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Muskelaufbau bei Osteoporose, Diabetes Mit Krafttraining gegen Krankheiten

Ausdauertraining für die Gesundheit, Krafttraining für die Muckis: Noch immer haben viele diese Vorstellung. Dabei dienen beide Trainingsarten gleichermaßen der Gesundheit. Während das Ausdauertraining das Herz-Kreislaufsystem in Schwung bringt, sorgt Krafttraining bei korrektem Training für eine optimale Körperstatik und beugt so zum Beispiel Rückenschmerzen vor. Doch trainierte Muskeln können noch mehr: Sie wirken zum Beispiel der Diabetes und anderen Krankheiten aktiv entgegen.

Von: Carolin Lorenz

Stand: 06.12.2022

Mit Krafttraining gegen Krankheiten | Bild: Screenshot BR

Muskeln: Sie sehen schön aus. Sie stabilisieren unser Skelett. Sie bewegen unseren Körper. Und: Wir trainieren sie zu wenig. Gerade einmal 29,4 Prozent von uns schaffen es, die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) umzusetzen. Die empfiehlt: Mindestens zwei Mal pro Woche Krafttraining. Kniebeugen, Liegestütz, Hanteln, Geräte – eben alles, was die Muskeln stärkt.

Muskulatur sendet Botschaften in den Körper

Aber wozu das Ganze? Sportmediziner Dr. Martin Halle erklärt: Muskeln sind zum einen orthopädisch wichtig. Also, um unser Skelett und unsere Gelenke, wie zum Beispiel das Kniegelenk, in den Bahnen zu halten.

"Darüber hinaus hat die Muskulatur noch richtig Funktion. Das ist wie ein Organ. Das ist ein Organ, das Botschaften in den Körper reinsendet und Hormone, Botenstoffe, die das Gehirn oder die Leber oder das Herz und andere Organe treffen."

Univ.-Prof. Dr. med. Martin Halle, Zentrum für Sportmedizin und Sportkardiologie, TU München

Krafttraining: Teil der Therapie bei Diabetes Typ 2

Diese Botenstoffe aus der Muskulatur werden durch Kontraktion, also Bewegung, freigesetzt. Und deshalb lassen sich mit Krafttraining sogar internistische Krankheiten behandeln.

So wie bei Monika Geiger. Die 45-Jährige ist Diabetikerin, Typ 2. In der Fachklinik Bad Heilbrunn wird sie behandelt, weil ihr Blutzuckerwert trotz Medikamenten zu hoch ist. Zur Therapie gehört eine Ernährungsumstellung, eine erneute medikamentöse Einstellung. Und Krafttraining. Das ist ungewohnt für Monika Geiger:

"Fitnessstudio geht gar nicht. Wenn, dann eher in der frischen Luft. Also Walken oder Radfahren, Wandern, sowas eher."

Monika Geiger

Dabei spielt die Muskulatur bei der Diabetes-Behandlung eine wichtige Rolle. Denn: Die Skelettmuskulatur ist der größte Glukosespeicher unseres Körpers. In den Muskeln kann der größte Teil des Blutzuckers, den wir über die Nahrung aufnehmen, verstoffwechselt werden.

Vor ein paar Jahren war Ausdauersport noch das Nonplusultra in der Diabetes-Therapie. Doch die Lehrmeinung hat sich geändert. Heute sind auch Muskeln gefragt.

Krafttraining auch außerhalb der Fitness-Studios

Von der Couchpotato zum Krafttraining – die notwendige Änderung des Lebensstils nach einer Diabetes-Diagnose ist für viele Patientinnen und Patienten erst einmal nicht vorstellbar. Das weiß auch Physiotherapeut Peter Schmidt.

"Wir versuchen, für jeden Patienten individuelle Lösungen zu finden. Es ist so, dass es ganz viele Patienten gibt, die nicht in ein Studio gehen wollen, die sagen, sie sind Sportmuffel. Das ist sehr weit verbreitet. Aber man findet eigentlich für jeden eine Möglichkeit. Training, Bewegung, Sport ist für jeden möglich."

Peter Schmidt, Physiotherapeut, Bad Heilbrunn

Muskelaufbautraining können auch Menschen betreiben, die wegen Übergewicht oder Vorerkrankungen Schwierigkeiten mit den klassischen Ausdauersportarten wie Joggen oder Radfahren haben. Übungen mit dem eigenen Körpergewicht sind sogar auf der Couch und ohne spezielle Ausrüstung möglich.

Krafttraining: Diabetes-Patineten brauchen weniger Medikamente

Diabetologe Dr. Andreas Liebl erlebt in der Praxis, wie positiv sich Sport, insbesondere Krafttraining, auf die Erkrankung auswirkt.

"Eine zusätzliche Wirkung von Lebensstiloptimierung, insbesondere von körperlicher Bewegung ist, dass Patienten dann deutlich weniger Medikamente brauchen. Insbesondere Insulin kann deutlich verringert werden in der Dosis oder seltener gespritzt, manchmal sogar ganz abgesetzt."

