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Schwerbehindertenausweis Wer bekommt ihn und was bringt er?

In Bayern besitzen 1,2 Millionen Menschen einen Schwerbehindertenausweis - über neun Prozent der Bevölkerung. Wahrscheinlich hätten noch deutlich mehr Menschen Anspruch darauf. Denn auch Krankheiten wie zum Beispiel Migräne, Tinnitus oder Rheuma können eine Schwerbehinderung darstellen. Gesundheit! erklärt, wer als schwerbehindert gilt, welchen Nachteilausgleich Betroffene erwarten können und weshalb es bei der Antragstellung häufig zu Frust und Enttäuschung kommt.

Author: Carolin Lorenz

Published at: 25-2-2019

Susanne Noll erhielt vor gut einem Jahr die Diagnose Gebärmutterhalskrebs. In einer großen Operation wurde ihr ein Tumor entfernt.

"Im April hat dann die Radiochemo begonnen. Auf gut Deutsch: Bestrahlung von außen und Chemotherapie. Und im Mai vergangenen Jahres war ich dann mit der medizinischen Behandlung als solcher erstmal fertig."

Susanne Noll, Krebs-Patientin

Jacqueline Fritz hat eine Mission: Sie will am Ende des Winters eine Skitour gehen. Dafür lernt sie Skifahren. Auf einem Bein.

"Ich bin einbeinig seit einem Sportunfall: umgeknickt, OP, Komplikationen. Nach acht Jahren Kampf musste dann das Bein abgenommen werden."

Jacqueline Fritz, beinamputierte Sportlerin

Die beiden Frauen und ihre Geschichten sind unterschiedlich, aber sie haben etwas gemeinsam: Beide sind anerkannt schwerbehindert. So wie 1,22 Millionen Menschen in Bayern.

Was ist eine Schwerbehinderung?

Wie schwer eine Behinderung ist, wird im Sozialrecht mit dem Grad der Behinderung (GdB) ausgedrückt und in Zehnerschritten festgelegt. Ein GdB von 20 gilt als Behinderung, ein GdB von 50 und mehr als Schwerbehinderung.

Außerdem müssen folgende Kriterien zutreffen: Der Gesundheitszustand weicht von dem für das Lebensalter typischen Zustand ab. Die gesellschaftliche Teilhabe ist beeinträchtigt. Und: Der Zustand muss länger als sechs Monate anhalten - Quelle: §2 SGB IX.

Wie beantrage ich einen Schwerbehindertenausweis?

Der Antrag kann online ausgefüllt werden oder im Internet ausgedruckt werden. Wichtig ist, dass für jede Krankheit oder Einschränkung, die aufgeführt wird, auch ein ärztlicher Befund beiliegt. Möglichst viele, aktuelle und aussagekräftige Befunde und Arztberichte helfen den Bearbeitenden im Zentrum Bayern Familie und Soziales, kurz ZBFS, den Gesundheitszustand zu ermitteln.

Niedergelassene Ärzte sind verpflichtet, Kopien der Unterlagen an die Patienten herauszugeben. Wer nicht alle Befunde beilegen kann, muss die behandelnden Ärzte angeben und diese von der Schweigepflicht entbinden, damit die Mitarbeitenden am ZBFS die Befunde anfordern können. Das verzögert die Bearbeitung des Antrags häufig. Außerdem sollte dem Antrag ein Passfoto beiliegen. Wenn die Schwerbehinderung festgestellt wird, kommt mit dem positiven Bescheid dann gleich der Ausweis.

Hilfe beim Ausfüllen gibt es bei Sozialverbänden wie dem VdK (Verband der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands e. V.) oder in den Servicezentren der Versorgungsämter.

Beispiele für Nachteilsausgleiche durch einen Schwerbehindertenausweis

"Als ich davon erfahren habe, dass ich den Schwerbehindertenausweis beantragen kann, da habe ich mir laienhaft gedacht, oh, ein Schwerbehindertenausweis, da kannst du ab sofort umsonst öffentliche Verkehrsmittel fahren oder toll immer auf Parkplätzen dein Auto hinstellen. Aber das ist alles gar nicht der Fall."

Susanne Noll, Krebspatientin

Neben dem Grad der Behinderung können auch noch Merkzeichen beantragt werden, zum Beispiel das Merkzeichen aG für eine außergewöhnliche Gehbehinderung oder das Merkzeichen Bl für Blindheit. GdB und Merkzeichen bestimmen den Anspruch auf Nachteilsausgleiche, den behinderte Menschen per Gesetz haben, um möglichst gut am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Darunter fallen zum Beispiel: Ein besonderer Kündigungsschutz, eine Woche mehr Urlaub, Steuerfreibeträge oder Vortritt beim Behördenbesuch.

Arbeitgeber von schwerbehinderten Menschen können vom Integrationsamt Leistungen erhalten, um den Arbeitsplatz bedarfsgerecht zu gestalten, zum Beispiel mit Rollstuhlrampen oder speziellen Tastaturen. Außerdem können schwerbehinderte Menschen mit dem Merkzeichen RF (Rundfunk) eine Ermäßigung des Rundfunkbeitrags beantragen. Etliche Schwimmbäder und Museen geben Schwerbehinderten freiwillig Rabatte.

Wer darf auf einem Behindertenparkplatz parken?

Jacqueline Fritz ist gehbehindert, in ihrem Ausweis ist das Merkzeichen G eingetragen. Trotzdem bleibt ihr der Behindertenparkplatz am Skilift verwehrt: Sie besitzt nicht den nötigen Parkausweis. Den bekommen nur Menschen mit einer außergewöhnlichen Gehbehinderung (aG). Der Maßstab sind Menschen im Rollstuhl oder mit zwei amputierten Unterschenkeln. Ein Bein ab reicht nicht.

