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Masern und Windpocken Wie wichtig sind Impfungen?

Die mangelnde Impfbereitschaft zählt für die Weltgesundheitsorganisation WHO zu den größten Gesundheitsrisiken. Impfskeptiker werden damit auf eine Stufe gestellt mit Bedrohungen wie Luftverschmutzung, Antibiotikaresistenzen und Ebola. Was ist dran an diesem Vorwurf – wie gefährlich ist es, sich selbst oder seine Kinder nicht impfen zu lassen? Und brauchen wir in Deutschland eine Impfpflicht?

Von: Monika Hippold

Stand: 28.01.2019

Impfpass | Bild: picture-alliance/dpa

Die Erklärung der WHO: Weil manche Menschen nicht geimpft sind, breiten sich gefährliche und ansteckende Krankheiten, wie zum Beispiel Masern, wieder aus.

Masern: die Zahlen

Das Masern-Virus sollte eigentlich bis 2020 ausgerottet sein. 2017 erkrankten trotzdem weltweit 30 Prozent mehr Menschen daran als noch im Jahr zuvor. Masern können schwere Komplikationen mit sich bringen - wie Lungen- oder Hirnentzündungen. Selten tritt auch noch Jahre später die Masernkomplikation SSPE auf. Die subakute sklerosierende Panenzephalitis zerstört Zellen des Gehirns und führt nach zwei bis drei Jahren zum Tod.

In Europa gab es im Jahr 2017 knapp 24.000 Masernfälle - 2016 hatte es noch rund 5.000 Fälle gegeben. In Deutschland schwanken die Masern-Zahlen, immer wieder gibt es Ausbrüche: So wurden 2018 rund 540 Masern-Fälle registriert, 2017 erkrankten 929 Menschen daran, 2016 waren es 325 - und 2015 über 2.400.

Masern: Impfquote

Um Ausbrüche zu verhindern, müssten 95 Prozent der Bevölkerung immunisiert sein. In Deutschland ist die Masern-Impfrate mit rund 92 Prozent nicht hoch genug, sagt Prof. Bernd Salzberger vom Universitätsklinikum Regensburg.

"Immer wieder treten auch schwere Masernfälle auf, beim letzten Ausbruch ist jemand gestorben. Das ist für ein Land mit unserer Infrastruktur peinlich. Man muss sich das bewusst machen: Gegen Masern gibt es keine Medikamente."

Prof. Dr. med. Bernd Salzberger, Leiter der Infektiologie, Universitätsklinikum Regensburg

Impfkalender: Empfehlungen der STIKO

Die Ständige Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Instituts empfiehlt im Impfkalender, bereits Kinder im Alter von 11 bis 14 Monaten gegen Masern zu impfen. Kinderärztin Dr. Brigitte Dietz ist die stellvertretende Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Bayern. Sie befürwortet die Empfehlung:

"Babys haben ja heute multiple Kontakte, sie sind nicht durch die Familie geschützt. Deswegen finden wir es sehr wichtig, dass sie so früh wie möglich geschützt sind, wenn sie ihre Kontakte haben und das ist ja meistens schon mit drei, vier Monaten. Impfen ist wichtig, weil es zu den besten Präventionsmaßnahmen gehört. Durch Impfen wurde die Kindersterblichkeit dramatisch reduziert."

Dr. med. Brigitte Dietz, Kinderärztin, München

Rotaviren: Schluckimpfung mit sechs Wochen

Baby vor der Impfung

Rotaviren können schwere Brechdurchfälle hervorrufen - dagegen sollen Babys laut Impfkalender schon mit sechs Wochen geimpft werden. Viel zu früh, findet Kinderarzt Dr. Martin Hirte. Er berät Eltern individuell zum Thema Impfen und überlässt ihnen dann die Entscheidung.

"Die Impfkommission empfiehlt die Impfungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Ob das auch der günstigste Zeitpunkt ist, wage ich in Zweifel zu stellen. Ich meine, dass man zumindest darüber diskutieren soll, ob ein Kind schon so früh geimpft werden muss."

Dr. med. Martin Hirte, Kinderarzt, München

Windpocken-Impfung

Kind mit Windpocken

Auch die Impfung gegen Windpocken wird schon Kindern ab 11 Monaten empfohlen, seit nun 15 Jahren. Das zeigt Wirkung: 2017 gab es rund 22.000 Fälle in Deutschland. Vor Einführung der Impfung hatte das Virus noch 750.000 Menschen pro Jahr erwischt. Wer sich mit Windpocken infiziert, bekommt Fieber und Hautausschlag, Bläschen bilden sich am ganzen Körper.

Und doch - nicht alle Ärzte sind für die Impfung:

"Wir wissen nicht, wie lange die Impfung schützt. Die Zahlen jetzt sagen, dass eine zweimalige Impfung zunächst mal eine Schutzquote zwischen 85 und 95 Prozent hat. Aber mit der Zeit werden die Zahlen sinken. Wir müssen auf jeden Fall damit rechnen, dass Windpocken ins Erwachsenenalter verschoben werden und es da Komplikationen gibt."

