Sport im Erwachsenenalter Jetzt bloß nicht einrosten
Regelmäßige Bewegung - da sind sich Mediziner einig - fördert nicht nur das Wohlbefinden, sondern kann auch dem schleichenden Einsetzen von Alterserkrankungen entgegenwirken. Hört sich auf dem Papier völlig plausibel an. Aber wie integriert man Sport und Entspannung in einen randvoll gepackten Alltag mit stressigem Job, Familie und zu wenig Schlaf?
Das Kind hat nachts Albträume und muss getröstet werden. Um sechs Uhr früh klingelt trotzdem gnadenlos der Wecker und was dann folgt, gleicht in der viel beklagten „Rush Hour“ des Lebens einem Marathon aus Terminen und Verpflichtungen. Doch regelmäßige Sporteinheiten brauchen Zeit – woher soll man die nehmen?
"Grundsätzlich ist es so, dass die Patienten im jungen Lebensalter noch Zeit haben, sich um Sport zu kümmern, da ist es ihnen auch noch wichtig. Aber mit Abschluss der Ausbildung tritt der Beruf ins Zentrum und da fällt dann die Zeit für den Sport oft weg. Damit ist letztendlich die Energiebilanz am Ende deutlich höher. Das heißt: Gewichtszunahme, Rückgang der Muskulatur, die Gefahr für Bluthochdruck und Folgeerkrankungen steigt."
Dr. med. Alexander Rucker, Orthopäde und Sportmediziner, München
"Ich bin schon überzeugt, dass an dem Spruch ‚Mit 30 fängt der Körper an mit den Wehwehchen‘ definitiv was dran ist. Das habe ich selbst ganz stark gemerkt – Sport treiben war schwer in den Alltag einzubauen. Nachdem meine Rückenschmerzen aber immer schlimmer wurden, war klar: Irgendwas muss passieren."
Kathrin Rottman, Augsburg
Nicht „Top-Form“ und Mukkiberge, sondern Erhaltung der Muskulatur
Eine trainierte Muskulatur wirkt sich nicht nur auf Beweglichkeit und Wohlbefinden aus – sie trägt auch essentiell zu einem gesünderen Alterungsprozess bei. Sie dient der Sturzprophylaxe, aber hilft auch bei der Fettverbrennung, was Entzündungshormonen und Herz-Kreislauferkrankungen entgegenwirkt. Ein hilfreicher Startschuss kann der Check-Up beim Hausarzt oder Sportmediziner sein, am Besten gleich, wenn sich erste Probleme dauerhaft bemerkbar machen wie wachsendes Bauchfett, Knie- oder Rückenschmerzen. Von letzteren sind Arbeitnehmer im mittleren Lebensalter besonders betroffen.
Schmerzen im Bewegungsapparat - ein flächendeckendes (Kosten-) Problem
Im Jahr 2015 waren rund 36 Millionen Patienten von Muskelschmerzen betroffen, 22 Millionen davon leiden unter Rückenschmerzen. Diese Rückenschmerzpatienten, vor allem die chronischen, schweren Fälle, die sich oftmals vorzeitig in Rente gehen müssen, verursachen pro Jahr 40 bis 50 Milliarden Euro direkte und indirekte Kosten – also von der akuten Behandlung über Operationen bis hin zu Ausfalltagen in der Arbeit.
"Natürlich bedeuten eine monotone, sitzende Tätigkeit oder auch eine monotone Tätigkeit an einem Industrieband eine extreme einseitige körperliche Belastung, die dann zu Rückenschmerzen führt. Der Grad der körperlichen Belastung sagt aber nicht unmittelbar etwas darüber aus, ob jemand Rückenschmerzen entwickelt."
Prof. Dr. Dr. Thomas Tölle, Schmerzmediziner, TU München
Eigeninitiative gegen chronische Schmerzen, Spritzen und OPs
Denn Schmerzen des Bewegungsapparates sind ein komplexes Phänomen. Um im stressigen Alltag dagegen angehen zu können, einer Chronifizierung vorzubeugen und beweglich zu bleiben, bedarf es laut Schmerzexperte Prof. Thomas Tölle ein Verständnis für den eigenen Schmerz und viel Eigeninitiative des Patienten. Zu den drei Säulen eines gesunden Rückens gehören die Kräftigung der Muskulatur, die Erhaltung der Beweglichkeit und gezielte Entspannung. Einmal die Woche für zwanzig Minuten zur Physiotherapie seien da nicht ausreichend, so der Experte.
Im Modellprojekt Rise-uP im Klinikum rechts der Isar soll mit Hilfe von telemedizinischer Vernetzung und e-Health die Selbstwirksamkeit des Patienten gestärkt werden.
"Ich sage meinen Patienten immer: Ich kann diese Übung nicht für sie durchführen, ich kann mich auch nicht für Sie entspannen. Sondern Sie müssen das machen. Und wenn sie merken, dass es Ihnen gut tut, werden Sie dabei bleiben. Und das sind genau die Erfahrungen, die wir in unserer multimodalen Therapie sehen und die wir deswegen in einer multimodalen medizinischen App umgesetzt haben."
Prof. Dr. Dr. Thomas Tölle, Schmerzmediziner, TU München
Der Schlüssel liegt in kleinen Einheiten
Gemeinsam mit einem Münchner Start Up hat Prof. Tölle die App Kaia (https://www.kaia-health.com/) entwickelt, mit der Patienten täglich ein medizinisch fundiertes, individuelles, nur fünfzehn Minuten langes Übungs- und Entspannungsprogramm „nach Hause“ bekommen. Gerade in einem stressigen Alltag wird das Fitnessstudio-Abo zwar häufig abgeschlossen, feste Kurszeiten oder Trainingstermine fallen dann leider doch viel zu häufig aus. Als behandelnder Arzt wie auch als Patient müsse man da kreativ werden.
Wer sich nicht regelmäßige Termine für Sport und auch nicht mehrere Stunden am Stück blocken kann, für den liegt der Schlüssel in einer Kombination aus festen Einheiten, wie zum Beispiel einer kurzen morgendlichen Meditationsübung, und flexiblem Ausdauer- und Muskeltraining. Fünfzehn Minuten gezielte Stärkung am Tag und regelmäßiges zu Fuß gehen stabilisieren den Körper mehr als einmal die Woche „Hochleistungssport“. Wer alles schafft, der bekommt natürlich ein Fleißsternchen.