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Vorreiter USA, Kanada und Großbritannien Lungenkrebs-Screening mittels Niedrigdosis-CT

Lungenkrebs-Screeningprogramme sind in den USA, in Kanada und Großbritannien bereits seit längerem etabliert. Für einige europäische Länder sind sie beschlossen und werden schrittweise eingeführt. Auch in Deutschland soll ein Lungenkrebs-Screening mittels Low-Dose-CT kommen.

Von: Antje Maly-Samiralow

Stand: 05.05.2023

Die aktuell verfügbaren Studiendaten lassen den Schluss zu, dass durch regelmäßige CT-Untersuchungen die Lungenkrebssterblichkeit gesenkt werden kann.

"In der hier in Heidelberg durchgeführten LUSI-Studie sowie in vielen anderen Studien weltweit – das sind etwa neun oder zehn – wurden Menschen verglichen, die an einem Screening teilgenommen haben und einer Vergleichsgruppe, wo das nicht der Fall war. Es hat sich gezeigt, dass in der Gruppe, in der regelmäßige CTs der Lunge durchgeführt wurden, die Sterblichkeit an Lungenkrebs deutlich niedriger war."

Prof. Dr. Rudolf Kaaks, Epidemiologe, Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg

"Mit einem solchen Screening kann man den Lungenkrebs viel früher erkennen, in einem Stadium, in dem er noch heilbar ist. Wir wissen aus Studien, dass wir mit diesem Programm eine Senkung der Lungenkrebssterblichkeit von etwa 15 bis 20 Prozent erzielen können."

Univ.-Prof. Dr. med. Jürgen Behr, Facharzt für Pneumologie und Innere Medizin, LMU-Klinikum der Universität München, Großhadern

Deutschland: Jedes Jahr 62.000 Neuerkrankungen

Für Deutschland zählt man in etwa 62.000 Neuerkrankungen jährlich. Die meisten Menschen, rund 45.000 versterben an Lungenkrebs.

Die Krankheit macht sich in der Regel erst spät mit Symptomen wie anhaltendem Husten oder Atemnot bemerkbar. Häufig kommt die Diagnosestellung so spät, dass nicht mehr kurativ operiert werden kann. Das führt in der Konsequenz zu hohen Sterblichkeitsraten.

Niedrigdosis-CT-Untersuchungen für Risikogruppen

Menschen, die ein erhöhtes Risiko haben, Lungenkrebs zu entwickeln, sollen angesprochen und eingeladen werden, an einem Screening-Programm teilzunehmen und sich regelmäßig einer CT-Untersuchung der Lungen zu unterziehen. Die avisierte Risikogruppe sowie die Einschlusskriterien differieren allerdings erheblich.

"20 Packungsjahre" bedeuten: Diese Menschen haben 20 Jahre lang eine Schachtel Zigaretten oder 10 Jahre lang zwei Schachteln pro Tag geraucht.

Während in den USA Menschen ab 55 bis 80 Jahren angesprochen werden, die 30 Packungsjahre auf sich vereinen können, das heißt, diese Menschen haben 30 Jahre lang eine Schachtel Zigaretten oder 15 Jahre lang zwei Schachteln pro Tag geraucht, reichen die eingeschlossenen Risikogruppen in unterschiedlichen Studien von 50 bis 75 und selbst bis 79 Jahre, die der notwendigen Packungsjahre von 20 bis 25 und sogar 30.

"Es sind in erster Linie die starken Raucher, die im Risiko stehen, Lungenkrebs zu bekommen. Man sagt, dass etwa 85 Prozent aller Lungenkrebspatienten Raucher sind bzw. Ex-Raucher, die noch nicht lange aufgehört haben."

Univ.-Prof. Dr. med. Jürgen Behr, Facharzt für Pneumologie und Innere Medizin, LMU-Klinikum der Universität München, Großhadern

Die Strahlenbelastung moderner Niedrigdosis-CT-Geräte ist deutlich geringer als das in früheren Zeiten beim Einsatz von Röntgentechnik der Fall war.

"Wir sind mittlerweile in der Lage, mittels Niedrigdosis hochauflösende CTs der Lunge zu machen, bei einer Strahlung von 0,4 Millisievert. Das entspricht ungefähr einem Fünftel der natürlichen Strahlung, der wir in einem Jahr ausgesetzt sind, während die in den Studien zum Lungenkrebsscreening häufig eingesetzten Computertomografen noch mit einer Strahlendosis von 1,4 bis 1,5 Millisievert gearbeitet haben."

