HNO-Operationen bei Kindern HNO-Streik: Lange Wartezeiten bei Polypen- und Mandel-OPs
Auf klassische HNO-Operationen an Mandeln und Ohren müssen Kinder aktuell bis zu einem Jahr warten. Grund ist auch der sogenannte HNO-Streik: Viele niedergelassene HNO-Ärzte klagen über schlechte Bezahlung und wollen nur noch im Notfall ambulant operieren. Wenn Politik, Kassen und Ärzteschaft streiten, sind die leidtragenden am Ende die jungen Patientinnen und Patienten.
Gesundheit! trifft den sechsjährigen Benjamin und seine Eltern im Klinikum Großhadern. Für sie ist heute ein aufregender Tag. Der Junge wird operiert, er leidet unter ständigen Ohrenschmerzen und hört schlecht. "Die Schmerzen waren so, dass er wirklich nachts durchgeweint hat, sodass der HNO-Arzt gesagt hat, wir müssen ihn jetzt irgendwie medikamentös abdecken, dass er bis zur OP noch durchhält", berichtet Benjamins Mutter.
Dr. Veronika Volgger vom Klinikum Großhadern wird den Eingriff bei Benjamin durchführen. Für die Ärztin ist es wichtig, dass junge Patienten nicht zu lange auf einen Eingriff warten müssen, selbst wenn es sich nicht im engeren Sinne um einen medizinischen Notfall handelt. Denn das Gehör ist bei jüngeren Kindern ein sensibles Thema.
"Das ist kritisch für Kinder, die in einer sensiblen Phase sind, was die Sprachentwicklung angeht. Das Problem bei diesem jungen Patienten ist, dass er häufig Ohrenentzündungen hat bzw. einen Paukenerguss, also Flüssigkeit hinter dem Trommelfell, und dementsprechend schlecht hört. Das heißt, wir machen auf jeden Fall eine Polypenentfernung, wir machen ein Schnittchen ins Trommelfell."
PD Dr. med. Veronika Volgger – HNO-Ärztin, Klinikum Großhadern, München
Eigentlich ist das eine Standard-OP, die auch von vielen niedergelassenen HNO-Ärzten ambulant in Belegkliniken durchgeführt werden könnte. Doch die Familie musste rund zwei Stunden bis zum Uniklinikum anreisen. Zu Hause in Schwaben gab es keine Chance auf einen zeitnahen Termin.
"Also ich habe angerufen in der HNO-Klinik, da wäre der erste freie OP-Termin in den Sommerferien. Seit Oktober hat er das, also das wäre dann fast ein Jahr bis zur OP. Vor allem: Er ist Vorschulkind und hört nichts – durch diesen Verschluss. Das muss einfach bei ihm gemacht werden, bevor er in die Schule kommt."
Benjamins Mutter
9 Monate Wartezeit in Augsburg
Schwaben ist gerade besonders betroffen. Im Uniklinikum Augsburg landen immer mehr Kinder bei Prof. Zenk, die unter normalen Umständen in anderen HNO-Kliniken ambulant von Belegärzten operiert werden könnten.
"Leider ist es so, dass unsere Warteliste jetzt auf Oktober steht. Ich kann die Eltern mit ihren Ängsten verstehen und wir würden gerne mehr operieren, aber wir können das momentan aus Kapazitätsgründen einfach nicht durchführen."
Prof. Dr. med. Johannes Zenk – HNO-Arzt, Universitätsklinikum Augsburg
Wer einen Termin bekommt, hat also Glück – betroffen sind auch Mandel-OPs. Im Wartebereich im Augsburger Uniklinikum trifft Gesundheit! Johannes und seine Mutter. Der Junge hat stark vergrößerte Gaumenmandeln und Polypen. In der Folge leidet er immer wieder unter Infekten. "Bei ihm ist es halt so extrem, weil er durch die Verengung keine Luft bekommt. Er schläft mit einem normalen Schnupfen schon extrem schlecht, er schläft oft im Sitzen, weil er sonst keine Luft bekommt", erzählt seine Mutter.
HNO-Streik: Ärzte fordern bessere Bezahlung
Ein Grund für den OP-Engpass: Bestimmte Eingriffe werden seit Januar etwas schlechter vergütet. Bei einer Polypenentfernung sind es aktuell rund 107 statt bisher 111 Euro. Viele Ärzte klagen aber, dass schon die alte Bezahlung nicht kostendeckend gewesen sei. Der Bundesverband der HNO-Ärzte ruft deshalb dazu auf, solche OPs außer in Notfällen nicht mehr durchzuführen.
Die Krankenkassen schießen zurück – der GKV-Spitzenverband ist in die Offensive gegangen und hat den Ärztestreik in zahlreichen Medien scharf verurteilt und spricht von einer „empörenden Kampagne der HNO-Ärzte“. Insgesamt seien die Ärzte durch die Neukalkulation von ambulanten Gebühren keinesfalls schlechter gestellt worden, weil andere HNO-OPs nun höher vergütet werden.
Beispielfall: Polypenentfernung und Paukenröhrchen
Benjamin im Klinikum Großhadern benötigt genau so eine Operation, die jetzt etwas schlechter vergütet wird. Gesundheit! darf Dr. Veronika Volgger in den OP begleiten. Zunächst entfernt die Ärztin die Rachenmandeln, also die Polypen, die die Belüftung des Mittelohrs blockieren und eine Ursache von Benjamins Hörproblemen sind.
"Die Rachenmandel, eben klassisch auch als Polypen bezeichnet, ist ein lymphatisches Gewebe, das ganz hinten in der Nase sitzt", erklärt Dr. Volgger. Dann setzt sie einen winzigen Schnitt ins Trommelfell und prüft, ob sich Sekret im Mittelohr angesammelt hat. Im OP fällt die Entscheidung, ob zusätzlich ein Paukenröhrchen eingesetzt werden muss oder nicht.
Bei Benjamin wird das sogenannte Paukenröhrchen zum Abschluss ins Trommelfell eingesetzt und hält es offen, so dass bei künftigen Infektionen Sekret abfließen und er weiterhin gut hören kann. Solche Paukenröhrchen fallen in der Regel nach rund drei Monaten von selbst wieder heraus.
Hybrid-DRGs als Lösung?
Der Vorsitzende des Bayerischen HNO-Berufsverbands meint, dass das Problem auch ohne den umstrittenen Aufruf bestünde. Viele Kliniken würden ihren Belegärzten für solche OPs kündigen, weil sich auch für die Krankenhäuser der Aufwand nicht lohne.
"Jeder der noch operiert hat, hat in der Vergangenheit schon draufgezahlt. Und jetzt sind solche Operationen oft gar nicht mehr möglich. Also es muss das passieren, das längst überfällig ist. Wir brauchen hybride DRGs, die für Klinik und Praxis ein auskömmliches Operieren garantieren."
Dr. med. Bernhard Junge-Hülsing, Bayerischer Berufsverband der HNO-Ärzte, Starnberg
Tatsächlich will auch die Bundesregierung, trotz scharfer Kritik am HNO-Streik, grundsätzlich stärker auf Hybrid-DRGs setzen – also die Bezahlung ambulanter und stationärer OPs angleichen. Das könnte das Angebot an ambulanten OPs erhöhen.