BR Fernsehen - EUROBLICK


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Ukraine Klima der Angst auf der Krim

Der Leninplatz in Simferopol. Nach den dramatischen Wochen der militärischen Übernahme der Krim ist nur scheinbar Ruhe eingekehrt.

Von: Udo Lielischkies

Stand: 06.07.2014 | Archiv

Der Leninplatz in Simferopol | Bild: BR

Zwei Männer der Volksmiliz

Denn diese Uniformierten, die sogenannten "Volksmilizen", sind überall und verbreiten Angst. Die neuen Machthaber ließen sie vom Parlament sogar als offizielle Ordnungsmacht legalisieren.

Das Gewerkschaftshaus. Hier hat eine Gruppe von Journalisten ein Büro gemietet. Sie sind mit die letzten Ukraine-nahen Fernsehmacher, die noch nicht nach Kiew geflohen sind. Der Druck auf sie ist gewaltig; wie in Russland auch leben Opposition und kritische Presse gefährlich.

Valentina Samar

Valentina, die Chefredakteurin, warnt ihre Reporter vor allem vor den Volksmilizen – denn die sind unberechenbar.

"Wenn die Journalisten sehen, die Probleme ansprechen, dann kann alles passieren."

Sergej Makruschin, Redakteur

Bilder vom ersten März. Gleich Dutzende maskierter Volksmilizen waren da zu ihrem Gewerkschaftshaus marschiert. Kameramann Dmitri zeigt, wie die Männer sich gewaltsam Einlass verschafften. Danach bedrohten sie die Reporter.

"Wir haben die Polizei gerufen, die kam auch und ging dann wieder."

Dmitri

"Es ist inzwischen sogar besser, von der Polizei oder dem Geheimdienst verhaftet zu werden, als diesen Volksmilizen in die Hände zu fallen. Die stehen über dem Gesetz, sind die Handlanger unserer kriminellen Machthaber."

Valentina Samar, Chefredakteurin Zentrum journalistischer Recherche

Sergej will eine einfache Straßenumfrage machen, aber auch das will gut geplant sein: Wo viele Volksmilizen patrouillieren, ist es zu gefährlich.

Früher haben sie ihre Fernsehsendung hier produziert, erklärt Sergej, doch jetzt haben sie alle Kameras und Lampen weggeschafft – aus Angst: Denn im Garten sitzen sie ebenfalls.

Die meisten Passanten, denen Sergej eine Frage stellt, laufen davon. Der Krim-Regierungschef Aksionow hat 19 Ministerien geschaffen und zahlreiche neue Regierungspositionen – Versorgungsposten für seine Vertrauten, glaubt Sergej. Was halten die Menschen von dieser Ämter-Explosion? Doch nur dieser Krim-Tatare macht seinem Ärger andeutungsweise Luft:

"Ich weiß nicht, was hier vorgeht: Die Preise sind dreimal höher, und das Gehalt?"

Ein Tatare

"Die Leute haben natürlich ihre Meinungen, aber: Es gibt jetzt weniger, die uns antworten."

Sergej

"Warum? Ist es gefährlich?"

Reporterfrage

"Gefährlich ist, dass es so unberechenbar ist, wie die Volksmilizen reagieren. Die kennen die Gesetze überhaupt nicht. Und außerdem: Menschen verschwinden einfach. Zurzeit sind drei Männer als vermisst gemeldet."

Sergej

Auch Sergej wurde schon von den Volksmilizen festgenommen. Andere, die die neuen Herrscher hier wieder frei ließen, berichten von Folterungen.

"Was mit den drei Vermissten geschehen ist, wissen wir nicht, das können wir nur ahnen. Und das sind keine schönen Ahnungen."

Sergej

Sergej bringt uns zum Haus einer der Familien, die ihren Sohn vermisst. Seit drei Wochen schon ist der Aktivist, der offen gegen die Annektion der Krim protestierte, verschwunden. Dessen Onkel Ibrahim hat selbst nach dem 33-jährigen Ceyran gesucht, dessen Frau gerade ein Kind bekommt. Vergeblich.

Ein Bild des verschwundenen Ceyran

Ceyran, erklärt seine Mutter, war zu einer Nachbarin in ihrem Dorf aufgebrochen. Deren Mann war ebenfalls, nur vier Tage zuvor, spurlos verschwunden, Ceyran wollte Informationen austauschen. Auf dem Rückweg dann hielten zwei Autos neben ihm an, in eines stieg er ein.

"Ja, wir kennen das Auto, und suchen es, unsere einzige Chance."

Onkel Ibrahim

Eine Journalistin rief dann bei Premierminister Aksionow selbst an, um nach den Vermissten zu fragen.

"Und der sagte: 'Sie sind freigelassen. Warten Sie.' Aber danach hat er nie mehr den Hörer abgenommen. Und bis heute ist keiner zurückgekommen."

Die Mutter

Sergej hat von der Polizei bis heute keine Informationen zu einem der Vermissten bekommen.

Am Abend gehen sie auf Sendung, in einem noch unabhängigen Privatsender. Doch dem wurden bereits neunzehn Sendemasten weggenommen. Über die laufen jetzt russische Kanäle. Kritische Berichte wie ihren über den Moskau-treuen Premierminister Aksionow und seine aufgeblähte Regierung – so etwas sehen Krim-Bewohner inzwischen kaum noch. 19 Ministerien, acht stellvertretende Ministerpräsidenten – ein teurer Wasserkopf, glauben sie.

Eineinhalb Stunden kritischer Journalismus sind vorüber.

"Natürlich ist es gefährlicher in dieser neuen Zeit. Wir versuchen, die Risiken zu minimalisieren. Und keiner weiß, ob wir uns morgen noch hier im Studio treffen oder einer fehlt. Aber wir machen weiter."

Valentina

Sergej aber überlegt, nach Kiew zu gehen. Der Druck hier, auf der Krim, wird einfach zu groß.


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