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Folgen der Pandemie Viele Kinder mit Defiziten

Die Corona-Pandemie ist vorbei – doch ihre Folgen hallen nach: Viele Kinder finden sich in sozialen Gruppen wie Schulklassen schwerer zurecht, haben Lerndefizite. Auch die Zahl an Kindern, die eine psychotherapeutische Hilfe benötigen, ist gestiegen.

Von: Veronika Scheidl

Stand: 15.05.2023

Frühjahr 2020: leere Straßen, zugesperrte Läden, geschlossene Schulen, keine sozialen Kontakte. Der erste Corona-Lockdown bringt das öffentliche Leben zum Stillstand. Monatelang sorgt die Pandemie für starke Einschränkungen, Lockdowns und Lockerungen wechseln sich ab. Für die meisten Menschen eine schwere Zeit, besonders auch Familien mit jüngeren Kindern stehen unter einer großen Belastung.

Wie hat sich das Auf und Ab der Corona-Pandemie auf Eltern und ihre Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter ausgewirkt?

Studie: Familiäres Wohlbefinden leidet unter Corona-Pandemie

Das wollten Entwicklungspsychologen der LMU München im Rahmen einer nicht repräsentativen Studie herausfinden und befragten Eltern online zu vier Zeitpunkten zwischen März 2020 und April 2021.

"Die Eltern hatten wir beispielsweise gefragt, inwiefern sie sich durch die aktuelle Situation belasteter oder gestresster fühlen als sonst. Inwiefern die Kinder dann in den letzten Wochen Spaß hatten oder auch traurig oder einsam waren. Und inwiefern die Eltern berichten, dass das Kind zum Beispiel viele Sorgen hat, zappelig und unruhig ist."

Dr. phil. Natalie Christner, Entwicklungspsychologin, Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie, LMU München

Nun liegen die Studienergebnisse vor. Und diese zeigen: Das familiäre Wohlbefinden nahm im Verlauf der Pandemie ab – auch in den Lockerungsphasen gab es kaum eine Verbesserung. Christner erklärt sich das damit, dass im Laufe der Pandemie sich Verantwortung und Belastungen zunehmend angesammelt hatten:

"Zum einen hat das Frustlevel, das Unsicherheitslevel zugenommen. Man merkt, das geht vielleicht nicht so schnell vorbei, wie man gehofft hatte. Vielleicht kamen Unsicherheiten in der Jobsituation dazu. Neue Verantwortung auch im Schulkontext, dass mehr Homeschooling-Verantwortung zum Beispiel mit einherging", sagt die Entwicklungspsychologin.

Je gestresster die Eltern waren, desto schlechter ging es den Kindern. Aber: Ein gutes Verhältnis zwischen Eltern und Kindern wirkte auch wie ein Schutzschild vor negativen Auswirkungen der Pandemie, sagen die Studien-Autoren der LMU München.

Kinder fehlen soziale Kompetenzen

Die Forschenden interessierten sich für Kinder zwischen drei und zehn Jahren, da sie in diesem Alter viele soziale Erfahrungen machen und diese sozialen Kontakte eine große Bedeutung gewinnen. Genau das war während der Pandemie eingeschränkt – und das hat Folgen.

Diese Erfahrung hat auch die fünfköpfige Familie Dormeyer aus München gemacht. Die älteste Tochter Mia kam während der Pandemie in die fünfte Klasse und wechselte auf das Gymnasium, Lyn wurde mitten im Lockdown mit Maske und Abstand eingeschult. Und die kleine Ilvie war im Kindergarten. Die Pandemie hat ihre Spuren hinterlassen, findet Mama Luisa Dormeyer. Ilvie habe zum Beispiel öfter Wutanfälle.

