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Von Jagd-Zecken, Tigermücken und Fledermäusen Klimakrise befördert Ausbreitung neuer Erreger

Veränderte Wetterbedingungen ermöglichen es Krankheitserregern, sich in neuen Regionen auszubreiten. So könnten auch hierzulande exotische Zeckenarten oder Stechmücken aus wärmeren Regionen gefährliche Krankheitserreger übertragen. Werden sich künftig Tropenkrankheiten wie das West-Nil-Fieber, Dengue-Fieber oder das Zika-Virus in Deutschland ausbreiten? Wissenschaftler untersuchen derzeit unter anderen das Migrationsverhalten von Fledermäusen – denn diese Tiere könnten ebenfalls neuartige Erreger auf den Menschen übertragen.

Von: Isabel Hertweck-Stücken

Stand: 22.04.2022

Hyalomma-Zecke | Bild: Robert-Koch-Institut

Peter Hagedorn gehört zu den wenigen Menschen, die aktiv nach ihnen suchen: Normalerweise jagen sie uns. Die Rede ist von „Ixodes ricinus, und Dermacentor reticulatus“: umgangssprachlich „Zecken“.

In seinem „Jagdrevier“ in einem Wald bei Berlin findet Hagedorn, der auch den deutschen „Zecken-Atlas“ des Robert Koch-Instituts betreut, seit ein paar Jahren eine völlig veränderte Zeckenpopulation. Statt „Holzböcken“ herrscht hier nun die „Auwald-Zecke“ vor. Die Auwaldzecken sind etwa doppelt so groß, agiler, auch im Winter aktiv, und sie tragen einen bunten Cocktail an Krankheitserregern in sich.

"Die Auwaldzecke kann wie der Holzbock FSME übertragen, aber der vorrangige Krankheitserreger der durch die Auwaldzecke übertragen wird, sind Rickettsien."

Dr. rer. nat. Peter Hagedorn, Zentrum für Biologische Gefahren und Spezielle Pathogene, Robert Koch-Institut Berlin

Neue Erkrankungen können in Folge der Klimakrise bei uns heimisch werden: Menschen, Tiere und Pflanzen müssen mit völlig veränderten Bedingungen klarkommen. Zecken reagieren – in ihrer Entwicklung von der Larve zum adulten Tier – besonders empfindlich auf Trockenheit. Und die ist seit einigen Jahren im Berliner Forst deutlich zu spüren, und zu sehen.

"Es sterben häufiger die Buchen und die Birken, in dieser Gegend um Ruprechtsfelde, und das liegt an dieser tiefen Vertrocknung des Bodens."

Olaf Zeuschner, Revierförsterei Buch, Berliner Forsten

Die Auwald-Zecken scheinen mit der Trockenheit im Boden besser zurecht zu kommen, als der Holzbock: Hagedorn vermutet, dass es daran liegt, dass der Holzbock seine Eier direkt auf dem Boden ablegt, die Auwald-Zecke dagegen legt ihre Eier in den Nestern ihrer Wirtstiere ab.

Die Natur verändert sich überall. Welche Zecken regional vorherrschen, hängt stark von lokalen Faktoren ab. Aus ganz Deutschland bekommt Peter Hagedorn für seinen „Zecken-Atlas“ Zusendungen von Zecken – per Post.

Besonders aufmerksam beobachtet er dabei das – aktuell noch vereinzelte - Auftreten von Hyalomma-Zecken. Im Unterschied zu heimischen Zecken verfolgen sie ihre Opfer über Hunderte von Metern. Sie können das gefährliche Krim-Kongo-Fieber übertragen, und können sich – bei passenden klimatischen Bedingungen – rasend schnell ausbreiten.

"In der Türkei hat hat man vor 2003 Zecken untersucht, die von Tieren abgesammelt wurden, landesweit, und da hat man gesehen, weniger als 5 Prozent von diesen Tieren sind Hyalomma Zecken. 2005 waren 95 Prozent der Zecken Hyalomma Zecken."

Dr. rer. nat. Peter Hagedorn, Zentrum für Biologische Gefahren und Spezielle Pathogene, Robert Koch-Institut Berlin

Die Tiere, die Hagedorn vor allem im Sommer zugeschickt bekommt, sind mit Zugvögeln aus Afrika nach Zentraleuropa gereist. Um sich hierzulande zu vermehren, brauchen sie im Sommer über eine gewisse Zeit konstante Durchschnittstemperaturen über 20 Grad. (d.h. Durchschnittstemperaturen aus Tag- und Nachttemperaturen). Sobald diese klimatischen Voraussetzungen erfüllt sind, können sie sich ungebremst vermehren: Natürliche Feinde haben sie hierzulande nicht.

Fledermäuse: Einzigartige Abwehrspezialisten und uraltes Viren-Archiv

Proben von potientiellen Krankheitserregern aus ganz Deutschland, untersucht auch Dr. Claudia Kohl. Die Virologin arbeitet – wie Hagedorn – am Zentrum für Biologische Gefahren und spezielle Pathogene am Robert Koch Institut in Berlin und konzentriert sich auf eine ganz bestimmte Spezies: Fledermäuse.