Dr. med. Martin Hirte, Kinderarzt, München

Windpocken-Impfung: die Datenlage

Das Robert Koch-Institut hat die Daten zur Windpocken-Impfung von 2006 bis 2015 beobachtet. Das Ergebnis: "Nach den bisherigen Erfahrungen kann davon ausgegangen werden, dass die Impfung eine lang anhaltende Immunität induziert. Im zur Verfügung stehenden Zeitraum von acht Jahren nach der zweiten Impfung wurde kein Rückgang der Wirksamkeit festgestellt, die nach zwei Impfungen bei 94 Prozent lag. Eine ältere klinische Studie aus den USA zeigte bereits, dass zweimal geimpfte Kinder noch zehn Jahre nach der Impfung geschützt waren. Zweimal Geimpfte hatten weniger Durchbruchserkrankungen, das heißt dass die Krankheit trotz Impfung ausbricht, als einmal Geimpfte - und das Risiko für eine Durchbruchserkrankung erhöhte sich nicht über die Zeit. 

FAQ's zur Windpocken-Impfung vom Robert Koch-Institut
Evaluation der Windpocken-Impfung durch die STIKO
Studie aus den USA

Impfungen nachholen?

Was, wenn Eltern vergessen haben, Impfungen im empfohlenen Zeitraum durchzuführen?

"Im Prinzip können sie jede Impfung nachholen. Wenn das Kind schon fünf oder sechs Jahre alt ist, müssen sie nur auf einen anderen Impfstoff umsteigen. Wenn eine Impfung vergessen wurde oder der Zeitabstand zu groß ist, gibt es eine ganz klare Regel: Jede Impfung zählt."

Dr. med. Brigitte Dietz, Kinderärztin, München

Impfungen - welche Nebenwirkungen gibt es?

Impfgegner führen als Argument gegen Impfungen oft die Nebenwirkungen auf, sprechen von epileptischen Anfällen nach Impfungen. Eine unbegründete Angst, sagt Dr. Brigitte Dietz.

"Die üblichen Nebenwirkungen sind, dass die Stelle anschwillt, rot wird, dick wird, dass es zu Fieber kommt oder zu grippeähnlichen Symptomen wie Gliederschmerzen, Unwohlsein. Je nach Impfung treten diese Nebenwirkungen bei zehn bis 20 Prozent der Menschen auf. Bei manchen Impfungen bekommen auch 40 Prozent Fieber. Krampfanfälle nach Impfungen können auftreten, aber meistens dann durch die Fieberreaktion. Ich bin jetzt 26 Jahre niedergelassen - einmal habe ich ein Kind erlebt in der ganzen Zeit, dass einen Krampfanfall hatte."

Dr. med. Brigitte Dietz, Kinderärztin, München

Im Gegensatz zu den Folgen, die Krankheiten haben können, sind die akuten Nebenwirkungen der Impfungen zu vernachlässigen, sagt Dr. Martin Hirte. Aber:

"Natürlich haben Eltern Angst vor Nebenwirkungen. Die kann man ihnen nehmen, wenn man sagt: Vergleichen Sie mal die Krankheit mit der Impfung. Da schneidet die Impfung meistens besser ab. Das größere Problem, was ich sehe ist, dass wir nicht so viel wissen über die Langzeitfolgen von Impfungen."

Dr. Martin Hirte, Kinderarzt, München

Impfpflicht einführen?

Masern, Mumps, Röteln: Impfpass mit MMR-Impfung

Impfungen verhindern laut WHO weltweit zwei bis drei Millionen Todesfälle pro Jahr. Weitere 1,5 Millionen Menschen könnten gerettet werden, wenn noch mehr Leute geimpft wären. Politiker fordern immer wieder eine Impfpflicht in Deutschland. Ob das richtig ist - auch da sind sich die Ärzte nicht einig:

"Ich denke, dass es schwierig ist, eine Impfpflicht durchzuführen. Aber ich fände es gut, wenn es zum Beispiel für Masern oder Keuchhusten eine Impfpflicht gäbe."

Dr. med. Brigitte Dietz, Kinderärztin, München

"Von einer Impfpflicht würde ich mir gar nichts versprechen. Ich denke, da wäre in Deutschland sofort eine Verfassungsklage da. Und eine Impfpflicht würde Impfgegner nur radikalisieren."

Dr. med. Martin Hirte, Kinderarzt, München

"Impfkampagnen haben eigentlich genügend wissenschaftlichen und medizinischen Hintergrund, um zu überzeugen und nicht zu verpflichten."

Prof. Dr. med. Bernd Salzberger, Leiter der Infektiologie, Universitätsklinikum Regensburg

Impfen oder nicht – ein Streitthema, zu dem es viele Meinungen gibt. Die Impfquote für Masern will die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit einer Kampagne in diesem Jahr noch verbessern.

Impfen - Tipps für Eltern

Wie können Eltern nun am besten entscheiden, wogegen sie ihre Kinder impfen lassen wollen? Die Tipps der Ärzte: sich informieren und mit den Empfehlungen auseinandersetzen.

"Die Eltern sollen sich schlau machen, nicht nur auf den Seiten der Impfgegner sondern auch hören, was die Impfkommission sagt. Man kann auf jeden Fall nicht sagen, es gibt nur Impfen oder Nicht-Impfen."

Dr. Martin Hirte, Kinderarzt, München 

"Kritisch darüber nachzudenken, finde ich sinnvoll. Man sollte Regeln folgen, die man versteht. Insofern ist eine Beschäftigung mit dem Thema gut. Aber man muss die Beschäftigung auch auf eine vernünftige Art und Weise führen. Eltern sollten sich mit den Empfehlungen, die heute sehr gut ausgearbeitet sind, auseinandersetzen."

Prof. Dr. med. Bernd Salzberger, Leiter der Infektiologie, Universitätsklinikum Regensburg

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