Univ.-Prof. Dr. med. Jürgen Behr, Facharzt für Pneumologie und Innere Medizin, LMU-Klinikum der Universität München, Großhadern

Häufigkeit der Untersuchungen

Wie oft Menschen mit erhöhtem Risiko sich einer CT-Untersuchung unterziehen sollten, damit Krebsherde frühzeitig erkannt werden, wird gerade in einem europäischen Studienprojekt untersucht, an dem neben den Niederlanden, Italien und Polen auch Deutschland mit dem dkfz Heidelberg teilnimmt. Die sogenannte 4-IN-THE-LUNG-RUN-Studie verfolgt einen personalisierten Ansatz, entsprechend dem persönlichen Risikoprofil, das sich beispielsweise aus Vorerkrankungen ergeben kann. Die Epidemiologin Dr. Verena Katzke verantwortet die operative Studienleitung in Heidelberg.

"Die bislang durchgeführten Studien basierten auf einem einjährigen Screening. Wir wollen herausfinden, ob es auch ausreicht, wenn sich die Menschen nur alle zwei Jahre einer CT-Untersuchung unterziehen und für wen das zutrifft. Wenn wir bei der Erstuntersuchung Auffälligkeiten feststellen, dann bestellen wir die Betroffenen nach drei Monaten wieder ein, um etwaige Veränderungen dokumentieren und ggfs. notwendig werdende Folgeuntersuchungen veranlassen zu können. Diese Strategie intendiert zum einen die Minimierung sowohl der Strahlenbelastung als auch der Screening-Kosten und individualisiert zum anderen die Screening-Intervalle, wenn wir ein erhöhtes Risiko feststellen. Das betrifft beispielsweise Menschen mit Vorerkrankungen, etwa COPD oder Asthma."

Dr. sc. hum. Verena Katzke Epidemiologin, Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg

Lungenkrebsscreening – Nutzen versus Risiko

Ein Lungenkrebsscreening macht nur Sinn, wenn der Nutzen den Schaden überwiegt. Eine positive Bilanz ist folglich nur dann gegeben, wenn ausschließlich Menschen gescreent werden, die tatsächlich im hohen Risiko stehen, Lungenkrebs zu entwickeln. Auch wenn rund 15 Prozent aller Lungenkrebs-Erkrankungen nicht durch Rauchen verursacht werden, muss das Screening auf Raucher bzw. ehemalige Raucher beschränkt bleiben, die den überwiegenden Anteil, nämlich 85 Prozent bei diesem Krankheitsbild ausmachen. Andernfalls stünde zu befürchten, dass der Schaden den Nutzen überwiegt.

"Ich würde davor warnen, Menschen zum Lungenkrebsscreening einzuladen, die kein ausreichend hohes Lungenkrebsrisiko haben. Denn die Wahrscheinlichkeit, Lungenkrebs zu haben, der früh erkannt und behandelt werden und man damit einem Versterben an Lungenkrebs vorbeugen kann, ist eher gering und damit eben auch die Wahrscheinlichkeit, vom Screening zu profitieren. Im Umkehrschluss hätten solche Menschen allerdings das Risiko der Strahlenbelastung, die nicht gesund ist. Auch wenn das Risiko, einen strahleninduzierten Krebs zu bekommen, sehr gering ist, steigt dieses Risiko natürlich, wenn dem kein Nutzen gegenübersteht. Gleiches gilt auch für falsch positive Befunde oder für Überdiagnosen."

Prof. Dr. Rudolf Kaaks, Epidemiologe, Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg

"Man muss sich eine Waage vorstellen, wo auf der einen Seite der Nutzen ist und auf der anderen Seite der Schaden. Wenn der Nutzen gering ist, dann darf auch der Schaden nur gering sein, sonst müsste man die Untersuchungen sofort einstellen. Daher ist die reale Abschätzung von Nutzen und Schaden so entscheidend, und deswegen beschränkt man das geplante Screening gegenwärtig auf ehemalige oder aktive Raucher, weil die ein hohes Risiko haben, Lungenkrebs zu bekommen und deswegen auch ein höheres Risiko für potenzielle Schäden in Kauf genommen werden kann."

Prof. Dr. rer. nat. Gerd Antes, Mathematiker und Methodenwissenschaftler, Freiburg

Die persönliche Entscheidungsfindung, ob man an einem solchen Programm teilnimmt oder nicht, fußt in Teilen auf einem grundsätzlichen Problem, über das kaum gesprochen wird, dessen man sich allerdings bewusst sein sollte.

"Die aus Studien resultierenden Daten sind immer statistischer Natur. Das heißt, dass die Entscheidungssituation, die ja vom Arzt und vom Patienten zusammen bewältigt werden muss, auf Kollektivdaten gründet. In der Konsequenz bedeutet das, dass ich meine Entscheidung auf der Basis statistischer Daten treffen muss. Kollektivdaten sagen mir aber nichts darüber, ob ich vom Screening profitiere oder im Zweifel Schaden nehme, also wie gut meine individuelle Bilanz ist. Mit diesem Widerspruch muss ich leben."

