20 bis 40 Grad ergänzt man dann zusätzlich noch ein Korsett zur Physiotherapie und ab 40 bis 45 Grad muss man an eine OP denken", so Orthopädin Utzschneider.

Die richtige Therapie

Bei Sophie sind es 30 Grad – das heißt, dass sie nicht um Physiotherapie und ein Korsett herumkommt. Dies wird maßgeschneidert für sie angefertigt. Bis zu 23 Stunden am Tag muss sie es tragen – also auch nachts:

"An dem Korsett nervt halt, dass es ziemlich massiv ist. Im Sommer ist es brutal warm, weil es ja aus Plastik besteht und es ist ziemlich dickes Plastik. Zum Glück hat aus meiner Klasse niemand einen dummen Kommentar gesagt. Also die waren alle ziemlich nett." Sophie, Patientin

Das Korsett soll während der Behandlung die Skoliose aufrichten und ein Fortschreiten verhindern. Etwa jedes halbe Jahr muss der Erfolg kontrolliert werden. Da sich der Körper im Wachstum verändert, muss das Korsett auch immer wieder angepasst bzw. sogar neu angefertigt werden. Generell gilt, dass es eine Skoliose immer frühzeitig behandelt  werden sollte, da sie schnell fortschreiten kann. Ohne Therapie drohen im späteren Verlauf Verspannungen und Verschleiß durch die Fehlstellung.

Kernbestandteil der Behandlung ist Physiotherapie. Auch Mia und Sophie gehen regelmäßig.

"Unser Ziel ist, dass Mias Wirbelsäule möglichst gerade wird, also wenn man sie von hinten betrachten und möglichst die normalen Schwingungen hat, wenn wir sie von der Seite betrachten. Und dafür mobilisieren wir alle Gelenke, die eingeschränkt sind in der Bewegung. Dafür stärken wir die Rumpfkraft allgemein und korrigieren dann an den Stellen wo es nötig ist."

Christel Dörhöfer, Physiotherapeutin, Baierbrunn bei München

Die Übungen werden individuell zusammengestellt und angepasst. Mia macht z. B. Übungen nach der Spiraldynamik, hierbei werden Becken und Lendenwirbel entdreht. Wichtig ist auch die Therapie nach Schroth. Hierbei geht es vor allem um die richtige Atemtechnik. Bei Mia wird ihre linke Seite, das sogenannte Rippen-Tal, durch Einatmen „belüftet“. Der Rippenberg auf der anderen Seite beim Ausatmen gerafft.

"Die Studienlage zeigt klar, dass Patienten von regelmäßigem Training profitieren. Wer viel investiert, diszipliniert jeden Tag übt, der merkt deutlich, dass sich was verbessert und das kann dann auch im Röntgenbild bei der nächsten Kontrolle dargestellt werden."

Christel Dörhöfer, Physiotherapeutin, Baierbrunn bei München

Zu Hause macht Mia täglich Eigen-Übungen. Auch sonst achtet sie im Alltag auf ihre korrekte Haltung – ob beim Zähneputzen, Warten an der Bushaltestelle oder beim Schlafen – sie denkt immer an die richtige Haltung.

"Ich war kurz davor, ein Korsett tragen zu müssen. Und jetzt bin ich ungefähr bei 10 Grad. Also es hat sich auf jeden Fall verbessert. Ganz wegkriegen wird man es wohl nicht, aber das Ziel ist auf jeden Fall eine Verschlechterung zu verhindern."

Mia, Patientin

Die Skoliose-OP

Bei manchen Patienten reichen konservative Behandlungen nicht aus. Sabrina hatte eine ausgeprägte Wirbelsäulenverkrümmung.

"An der Skoliose hat mich am meisten gestört, dass ich eigentlich täglich mit Schmerzen zu tun hatte. Gerade bei Städtereisen, beim längeren Anstehen oder beim langen Laufen. Aber auch, dass ich sehr unglücklich darüber war, wie es quasi optisch aussah. Gerade wegen den ungeraden Hüften oder den ungeraden Schultern."

Sabrina, Patientin

Nach langem Überlegen entscheidet sie sich für eine OP.

"Prinzipiell denkt man so ab einem Cobb-Winkel von 40 bis 50 Grad an eine OP. Ab 50 Grad gibt es schon eine klare Empfehlung zu einer operativen Korrektur. Und innerhalb dieser OP ist natürlich das Ziel, eine deutliche Reduktion dieses Winkels zu erreichen. Und eine deutliche Aufrichtung der Wirbelsäule. Und diese dann auch über den Rest des Lebens zu halten."

Prof. Dr. med. Christoph Mehren, Orthopäde, Wirbelsäulenzentrum Schön Klinik, München Harlaching

Es gibt verschiedene OP-Verfahren – je nach Alter, Wachstum und Deformität des Patienten.
Bei Sabrina kommt die Standard-OP zum Einsatz: Der Zugang erfolgt über den Rücken. Bei dem Eingriff wird die Wirbelsäule mit Metallimplantaten – einem Schrauben-Stab-System – korrigiert und aufgerichtet. Dafür wird der behandelte Abschnitt versteift. Ziel ist, den versteiften Bereich so gering wie möglich zu halten, um eine gute Beweglichkeit des Patienten zu gewährleisten. Um Nervenschäden zu verhindern, werden bei der gesamten OP die Rückenmarksfunktion und Nervenbahnen kontinuierlich überwacht – durch das sogenannte Neuromonitoring. Bei kleineren Kindern gibt es wachstumslenkende Verfahren, etwa mit mitwachsenden Stäben, die verlängert werden können. 

Sabrina geht es fünf Wochen nach dem Eingriff gut. Die OP ist verlaufen wie gewünscht. "Prinzipiell muss man jede Patientin oder jeden Patienten bis zum Querschnitt aufklären, das ist natürlich das Horrorszenario, das theoretisch vorkommen kann. Man kann das Rückenmark mit Schrauben oder Implantaten verletzen, das dann schwer reversibel ist. Außerdem kann es zu neurologischen Ausfällen kommen", erklärt Orthopäde Mehren.

Nach der OP heißt es schonen: Schweres Heben und Stauchbewegungen sollte sie in den nächsten Monaten vermeiden.


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