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X-Beine und O-Beine Achs-Schiefstellung: Wenn krumme Beine Probleme bereiten

Bei Kniebeschwerden kann eine Fehlstellung Schuld sein, wie ein X-oder ein O-Bein. Schon ein leichtes O-Bein kann Probleme machen. Eine Beinbegradigung, die sogenannte Umstellungsosteotomie, kann helfen, ein künstliches Kniegelenk hinaus zu zögern oder ganz zu vermeiden. Gesundheit! hat zwei Patientinnen begleitet.

Von: Julia Richter

Stand: 10.06.2019

Achs-Schiefstellung: Was tun, wenn krumme Beine Probleme bereiten?  | Bild: Screenshot BR

Jedes Mal, wenn Susanne Kassel versucht, in die Knie zu gehen, hat sie Schmerzen. Für die vierfache Mutter und Erzieherin ist das eine große Belastung. Wandern, Treppensteigen, einfach etwas vom Boden aufheben – jedes Mal spürt sie ihr Knie.

"Das ist ein stechender Schmerz. Und in meinem Job schränkt mich das sehr ein. Ich bin Erzieherin und arbeite viel am Boden. Ich setze mich immer wieder in die Hocke auf die Knie. Das ist für mich eigentlich das Schlimmste, dass das für mich nicht mehr so leicht funktioniert wie früher."

Susanne Kassel

Leichte Achsabweichung bleibt oft unbemerkt

Die 44-Jährige geht von Arzt zu Arzt, bis sie erfährt, was die Ursache ist: Nach einer eingehenden Untersuchung vermutet Orthopäde Dr. Prall von der Schön Klinik in München eine Fehlstellung als Auslöser. Spezielle Röntgenaufnahmen des gesamten Beins zeigen: Susanne Kassel hat auf der linken Seite ein leichtes O-Bein, was von außen nicht zu erkennen ist.

"Die Patientin hat mit zwei bis drei Grad Achsabweichung ein moderates O-Bein. Das bleibt häufig von den Patienten selbst unbemerkt. Das O-Bein führt trotzdem zu einer vermehrten Belastung auf der Innenseite und damit zu einem frühzeitigen Verschleiß."

Dr. med. Wolf Christian Prall, Schön Klinik, München Harlaching

Arthrose als Folge

Genau das ist bei ihr passiert. Die Folge: Arthrose. Der Knorpel der Knie-Innenseite ist beschädigt. Auf dem Röntgenbild sieht man deutlich, dass der Gelenkspalt bereits verschmälert ist.

"Beim geraden Bein liegt der Mittelpunkt des Kniegelenks genau auf der Linie zwischen Sprunggelenks- und Hüftgelenksmitte. Beim O-Bein liegt der Mittelpunkt des Kniegelenks außerhalb der Linie und darüber wird die Innenseite des Knies vermehrt belastet. Beim X-Bein ist es genau andersherum, da liegt der Mittelpunkt des Kniegelenks innerhalb dieser Linie und darüber wird die Außenseite des Kniegelenks vermehrt belastet."

Dr. med. Wolf Christian Prall, Schön Klinik, München Harlaching

Bei Beschwerden handeln

Nicht alle Menschen mit einem X- oder einem O-Bein bekommen eine Arthrose. Handlungsbedarf besteht nur bei Beschwerden. Die hatte auch Luna Konduktorow. Die heute 21-Jährige litt jahrelang unter ihren massiven O-Beinen. Ein kurzes Kleid oder ein kurzer Rock - bis vor einem Jahr war das undenkbar für die Studentin.

"Am meisten gestört hat mich zum einen das Optische. Als junges Mädchen in dem Alter konnte ich keine Kleider tragen, keine Röcke, keine engen Hosen. Das war schon belastend. Und dann natürlich die Schmerzen, die im Knie sehr stark waren, und das Ziehen, das war extrem unangenehm."

Luna Konduktorow

Dr. Peter H. Thaller von der Uniklinik München untersucht Luna zum ersten Mal als Schülerin, als sie 17 Jahre alt ist. Nach genauester Vermessung der Beine ist der Fall für ihn klar.

"Theoretisch könnten Sie hundert Jahre alt werden mit einem milden O-Bein, ohne jemals Probleme zu haben. Bei Luna ist es allerdings so, dass sie schon eine sehr starke O-Bein-Abweichung hat auf beiden Seiten. Sie hat Beschwerden, die seit langer Zeit konservativ versucht wurden in den Griff zu kriegen und jetzt haben wir doch eine Operation empfohlen, eine Begradigung der Beinachse auf beiden Seiten."

Dr. med. Peter H. Thaller, Leiter 3D-Chirurgie an d. Klinik f. Allgemeine- Unfall- u. Wiederherstellungschirurgie d. Klinikums d. Universität München

Konservative Behandlung hilft im Anfangsstadium

Beide Patienten versuchen zunächst, die Beschwerden mit konservativen Mitteln in den Griff zu bekommen. Susanne Kassel bekommt spezielle Einlagen. Durch einen erhöhten Außenrand wird das O-Bein ausgeglichen – und der Innenbereich des Knies entlastet.