Prof. Dr. rer. nat. Gerd Antes, Mathematiker und Methodenwissenschaftler, Freiburg

Leben retten durch Screening-Programm

Aufgrund der aktuellen Datenlage ist ein Screening-Programm sinnvoll. Im Vordergrund steht die Möglichkeit, Leben zu retten. Zu diesem Schluss kommt übrigens auch das IQWiG in einer vom Gemeinsamen Bundesausschuss beauftragten Bewertung.

Rauchen war über Dekaden hinweg ein gesellschaftlich akzeptiertes Verhalten. In der Werbung wurde Rauchen als männlich, als chic und einen bestimmten Lifestyle verkörpernd dargestellt.

Nachdem der Tabakkonsum für viele Menschen über kurz oder lang zu einem Suchtproblem wird, werden die daraus resultierenden potenziellen Gesundheitsschäden als gesamtgesellschaftliches Problem und nicht als individuelle Schwäche verortet. Das Bemühen darum, Krankheit früh zu erkennen und Leben zu retten, mag möglicherweise den Blick auf die Schattenseiten solcher Verfahren trüben.

"Man neigt bei solchen Screeningverfahren dazu, den Nutzen überzubewerten und den potenziellen Schaden nicht so genau anzuschauen. Das ist aus menschlicher Sicht nachvollziehbar, aber es behindert natürlich auch eine nüchterne Betrachtung, was in der Konsequenz dazu führen kann, dass der potenzielle Schaden größer ist als man wahrhaben will."

Prof. Dr. rer. nat. Gerd Antes, Mathematiker und Methodenwissenschaftler, Freiburg

Daher ist eine Begleitforschung unerlässlich, die mit Implementierung eines Screening-Programms einsetzen müsste, um Daten zu generieren, die Auskunft darüber geben, ob sich die aus Studien generierten Annahmen in der Lebensrealität der Menschen bestätigen lassen.

"Die Wirkung des Screenings muss epidemiologisch überwacht werden. Dafür müssen Register aufgebaut werden, um zu schauen, ob die Vorteile die potenziellen Nachteile überwiegen."

Prof. Dr. Rudolf Kaaks, Epidemiologe, Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg

Zum Stand der Dinge

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) evaluiert, ob ein Lungenkrebsscreening als Angebot der Gesetzlichen Krankenkassen an starke und ehemalige Raucher sinnvoll ist. In seinem auf den 19. Oktober 2020 datierenden Abschlussbericht kommt das Institut zu dem Schluss, dass der Nutzen den Schaden überwiegt, wenn es konstatiert:

"Ein Einfluss des Lungenkrebsscreenings mittel Low-Dose-CT auf das Gesamtüberleben im Vergleich zu keinem Screening ist nicht belegt. Für die lungenkrebsspezifische Mortalität liegt ein Hinweis auf einen Nutzen für das Low-Dose-CT-Screening vor. Da die jeweiligen Schätzer und die dazugehörigen Konfidenzintervalle für den absoluten Effekt in einer ähnlichen Größenordnung liegen, erscheint die Annahme gerechtfertigt, dass das Screening auch einen positiven Effekt auf die Gesamtmortalität hat. Es ergibt sich daher in der gemeinsamen Betrachtung dieser beiden Teilendpunkte für den Endpunkt Mortalität ein Anhaltspunkt für einen Nutzen des Low-Dose-CT-Screenings."

IQWiG

Das Bundesamt für Strahlenschutz hat im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) die Datenlage ebenfalls einer wissenschaftlichen Bewertung unterzogen. In seinem am 6. Dezember 2021 im Bundesanzeiger veröffentlichten Bericht kommt es zu dem Ergebnis, dass ein Lungenkrebsscreening die Lungenkrebssterblichkeit reduzieren kann.

Die Wissenschaftler weisen allerdings auch auf die hohen Anforderungen an die eingesetzte Technik sowie das damit betraute Personal und eine ganze Reihe weiterer Qualitätsstandards hin und formulieren entsprechende Empfehlungen. Dieser Bericht ist Grundlage einer Rechtsverordnung.

"Das BMUV erarbeitet gegenwärtig eine Verordnung nach § 84 Absatz 2 des Strahlenschutzgesetzes, durch die die Anwendung der Niedrigdosis-Computertomographie zur Früherkennung von Lungenkrebs bei Rauchern unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig erklärt wird. Die Arbeiten an dem Entwurf sind bereits weit fortgeschritten, sodass noch im Laufe dieses Jahres mit dem Inkrafttreten dieser Verordnung zu rechnen ist."

Bundesamt für Strahlenschutz

Erst nach Inkrafttreten besagter Verordnung kann der Gemeinsame Bundesausschusses ein Programm entwickeln, in dem alle relevanten Aspekte, Voraussetzungen und Standards eines Lungenkrebsscreenings einschließlich der Kostenübernahme festgelegt werden.

Links:


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