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Sorge um ukrainische Kernkraftwerke Bayern kaufen Jodtabletten

Seit Monaten hält die Lage am ukrainischen AKW Saporischschja die Welt in Atem. Erst gestern meldete die Ukraine Explosionen nach eines AKWs im Süden des Landes. In Bayerns Apotheken steigt seit Kriegsbeginn die Nachfrage nach Jodtabletten. Gesundheit! fragt nach: Was genau macht radioaktive Strahlung in unserem Körper? Und wie ist Bayern auf nukleare Notfälle vorbereitet?

Von: Florian Heinhold

Stand: 20.09.2022

An einer Kette hängt in der Schachtanlage Asse ein Warnschild mit der Aufschrift «Radioaktiv».  | Bild: dpa-Bildfunk/Sebastian Gollnow

Das AKW Saporischschja kennt mittlerweile fast jeder in Bayern, zu oft waren Meldungen über Raketeneinschläge, vom Krieg beschädige Leitungen und Warnungen internationaler Experten vor einem Atomunfall in den Nachrichten.

Das AKW Saporischschja in der Ukraine.

Aktuell sind die Meiler von Europas größtem Kernkraftwerk heruntergefahren, zu gefährlich wurde die Lage. Gerade erst waren Experten der internationalen Atomenergiebehörde IAEA vor Ort und haben einen eindringlichen Bericht verfasst, der vor den Gefahren warnt. Neben dem direkten Beschuss des AKW macht vor allem die Stromversorgung Sorgen – ohne Strom keine Kühlung der Reaktoren. Doch nicht nur Saporischschja, auch das AKW Süd-Ukraine ist gestern ins Fadenkreuz russischer Angriffe geraten. Nur knapp sei die Welt einer Katastrophe entgangen, ließ die ukrainische Regierung verlauten.

Wie wirkt Strahlung auf unsere Gesundheit?

Am Bundesamt für Strahlenschutz forscht das Team von Dr. Simone Mörtl seit Jahren an den Folgen von radioaktiver Strahlung für den Körper. In Stickstoff lagern hier Gewebeproben von Menschen, die hoher Strahlung ausgesetzt waren – etwa von Strahlentherapiepatienten, aber auch von Arbeitern in Uranbergwerken.

"Wir haben hier Blutproben, Gewebeproben, wenn die Menschen erkrankt sind, haben wir dann auch Tumorproben."

- PD Dr. rer. nat. Simone Mörtl – Strahlenbiologin, Bundesamt für Strahlenschutz, Oberschleißheim

Die Forscherin sagt: Es gibt zwei Arten von Gesundheitsschäden durch Strahlung. Zum einen die unmittelbare, sofort auftretende Strahlenwirkung. Zum anderen Langzeitfolgen durch Genmutationen.

"Die schwerwiegendste Erkrankung ist natürlich die Strahlenkrankheit, die hat man das erste Mal nach den Atombombenabwürfen entdeckt. Das sind erhebliche Probleme im Blutbildungssystem, im Verdauungstrakt, die tritt bei sehr hohen Dosen auf und ist auch oft tödlich. Auf der anderen Seite gibt es die stochastische Strahlenwirkung, die tritt immer auf, also die kleinste Dosis hat das Potenzial, die DNA im Körper zu schädigen, dadurch kann es zu Mutationen kommen und vielleicht auch später zur Krebsentstehung."

- PD Dr. rer. nat. Simone Mörtl – Strahlenbiologin, Bundesamt für Strahlenschutz, Oberschleißheim

Das größte Risiko tragen also die Menschen, die unmittelbar rund um das Kernkraftwerk Saporischschja leben.

Sorge vor zweitem Tschernobyl

Viele Menschen bei uns fühlen sich angesichts der Ereignisse an Tschernobyl erinnert. Der erste GAU der Geschichte hatte 1986 eine radioaktive Wolke von der Ukraine bis nach Bayern gebracht und große Ängste ausgelöst. Tatsächlich findet man die Folgen von Tschernobyl bis heute, 36 Jahre später, noch in Bayerns Wäldern.

