Individuelle Gesundheitsleistung IGeL: Wann lohnt sich eine Zuzahlung wirklich?
Individuelle Gesundheitsleistungen, kurz IGeL, sind oft umstritten. Doch viele Arztpraxen bieten sie an. Gesetzlich Versicherte müssen diese Untersuchungen selbst bezahlen, wenn kein konkreter Verdacht auf eine Erkrankung vorliegt. Der „IGeL-Monitor“ bewertet IGeL auf ihren Nutzen und kommt zu einem ernüchternden Ergebnis.
Ob Ultraschall von Gebärmutter und Eierstöcken, Augenspiegelung oder ein Bluttest zur Früherkennung von Prostatakrebs: All diese Untersuchungen sind „IGeL“, also Individuelle Gesundheitsleistungen. Diese müssen gesetzlich Versicherte selbst zahlen, die Krankenkassen übernehmen nur bei konkretem Verdacht auf Erkrankungen. Wie viele IGeL es gibt, ist unbekannt – die Anzahl dürfte aber in die Hunderte gehen. Und das Geschäft mit den IGeLn brummt: Geschätzt mehr als eine Milliarde Euro Umsatz werden jährlich mit ihnen gemacht.
„IGeL-Monitor“ bewertet Leistungen nach Nutzen und Schaden
55 IGeL, die häufig beim Arzt angeboten werden, nimmt der Medizinische Dienst Bund in seinem „IGeL-Monitor“ unter die Lupe und bewertet sie nach Nutzen und Schaden. Das aktuelle Ergebnis: Gerade mal zwei Leistungen wurden mit „tendenziell positiv“ bewertet, der Rest mit „unklar“, „tendenziell negativ“ oder gar „negativ“.
Michaela Eikermann leitet den Bereich „Evidenzbasierte Medizin“ beim Medizinischen Dienst Bund und begleitet den IGeL-Monitor. „Viele IGeL, die häufig angeboten sind, können einer objektiven Überprüfung von Nutzen und Schaden tatsächlich nicht standhalten“, sagt sie.
Der IGeL-Monitor hat im Blick, welche Folgen eine Untersuchung nach sich ziehen kann. Ein auffälliger Befund könnte eine Übertherapie oder Belastungen durch weitere Tests auslösen. „Man möchte gerne abschätzen, wie häufig sind falsch-positive oder falsch-negative Befunde also, dass man versehentlich ein Befund bekommt, erkrankt zu sein, obwohl man gar nicht erkrankt ist. Also ein falscher Alarm.“
Ultraschall zur Früherkennung von Eierstockkrebs mit „negativ“ bewertet
Der IGeL-Monitor bewertet beispielsweise den Ultraschall zur Früherkennung von Eierstockkrebs mit „negativ“. Studien hätten gezeigt, dass mit einer Ultraschalluntersuchung gleich viele Frauen an Eierstockkrebs sterben wie Frauen ohne Untersuchung. Zudem würden Frauen durch falsch-positive Ergebnisse häufig unnötig beunruhigt, bei etwa drei von hundert Frauen würden gesunde, nicht krebserkrankte Eierstöcke entfernt.
Diese Bewertung kann die Münchner Frauenärztin Dr. Ariane Kunstein nicht nachvollziehen. Die Studien seien veraltet und wiesen methodische Mängel auf, dies habe bereits auch schon die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe bemängelt. Kunstein bietet wie viele Gynäkologen den vaginalen Ultraschall an – denn die gesetzlich vorgesehene Tastuntersuchung reiche als Vorsorge nicht aus.
"Der Ultraschall gibt uns die Möglichkeit, in die Gebärmutter und in die Eierstöcke hineinzukommen. Wir suchen nach allen Veränderungen, an der Gebärmuttermuskulatur, auch nach gutartigen Veränderungen, nach Polypen, nach Eierstocks-Veränderungen jeglicher Art. Das gibt uns die Möglichkeit, den Patientinnen auch die Informationen zu geben, dass da Veränderungen sind, sie gleichzeitig auch einzuordnen."
Dr. med. Ariane Kunstein, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, München
40 bis 50 Euro kostet so ein vaginaler Ultraschall – dieser sollte standardmäßig zur Vorsorge dazugehören, findet Ariane Kunstein. „Wenn jetzt die gesetzlichen Krankenkassen eine vernünftige Ultraschall-Bezahlung im Vorsorgepaket mitenthalten hätten, hätten wir sicher nicht den Druck, IGeL-Ultraschalluntersuchungen anzubieten.“
„Tendenziell negativ“: Früherkennung von Glaukomen
Die Verbraucherschutz-Webseite „Igel-Aerger.de“ sammelt Beschwerden von Patienten. Ganz vorne mit dabei war 2021 die Früherkennung von Glaukomen, also dem Grünen Star. Zur Diagnose misst der Augenarzt den Augeninnendruck, außerdem untersucht er bei einer Augenspiegelung mit einer Lupe den Sehnerv. Die gesetzliche Kasse übernimmt diese Leistungen nur bei konkretem Verdacht, die Untersuchung von Sehnervkopf und Netzhaut mit einem Laser dagegen nie. Doch um das Erblinden zu verhindern, sei das frühzeitige Erkennen wichtig, sagt der Münchner Augenarzt Prof. Michael Janusz Koss: „Es sind nach wie vor sehr viele in Deutschland, wo man das Glaukom einfach zu spät erwischt und dann die Progression oder den Verlauf nicht ordentlich stoppen kann“, sagt Koss.
Doch der IGeL-Monitor bewertet diese IGeL als „tendenziell negativ“, sagt Michaela Eikermann: „Da ist es so, dass wir aus den Studien zu wenig Daten haben, um etwas darüber aussagen zu können. Aber natürlich machen diese Augentropfen, die man dann zum Beispiel nehmen muss, gewisse Nebenwirkungen. Das haben wir auf der Schadenseite“
Patientenberater: „Nicht unter Druck setzen lassen“
IGeL werden konträr diskutiert. Der unabhängige Patientenberater Peter Friemelt von Münchner Gesundheitsladen hat regelmäßig mit Patienten zu tun, die sich bei den IGeLn über den Tisch gezogen oder unter Druck gesetzt fühlen.
"Die Patienten sagen, sie haben das nicht richtig verstanden, dass sie was zahlen sollen. Oder sie haben die Höhe nicht verstanden. Und wenn ich dann nachfrage ja, wurden Sie denn darüber aufgeklärt? Dann sagen die: Nein, ich wurde nicht darüber aufgeklärt, dass überhaupt Kosten entstehen."
Peter Friemelt; Sozialpädagoge und Patientenberater, Gesundheitsladen München
Er rät jedem, sich vor und bei einem Arztbesuch an einer Checkliste, wie von der Verbraucherzentrale, zu orientieren (siehe unten). Wichtig sei stets, gezielt nach Nutzen und Alternativen zu fragen und sich nicht unter Druck setzen lassen. „Es gibt keine IGeL-Leistung, die eine Notfallleistung ist. Sie müssen sich in keinem Fall beim ersten Besuch bei Ihrem Arzt für eine IGeL-Leistung entscheiden, sondern Sie können sagen, überlege ich mir bis zum nächsten Mal.“ Im Zweifel könne man eine Zweitmeinung bei einem anderen Arzt oder einer Beratungsstelle einholen – und so eine vielleicht überflüssige IGeL und Kosten verhindern.