"Ilvie ist in ihrem Sozialverhalten nicht ganz altersentsprechend. Die wird ja sechs, kommt die Schule. Und manchmal mache ich mir so ein bisschen Sorgen. Und Lyn hat sich schwergetan, in die Klasse zu finden, wenn man immer nur Distanzunterricht hat. Oder dann Wechselunterricht. Und da habe ich einfach das Gefühl, dass es ihr schwerfällt, guten Kontakt zu Kindern aufzubauen."

Luisa Dormeyer

Grundschulkinder müssen viel Lernstoff nachholen

Dass viele Kinder Probleme haben, sich in sozialen Gruppen wie einer Schulklasse zurechtzufinden, das beobachtet auch Grundschulleiter Michael Hoderlein-Rein.

"Lernen in der Gruppe, Partnerlernen an der Lerntheke, offene Unterrichtsformen, all das hat zu tun mit der Fähigkeit, in der Gemeinschaft, in einer Gruppe mit einem Partner zusammenarbeiten zu können. Und diese Fähigkeiten haben etliche Kinder nicht mehr."

Dr. phil. Michael Hoderlein-Rein, Rektor Grundschule Berg am Laim, München 

Diese Fähigkeiten müssten nun einmal aufgebaut werden, ehe man mit dem inhaltlichen Lernen beginnen könne.

Viele Kinder haben Defizite, besonders in den Fächern Deutsch und Mathe. Es brauche Zeit, um das nachzuholen. Und genug Lehrkräfte, aber genau diese fehlen, auch der Förderunterricht wird deswegen künftig ausfallen, beklagt der Rektor.

"Wir dürfen uns nicht einbilden, dass wir jetzt innerhalb von zwei, drei, vier Monaten in diesem Schuljahr alles abgeschlossen haben und nächstes Jahr sagen können: Jetzt geht es wieder normal weiter. Alles ist wieder gut. Es ist nicht gut. Wir müssen sicher noch Jahre nacharbeiten, um diese Defizite, die sich aufgebaut haben, zu beseitigen."

Dr. phil. Michael Hoderlein-Rein, Rektor Grundschule Berg am Laim, München 

Der Rektor bleibt trotz allem aber optimistisch: "Wir bekommen das hin, auch wenn es nicht leicht wird."

Die Dormeyers wollen ihre drei Töchter so gut wie möglich unterstützen – und arbeiten daran, behutsam auch inhaltliche Defizite aufzuholen.

"Es ist gar nicht schlimm, dann sollen sie ein Jahr wiederholen. Wir haben immer gesagt: Es ist überhaupt kein Ding. Ihr könnt euch die Zeit jetzt nehmen und wir holen es nach."

Christian Dormeyer

Lange Wartelisten für psychotherapeutische Behandlung

Angesichts der Corona-Pandemie hat die Zahl an Kindern zugenommen, die eine psychotherapeutische Hilfe benötigen – viele haben eine Entwicklungs- oder auch Lernstörung.

"Vorbestehende Probleme haben sich während der Pandemie häufig verstärkt. Aufmerksamkeitsstörungen, auch ängstliche Störungen, Sprachstörungen sind nicht diagnostiziert, nicht gefördert worden. Und dadurch sehen wir jetzt mehr Schwierigkeiten bei den Kindern."

PD Dr. med. Katharina Bühren, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie, Ärztliche Direktorin, kbo-Heckscher-Klinikum München 

Die Wartezeiten für die psychotherapeutischen Ambulanzen sind sehr lang, auch bei den niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiatern warten Kinder teilweise ein Jahr auf eine Diagnostik, sagt Bühren. Erstmal könne man sich auch alternativ bei Beratungsstellen, Schulsozialarbeitern oder Schulpsychologen niederschwellig Hilfe holen.

Die Ärztin ist generell sehr optimistisch, dass die meisten Kinder stark und resilient genug sind, die Folgen des Lockdowns zu verarbeiten. "Wir brauchen gute Freizeitangebote und gute Programme, die gibt es zur Förderung von Resilienz. Auch Sportangebote. Das reicht den Kindern schon. Aber es ist zu wenig da."


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