Dr. med. Andreas Liebl, Chefarzt Innere Medizin und Diabetologie, Fachklinik Bad Heilbrunn

Sport aktiviert Botenstoffe in den Zellen

Menschen mit Diabetes Typ 2 haben zwei Probleme: Zum einen produziert ihre Bauchspeicheldrüse zu wenig Insulin. Dadurch wird der Blutzucker, wichtigster Energielieferant des Körpers, wesentlich schlechter in die Zellen eingeschleust.

Dazu kommt: Das wenige Insulin, das wie ein Schlüssel die Zelle aufsperren sollte, wirkt wegen der sogenannten Insulinresistenz nicht richtig. Durch Sport werden Botenstoffe in den Zellen aktiviert, dadurch die Wirksamkeit von Insulin verbessert und sogar ein zusätzlicher Kanal für den Blutzucker geschaffen.

Monika Geiger sieht den Effekt ihres Trainings schwarz auf weiß: Ein Sensor im Oberarm, das sogenannte CGM, zeichnet ständig ihre Blutzuckerwerte auf. Die Kurve schießt morgens nach dem Frühstück nach oben. Nach dem Sport sinkt der Wert sehr schnell wieder in ihren persönlichen Zielbereich. 

"Jetzt nach dem Sport ist es 89. Damit bin ich auf jeden Fall zufrieden."

Monika Geiger

Sport bei Osteoporose

Auch Ingrid Jörrn aus Bessenbach bekämpft ihre Erkrankung mit Krafttraining. Sie lebt seit über 30 Jahren mit Osteoporose, Knochenschwund. Einmal pro Woche trifft sie sich mit der Selbsthilfegruppe, die sie auch leitet, zum Sport. Coronabedingt findet das Training im Moment via Videokonferenz statt. Wo die Erfahrung im Umgang mit den Computern fehlt, haben Kinder und Enkelkinder mitgeholfen, das Programm und die Kamera einzurichten.

Den Sport wegen Corona komplett ausfallen zu lassen, war für die Gruppe keine Option. Denn: Wenn die Muskulatur abbaut, wird die Gefahr für Brüche oder Verletzungen größer.

Starke Muskeln fördern Stabilität

Bei Osteoporose funktioniert der Knochenumbau, ein normaler Reparaturprozess des Körpers, nicht mehr richtig. Die Osteoklasten, die knochenabbauenden Zellen, sind aktiver als die knochenaufbauenden Osteoblasten. Die Knochendichte nimmt ab, Knochen werden instabil und anfälliger für Brüche. Spontanfrakturen, ohne richtigen Grund, sind typisch. Auch Ingrid Jörrn hat diese Erfahrung schon gemacht.

"Ich bin hier aus dem Hof raus und wollte in die Stadt fahren. Ich habe gar nichts gemacht. Auf einmal macht es Klick und ich konnte nie mehr weitergehen."

Ingrid Jörrn

Ein paar Tage hält sie die Schmerzen aus, dann geht sie zum Arzt und der stellt fest: Sie hat sich nicht vertreten, sondern eine Spontanfraktur im Fuß.

Das Funktionstraining ist wichtig, um die Haltung der Osteoporosepatientinnen und -patienten zu verbessern. Starke Muskeln haben eine Stützfunktion, sie fördern die Stabilität und die Koordinationsfähigkeit, um in brenzligen Situationen die Kontrolle behalten und einen Sturz eventuell verhindern zu können.

Muskulatur aktiviert knochenaufbauende Zellen

Muskeln haben aber auch eine direkte Auswirkung auf die Knochendichte, weiß Andrea Volz, die Trainerin der Gruppe.

"Der Muskel ist mit dem Knochen verbunden über eine Sehne. Wenn die Muskulatur eine Bewegung durchführt, wird Zug über die Sehne ausgeübt. Und das wiederum wirkt sich dann auf den Knochen aus. Zug oder eben auch Druck auf den Knochen, führt dazu, dass die knochenaufbauenden Zellen aktiviert werden."

Andrea Volz, Sportökonomin und Übungsleiterin der Osteoporose-Selbsthilfegruppe Aschaffenburg 

Werden die Knochen also durch Muskelkraft gebogen oder gestaucht, legt der Körper nach und produziert mehr Knochenzellen. Die Knochen werden dank Muskeltraining stabiler. 

Muskeln: wichtig für die Gesundheit

Diabetes und Osteoporose sind nur zwei Erkrankungen, die mit Muskelaufbautraining besser in den Griff zu bekommen sind. Es hilft zum Beispiel auch bei Tumorerkrankungen.

"Muskeln sind wahnsinnig wichtig für unsere Gesundheit. Das versteht man erst innerhalb der letzten Jahre. Man versteht, dass Muskulatur zur Gesunderhaltung des Körpers beiträgt, dass man die aktivieren muss."

Univ.-Prof. Dr. med. Martin Halle, Zentrum für Sportmedizin und Sportkardiologie, TU München

Wer Muskelaufbau also als reine Beschäftigung für Kraftprotze abtut, verkennt, was in der Wissenschaft längst Thema ist: Starke Muskeln sind gesund und sie machen gesund.

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