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Widerspruchslösung und Ärzte des Vertrauens So könnte die elektronische Patientenakte jetzt durchstarten

Seit 2021 gibt es die elektronische Patientenakte (ePA). Versicherte können sie als App auf ihrem Handy einrichten. Doch bisher wird das Angebot kaum genutzt. Nun soll eine Widerspruchslösung zum Durchbruch verhelfen.

Von: Florian Heinhold

Stand: 05.05.2023

Wenn man sich in einer Notaufnahme umsieht, wird schnell klar, warum vor allem Klinikärzte auf eine funktionierende elektronische Patientenakte pochen. Im Notfallzentrum am Klinikum Großhadern schlagen jeden Tag etliche Patienten mit allen denkbaren Erkrankungen und den unterschiedlichsten Vorbehandlungen auf.

Klinikärzte fordern schnelle Verbesserungen bei der ePA

In Notfällen müssen die Ärzte schnell handeln und herausfinden: Welche Vorerkrankungen gibt es? Welche Medikamente nimmt der Patient? Aber diese Infos sind extrem schwer zu bekommen.

"Wir haben keine Ahnung, welche Operation gemacht worden ist. Wir haben keine Diagnostik, wir haben kein Labor und keine Vorgeschichte. Wir wissen nicht, was die Patienten für Medikamente nehmen, wenn sie nicht zufällig einen Medikamentenpass dabei haben. Alle diese Dinge gibt es nicht, und das gefährdet Menschenleben. Es ist absolut essenziell, dass wir eine elektronische Patientenakte bekommen."

Prof. Dr. med. Markus Lerch, Ärztlicher Direktor, LMU-Klinikum München

Elektronische Patientenakte schon seit 2021

Dabei gibt es die Elektronische Patientenakte eigentlich schon seit 2021 – Patienten können sie freiwillig bei der Kasse beantragen. Behandelnde Ärzte sollten so die Krankenakte ihrer Patienten einsehen können. Nur leider hat fast niemand das Angebot wahrgenommen. Das bedeutet, dass die Notfallmediziner in Großhadern im Ernstfall mühsame Detektivarbeit machen müssen.

"Es erfordert viele Telefonate, da werden dann Faxe geschickt, teilweise werden Angehörige gebeten, Befunde persönlich vom niedergelassenen Arzt einzuholen."

Prof. Dr. med. Matthias Klein,  Neurologe und Notfallmediziner, LMU-Klinikum München

Kaum bekannt, kompliziert zu beantragen

Auch in der Hausarztpraxis von Dr. Abbushi in Oberhaching merkt man: Die ePA ist bisher ein kompletter Flop. Von den Patienten weiß so gut wie niemand, dass es sie gibt.

"Bis jetzt haben mich ein oder zwei Patienten darauf angesprochen. Das war's dann aber auch. Wir sehen hier viele hundert Patienten täglich, also ist das eine verschwindende Menge."

Dr. med. Oliver Abbushi, Allgemeinmediziner, Bayerischer Hausärzteverband, Oberhaching

Das liegt auch daran, dass der Antrag kompliziert ist. Versicherte müssen zuerst auf dem Handy eine App runterladen, dann einen Bestätigungsbrief abwarten und am Ende haben viele Ärzte noch keinerlei Erfahrung im Umgang mit der ePA.

"Das ist komplett gescheitert, so wie das jetzt aussieht."

Dr. med. Oliver Abbushi, Allgemeinmediziner, Bayerischer Hausärzteverband, Oberhaching

Gesundheitsminister plant Widerspruchslösung

Deshalb hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach jetzt die Reißleine gezogen. In Zukunft soll jeder Patient automatisch eine elektronische Patientenakte bekommen, wenn er nicht aktiv widerspricht.

Wie genau diese Widerspruchslösung aussehen wird, ist aber noch unklar. Und das bereitet Patientenvertretern Sorge. Für Patientenberater Jürgen Kretschmer vom Gesundheitsladen in München ist klar: Datenschutz und Selbstbestimmung müssen gewahrt bleiben. Viele Patienten würden zum Beispiel nicht verstehen, warum ihr Zahnarzt über eine Psychotherapie informiert sein sollte.

"Wer reinschreiben darf, wer welche Inhalte sehen darf und was wohin automatisch weitergeschickt wird, sollte nur mit aktiver Zustimmung des Patienten erfolgen. Das ist eigentlich die große ethische Frage."

Jürgen Kretschmer, Patientenberater, Gesundheitsladen, München

Datenschutz und die große ethische Frage

Aber eben nicht die einzige ethische Frage – denn auch die medizinische Forschung ist auf digitale Daten angewiesen, um Menschen zu helfen, sagt die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx.

"Es geht nicht nur um den Schutz und die Sicherheit von Daten. Das ist absolut wichtig, überhaupt gar keine Frage. Aber wir haben auf der anderen Seite Dinge, die wir verlieren für Patientinnen und Patienten, für die Medizin, für das Gesundheitswesen, wenn Daten nicht genutzt werden. Und dann ist das auch aus ethischer Perspektive ein Problem."

Prof. Dr. med. Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, München

Am LMU-Klinikum ist Prof. Lerch überzeugt, dass sich Datenschutz und ePA vereinen lassen.

"Am einfachsten wäre die Lösung: Alle Daten kommen obligat in die elektronische Krankenakte und dann entscheidet der Patient, welchen Ärztinnen und Ärzten seines Vertrauens sie zugänglich gemacht werden sollen."

Prof. Dr. med. Markus Lerch, Ärztlicher Direktor, LMU-Klinikum München


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