Lacktrichterlinge sind nach dem Tschernobyl GAU oft noch besonders belastet.

Vor allem Wild aber auch Speisepilze sind bis heute radioaktiv belastet. Maronen und violette Lacktrichterlinge gelten als besonders belastet. Gesundheit! hat diese Woche im Ebersberger Forst Schwammerl gesammelt und sie ins Umweltinstitut in München gebracht – hier kann jeder seine Pilz-Funde auf radioaktive Belastung überprüfen lassen. Dr. Hauke Doerk hat unsere Ausbeute im Gammaspektrometer analysiert. Das Ergebnis: Auch in unserer Pilzprobe fand sich radioaktives Cäsium aus Tschernobyl – allerdings unterhalb des Grenzwerts von 600 Becquerel pro Kilogramm. Immer wieder findet Dr. Doerk aber auch deutliche Grenzwertüberschreitungen in Pilzproben.

OT Dr. rer. nat. Hauke Doerk:

"Wir können die Radioaktivität nicht sehen, nicht schmecken, nicht hören, aber sie ist da. Und sie nimmt auch nur sehr langsam über die Jahrzehnte ab."

- Dr. rer. nat. Hauke Doerk – Physiker, Umweltinstitut München

Hohe Nachfrage nach Jodtabletten seit Kriegsbeginn

Wie sehr die Sorge vor einem Atomunfall in der Ukraine die Menschen bewegt, merken auch Bayerns Apotheker. Seit Beginn des Krieges hat Apothekerin Ingrid Kaiser in Freising alle Hände voll zu tun, besorgten Kunden zu erklären, dass die Jodtabletten, die man bei ihr kaufen kann, bei einem GAU gar nichts nützen würden.

"Wir haben hier Tabletten, die man zur Jodversorgung braucht - für Schwangere, für Stillende, für Menschen mit Jodmangel. Aber die Dosis ist ganz anders. In einem nuklearen Notfall bräuchte man die 500-fache Dosis."

- Ingrid Kaiser – Apothekerin, Freising

Jod ist vor allem relevant für die Schilddrüse. Das schmetterlingsförmige Organ in unserem Hals nimmt den Stoff aus der Luft und über die Nahrung auf. Das Problem: Bei einem Atomunfall wird radioaktives Jod freigesetzt.

Jod ist vor allem relevant für die Schilddrüse.

Im Ernstfall kann es also Sinn ergeben, die Schilddrüse mit extrem hohen Mengen Jod zu sättigen, so dass kein verstrahltes Jod mehr in den Körper gelangen und Schäden anrichten kann. Die Einnahme wird im Fall eines GAUs aber nur Menschen bis 45 Jahren empfohlen, denn hochkonzentriertes Jod kann auch Nebenwirkungen haben.

"Die Einnahme wird wirklich nur in einem radiologischen Notfall empfohlen, wenn es von den Behörden vorgegeben wird. Ich denke, keiner sollte sich selbst mit Jodtabletten eindecken, oder die gar prophylaktisch einnehmen. Das ist nicht hilfreich und könnte sogar gesundheitsschädliche Wirkungen haben."

- PD Dr. rer. nat. Simone Mörtl – Strahlenbiologin, Bundesamt für Strahlenschutz, Oberschleißheim

Es muss auch niemand Jod horten. Das bayerische Innenministerium schreibt uns, dass der Freistaat 36 Millionen speziell hochdosierte Jodtabletten vorhält. Im Ernstfall würde jeder Bürger über die Katastrophenschutzbehörden mit Tabletten versorgt. Alle hoffen jedoch, dass das gar nicht nötig wird und der Krieg und damit die Gefahr eines Atomunfalls bald endet. 


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