Eine Schiene begradigt das Bein quasi von außen und zwingt es in die richtige Position. Das tut gut, ist aber keine Dauerlösung, weil so eine Orthese die Bewegungsfreiheit im Alltag einschränkt. Bücken kann sie sich mit der Schiene nicht gut. Auch Hyaluronsäure-Spritzen hat Susanne Kassel schon ausprobiert, sie sollen die Gleiteigenschaft im Gelenk etwas verbessern.

Unterstützend wirkt Krankengymnastik: Zwar lässt sich ein O-Bein nicht „wegtrainieren“ aber durch Dehn- und Kräftigungsübungen kann man die Muskulatur verbessern. Wichtig ist hierbei, dass die Übungen nach genauer Anleitung gemacht werden, entscheidend ist die richtige Haltung vom Fuß bis zur Hüfte. Wunder darf man von all dem aber nicht erwarten. Die konservative Therapie ist bei Fehlstellungen begrenzt.

"Die konservativen Therapien sind insbesondere in der frühen Phase wichtig, sie führen dazu, dass der Patient weniger Beschwerden hat und dass der Verschleiß in dem Gelenk verzögert wird. Nichtsdestotrotz ist es so, dass die mechanischen Ursachen durch die konservativen Therapieansätze nicht behoben werden."

Dr. med. Wolf Christian Prall, Schön Klinik, München Harlaching

Die Ursachen sind meist unklar

Warum es zu so einer Achs-Fehlstellung kommt, weiß man nicht. Eine Studie der Uniklinik München hat gezeigt, dass intensiver Leistungssport wie Fußball-Spielen in jungen Jahren ein O-Bein begünstigen kann. Breitensport hat hingegen keinen negativen Effekt. Fest steht: Im Laufe der Jahre können sich O-Beine verstärken und die Beschwerden zunehmen.

Umstellungsoperationen

Sollte sich der Knorpelrand weiter verringern, empfiehlt sich häufig eine baldige Begradigungsoperation. So ein Eingriff lohnt sich, bevor der Knorpel zu dünn ist. Bei einer Beinbegradigung, einer sogenannten Umstellungs-Osteotomie, wird die Achse korrigiert, die Fehlstellung behoben. Der Eingriff ist aufwendig, kann aber Folgeschäden vermeiden:

"Grundsätzlich ist das für jeden Patienten geeignet. Ganz besonders für junge Patienten, die schon in frühen Jahren Beschwerden haben aber auch für Ältere. 65 Jahre war früher so eine virtuelle Grenze. Ich operiere aber auch 75-Jährige, um eben einen zu frühen Kniegelenks-Ersatz oder einen unnötigen Kniegelenks-Ersatz zu vermieden."

Dr. med. Peter H. Thaller, Leiter 3D-Chirurgie an d. Klinik f. Allgemeine- Unfall- u. Wiederherstellungschirurgie d. Klinikums d. Universität München

Auch Susanne Kassel hat sich in der Schön Klinik für eine Beinbegradigung entschieden: Ohne die OP bräuchte sie wohl bald ein künstliches Knie-Gelenk:

"Das wäre einfach die Horrorvorstellung jetzt schon ein künstliches Gelenk zu bekommen. Ich glaube, das ist einfach zu früh für mich und ich weiß auch nicht, ob ich dann in meinem Beruf noch so aktiv sein kann mit einem künstlichen Gelenk wie ich es vielleicht jetzt mit der Umstellungsoperation hoffentlich noch sein kann."

Susanne Kassel

Die Umstellungsosteotomie ist ein gelenkerhaltendes Verfahren. Es erfolgt unter Vollnarkose. Der Chirurg sägt in den Knochen und biegt ihn auf - bis zu dem Grad, der die Fehlstellung ausgleicht. In diesem Winkel wird das Bein fixiert mit einer Spezialplatte. Später wächst dort Knochengewebe nach und härtet aus. Fast zwei Stunden dauert der Eingriff. Währenddessen wird mithilfe der Röntgen-Aufnahmen kontrolliert, ob die Begradigung passt.

Die Patientin muss ein paar Tage im Krankenhaus blieben. Unmittelbar nach dem Eingriff beginnen krankengymnastische Übungen. Danach folgt Reha. Rund sechs Wochen braucht der Knochen bis er zusammengewachsen ist. Nach einem Jahr folgt die zweite OP – dann werden die Schrauben und die Platte wieder entfernt.

Luna hat insgesamt vier OPs hinter sich und ist sehr zufrieden mit ihren geraden Beinen. Auch wenn die Eingriffe und die Reha danach aufwendig waren, hat es sich gelohnt:  

"Am meisten freut mich jetzt, dass ich wieder auf Konzerte gehen kann. Ich kann in die Stadt gehen, ich kann lange wandern gehen ohne Sorgen zu haben, dass ich am Abend Schmerzen haben werde. Ich habe auch keine Angst mehr, dass ich in der Zukunft, wenn ich älter bin, da große Probleme haben werde, dass es sich verschlimmert."

Luna Konduktorow

Studien zeigen, dass bei einer rechtzeitigen Umstellungs-OP den meisten Patienten ein künstliches Kniegelenk erspart bleibt und sie wieder voll belastbar sind im Kniegelenk.


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