"Ich muss leider ganz normal parken, weil ich nicht genug behindert bin, um auf einem Behindertenparkplatz parken zu dürfen."

Jacqueline Fritz

Jacqueline Fritz hat einen Grad der Behinderung von 70. Und sie ist sehr sportlich. Wer Jacqueline die Skipiste runterbrettern sieht, wundert sich: Warum braucht sie einen extra Parkplatz vor dem Supermarkt? Ein paar Meter mehr sollten doch kein Problem sein.

"Ich bin genauso gehandicapt, wie andere Leute, die die gleiche Verletzung haben.  Ich muss was tragen, ich gehe einkaufen. Jetzt gerade im Schnee ist es beschwerlich mit Krücken. Deshalb wäre es natürlich schön, einen Parkausweis zu haben und direkt vorne parken zu können, dass man sich einfach leichter tut."

Jacqueline Fritz

Wer entscheidet über die Anerkennung der Schwerbehinderung?

Ob eine Behinderung vorliegt und wie schwer sie ist, wird im Zentrum Familie und Soziales (ZBFS), auch bekannt als Versorgungsamt, festgelegt. Die Zuständigkeit richtet sich nach dem Regierungsbezirk.

Durch die Hände von Manfred Eichmeier und seiner Mitarbeitenden am ZBFS Bayreuth wandern pro Person täglich um die 50 Akten mit Anträgen auf Schwerbehindertenausweise zur Bewertung. Insgesamt haben 2018 bayernweit 240.000 Menschen einen Antrag zur Feststellung ihrer Behinderung gestellt.

"Wir sehen hier im Antragsverfahren verschiedenste Gesundheitsstörungen. Es gibt für die verschiedenen Gesundheitsstörungen jeweils Bewertungsvorschläge. Manche sind fix, zum Beispiel der Verlust eines Auges bedingt einen GdB von 30. Dann gibt es aber auch Bewertungsvorschläge, für die ein bestimmter Rahmen vorgesehen ist."

Manfred Eichmeier, Teamleiter Schwerbehindertenrecht am ZBFS Bayreuth

Die Bewertungsvorschläge, an die sich die ärztlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am ZBFS halten müssen, sind in den versorgungsmedizinischen Grundsätzen klar festgelegt. Berücksichtigt werden nicht allein die Diagnosen, sondern welche Auswirkungen Krankheiten auf das Leben der Patienten haben. Weil am ZBFS hauptsächlich nach Aktenlage entschieden wird, kann es passieren, dass Patienten mit der Entscheidung des Amts nicht zufrieden sind.

"Ich kann diese Entscheidung im Widerspruchsverfahren überprüfen lassen. Das heißt, ich kann nochmal meine Argumente darstellen, warum ich der Meinung bin, dass diese Entscheidung der Behörde falsch ist."

Andreas Wecks, Fachanwalt für Sozialrecht in Nürnberg

Einschränkungen sind subjektiv und jeder Mensch ist anders

Der Grad der Behinderung wird nicht durch eine bestimmte Diagnose festgelegt, sondern durch die Einschränkung, die durch die Krankheit besteht. Der Beruf spielt bei der Bewertung keine Rolle, weil hier die Rentenversicherung oder Berufsgenossenschaften zuständig sind.

"Nehmen wir mal als Beispiel einen Maurer. Der bekommt nach einem Bandscheibenvorfall einen GdB von 20. Der fühlt sich aber schwerst beeinträchtigt. Umgekehrterweise kann es sein, dass man trotz schwerster Beeinträchtigung seinen Beruf weiter ausüben kann. Denken wir an den Bundestagspräsidenten Schäuble, der im Rollstuhl sitzt und weiterhin berufstätig ist."

Manfred Eichmeier, seit 20 Jahren im Schwerbehindertenrecht tätig

Schwerbehinderung am Arbeitsplatz

Arbeitgeber mit mehr als 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind verpflichtet, mindestens fünf Prozent der Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen. Tun sie das nicht, müssen sie eine Ausgleichsabgabe bezahlen, mit der besondere Leistungen für schwerbehinderte Menschen finanziert werden.

Schwerbehinderte Menschen sind nicht verpflichtet, ihre Behinderung am Arbeitsplatz anzugeben. Nur wenn sich die Behinderung direkt auf die Arbeit auswirkt, gibt es die Informationspflicht.

Susanne Noll arbeitet bei der Agentur für Arbeit. In ein paar Wochen wird sie dort wieder mit einer Wiedereingliederung und drei Stunden pro Tag anfangen. Dank ihres Schwerbehindertenausweises hat sie mehr Urlaubstage, muss keine Überstunden machen und genießt einen höheren Kündigungsschutz. Aber:

"Ich würde sehr gerne auf den Schwerbehindertenausweis und die Krankheit verzichten. Aber jetzt habe ich eben diese Krankheit. Und wenn der Sozialstaat mir irgendwelche Nachteile ausgleichen will, dann nehme ich das gerne in Anspruch."

Susanne Noll

Gültigkeit des Ausweises

Wenn die Behinderung endgültig ist, wie bei einer Amputation, ist der Schwerbehindertenausweis unbefristet gültig. Bei Krebserkrankungen ist es üblich, dass der Ausweis zeitlich befristet ist.

"Nach fünf Jahren wird geprüft, ob ich noch irgendwelche Beeinträchtigungen habe und wenn nicht, dann kommt der wieder weg und das ist ja auch gut so!"

Susanne Noll

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