"Fledermäuse sind die ältesten Säugetiere die wir kennen, sie sind schon 60 Mio Jahre alt in ihrer Entwicklung, und haben sich seitdem als lebendes Fossil kaum mehr entwickelt. - Sind daher auch ein Pool für Viren, die sich schon sehr früh entwickelt haben, und die wir auch heute noch nachweisen können."

Dr. rer. nat. Claudia Kohl, Zentrum für Biologische Gefahren und Spezielle Pathogene, Robert Koch-Institut Berlin

Kohl untersucht und überwacht, welche Viren und Bakterien aktuell in Fledermäusen auftreten und welche Viren, in welcher Menge, die Tiere ausscheiden. Dafür arbeitet sie eng mit Bayerischen Spezialisten zusammen.

In Bamberg, im sogenannten Vereinshain, an der Regnitz, sammelt eine Gruppe von Freiwilligen, für das RKI, Proben von Fledermäusen. Unter der Leitung eines ehemaligen Mitarbeiters des Landratsamts Forchheim werden die Tiere vorsichtig aus den Kästen genommen, Art und Geschlecht bestimmt.

"Wir haben relativ standorttreue Fledermäuse, die besiedeln ein paar Quadratkilometer, wir haben aber auch Fledermausarten, die ziehen, wie Zugvögel, über tausende von Kilometern."

Johannes Mohr, Fledermausexperte, Forchheim

Die Klimakrise verändert auch diese Migrationsrouten der Fledermäuse. Die Proben, die hier in Bamberg gesammelt werden: Fledermausspeichel, und Fledermauskot, liefern unschätzbar wertvolle Daten darüber, welche Viren die Tiere im Gepäck haben, und welche sie tatsächlich ausscheiden.

"Wir können dann also in Zukunft Arten in Deutschland finden, die früher nur in Spanien, oder Ungarn oder ähnlichen Ländern gefunden wurden, und dadurch natürlich auch die Viren, die wir in diesen Ländern identifizieren können."

Dr. rer. nat. Claudia Kohl, Zentrum für Biologische Gefahren und Spezielle Pathogene, Robert Koch-Institut Berlin

Eine konkrete Bedrohung für Menschen wurde dabei übrigens nicht ausgemacht.Die Grundlagenforschung an Fledermaus-Viren könnte uns bei zukünftigen Pandemien aber einen entscheidenden Informations-Vorsprung bringen.

"Wir brauchen keine Angst haben vor Fledermäusen. Im Gegenteil, wenn ich an die Zwergfledermäuse denke in den Städten, eine Zwergfledermaus frisst 2000 Stechmücken pro Nacht."

Johannes Mohr, Fledermausexperte, Forchheim

Fledermäuse

Fledermäuse tragen auch sogenannte „hochpathogene“ Keime in sich. Da sich die Lebensräume von Menschen und Fledermäusen selten überschneiden, kommt es aber fast nie zu Übertragungen.

Die Zerstörung ihrer angestammten Lebensräume durch menschliche Eingriffe in die Natur, und die Klimaveränderungen durch die Klimakrise sind Faktoren, die eine Übertragung wahrscheinlicher machen könnten. Aktuell wird z.B. untersucht, wie der „Stresslevel“ der Fledermäuse ihre „Virus-Ausscheidungen“ beeinflusst.

Tigermücken: Stechmücken und Krankheitsüberträger 2.0

Das Potential von Fledermäusen als natürliche Fress-Feinde von Insekten könnte in Zukunft eine größere Rolle spielen. Denn eine neue Stechmückenart – die auch als potenter Krankheitsüberträger gilt, hat sich bereits in Deutschland etabliert. Die Tigermücke. Mitten in München, auf einem Friedhof, wurde sie auch schon gesichtet: Darum will das Gesundheitsamt zeitig gegensteuern.

"Die Tigermücke – anders als die heimische Mücke, ist sehr aggressiv, sie ist auch tagsüber aktiv, und deshalb haben wir ein großes Interesse, dass sich hier eine Population nicht ansiedeln kann."

Jens Gerhardt, Gesundheitsreferat Landeshauptstadt München

Für die Vermehrung reicht der Tigermücke eine winzige Wasserpfütze: Kleine Reservoirs müssen darum immer wieder kontrolliert und ausgewischt werden.

"Damit sich die Eier nicht am Rand [des Gefäßes] anlagern können.  Am besten einmal in der Woche das Wasser erneuern, und gründlich saubermachen."

Toni Ramuno, Städtische Friedhöfe München

In den Tropen gilt die Tigermücke als Überträger von Zika- Dengue, und West-Nil-Viren – anders – noch – hierzulande.

"Die Wahrscheinlichkeit ist aktuell sehr sehr gering, für so eine Übertragung müssen immer mehrere Komponenten zusammenkommen, zum einen braucht man jemanden, der damit infiziert ist, diese Krankheiten gibt’s in Deutschland im Grunde nicht."

Jens Gerhardt, Gesundheitsreferat Landeshauptstadt München

Wobei es – laut RKI – seit 2019 in Ostdeutschland einige Fälle von in Deutschland erworbenen West-Nil-Erkrankungen gab. Zur Panik sicher kein Grund: Aber möglicherweise müssen wir uns, im Zuge der Klimakrise, auf neue Infektionen.


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