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Ukraine Ein Jahr nach der Annexion

Der Khan-Palast von Bachtschissaraij, der alten Hauptstadt der Krim. Während der Sowjetzeit war er jahrzehntelang nur ein Museum. Jetzt ist er wieder mit Leben erfüllt.

Von: Manuela Roppert

Stand: 17.05.2015 | Archiv

Khan-Palast von Bachtschissaraij | Bild: BR

Emine und Mustafa heiraten wie viele junge Krimtartaren an einem Freitag, dem Feiertag der Moslems, in der Palastmoschee. Der Imam mahnt die Brautleute, künftig gut aufeinander zu achten, denn der Start in ein neues Leben findet in bedrohlichen Zeiten statt.

Eine Situation, in der sich die Krimtataren nicht zum ersten Mal befinden.

Über 300 Jahre lang hatten sie die Macht auf der Halbinsel und haben hier viele Spuren hinterlassen - so wie das Tatarendorf Korejc am Fuß des Ai-Petri, unweit des Schlösschens Schwalbennest und die Minarette ihrer Hauptstadt Bachtschissaraj, bis Russland 1783 die Krim eroberte, aber schließlich wieder verlor. Denn nach dem Zusammenbruch des Kommunismus gehört das Ferienparadies zur unabhängigen Ukraine.

Und jetzt wieder russische Fahnen über dem Parlament. Und Sondereinheiten bewachen die Fußgängerzone in der Hauptstadt Simferopol.

Viele hier befürworten die Annexion der Krim vor gut einem Jahr durch Russland:

"Wir sind froh. In der Ukraine wechseln die Regierungen ständig."

Frau

"Wir sind hier immer Russen geblieben und nie Ukrainer geworden, und schon gar nicht solche, wie man sie jetzt häufig trifft."

Frau

"23 Jahre waren wir ungesetzmäßig okkupiert von der Ukraine. Jetzt sind wir endlich nach Hause zurückgekehrt. Das ist nichts Außergewöhnliches."

Mann

"Wie ist das Leben jetzt?"

Reporterfrage

Wer kritisch eingestellt ist, der schweigt lieber.

Dilyara Seytwelijewa

Die Krimtartaren aber sind seit der Annexion ihrer angestammten Heimat in großer Sorge. Journalistin Safie Abljaewa hat für einen krimtatarischen Fernsehsender gearbeitet, der vor kurzem vom Netz genommen wurde. Sie ist auf dem Weg zu Dilyara Seytwelijewa, einer Führungsfigur der Volksgruppe. Ihr Bruder Mustafa Dschimilow ist Vorsitzender des Tatarenrats Medschlis. Jetzt lebt er zwangsweise in Kiew im Exil, denn die Russen verweigern ihm die Rückkehr auf die Krim.

Das beschwört bei Dilyara Erinnerungen an die Sowjetzeit herauf. 1944 wurden die Krimtartaren von Stalin nach Usbekistan deportiert. Erst Anfang der 90er Jahre konnten sie zurückkehren. Und jetzt sind sie wieder in Gefahr:

"Es wurden unzählige unserer Häuser durchsucht. Viele Krimtartaren, etwa 150, wurden verhaftet. Einige unserer Männer sind verschleppt worden, ja, wurden sogar umgebracht, ohne dass man nach den Tätern gesucht hat. Aber wir hoffen darauf, dass Russland vor den Augen der Weltöffentlichkeit nicht noch härtere Repressionen ergreifen wird."

Dilyara Seytwelijewa, Vertreterin der Krimtataren

Der tatarische Fernsehsender ATR hat über all dies kritisch berichtet. Dafür haben ihm die russischen Behörden nun die Sendelizenz entzogen.

Auch unter den Ukrainern, die bislang 25 Prozent der Bevölkerung auf der Krim stellen, gibt es Unzufriedene. Tausende von ihnen haben die Krim bereits verlassen.

Anna Majewskaja ist geblieben. Sie stammt aus der Westukraine. Seit acht Monaten hat sie notgedrungen einen russischen Pass, sonst würde sie als Ausländerin gelten. Den nimmt sie nun lieber mit, wenn sie zum Einkaufen geht, denn inzwischen wird häufig kontrolliert.

Die Preise für Lebensmittel haben sich im Laufe des Jahres nahezu verdoppelt, wegen der Inflation und der hohen Transportkosten vom russischen Festland. Die Renten wurden nach dem Anschluss an Russland zwar erhöht. Anna bekommt jetzt umgerechnet 140 Euro, vorher waren es 85. Das reicht aber nach wie vor nur für das Nötigste.

Anna Majewskaja

Hier im Sanatorium von Kurpaty bei Jalta hat Anna über 20 lang gearbeitet. Zu Sowjetzeiten war es das ganze Jahr über ausgebucht. In den ukrainischen Jahren dauerte die Saison nur noch von Ende Juni bis September. Im letzten Sommer, der erste nach der Annexion, kamen kaum noch Gäste.

Die Einrichtung befindet sich wie viele andere Unterkünfte an der Küste in einem schlechten Zustand. Nicht nur Anna, die früher Kaffee an die Kurgäste ausgeschenkt hat, glaubt, dass die ukrainischen Politiker immer mit einer Annexion der Krim durch Russland gerechnet und deswegen nicht in den Erhalt der touristischen Infrastruktur investiert haben.

"Ich glaube, viele Menschen hier sind zufrieden, dass die Krim wieder zu Russland gehört. Denn für uns einfache Leute war es sehr schwierig über die Runden zu kommen. Wir hatten ja nur drei Monate lang Arbeit. Dann haben sie noch billige Saisonkräfte aus anderen Teilen der Ukraine geholt. Denen haben sie dann gerade mal 100 Dollar im Monat gezahlt. Und die örtliche Bevölkerung wusste nicht, wie sie über die Runden kommen soll. Deswegen wurde der Unmut immer größer und es ist schließlich das passiert, was passiert ist."

Anna Majewskaja, Rentnerin

In der Hafenstadt Sewastopol sind fast 90 Prozent der Einwohner russischstämmig. Auf der Krim insgesamt stellen sie mit 60 Prozent den überwiegenden Teil der Bevölkerung.

In der Bucht von Sewastopol ist die russische Schwarzmeerflotte stationiert. Auch nach dem Zerfall der Sowjetunion, als die Krim Teil der unabhängigen Ukraine war, weigerten sich die Russen von hier abzuziehen. Das führte immer wieder zu Konflikten.

Die Moskauer Universität in Sewastopol wurde für die Kinder der russischen Flottenmitglieder gegründet. Inzwischen steht sie allen offen. Die Psychologiestudenten des ersten Semesters blicken optimistisch in die Zukunft. Wie bei fast allen Russen auf der Krim hält ihre patriotische Begeisterung auch ein Jahr nach der Annexion immer noch an:

"Früher, als wir Teil der Ukraine waren, habe ich mir noch Sorgen um meine Zukunft gemacht. Aber jetzt nach der Vereinigung mit Russland bin ich mehr oder weniger beruhigt, weil ich die Fähigkeiten der Regierung, die ja jetzt auch unsere ist, sehr schätze: Sie können ein so riesiges Land wie Russland führen. Wir befinden uns also in guten Händen und sind sicher."

Wladimir Sidorow, Psychologiestudent

"Ich bin froh, dass die Krim ein Teil von Russland ist. Wir hatten große Angst davor, dass es bei uns zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen könnte, wie das jetzt in der Ukraine der Fall ist. Aber nach dem Referendum ist die Lage bei uns zum Glück stabil und ich habe keine Angst mehr."

Olga Kusnezowa, Psychologiestudentin

Zurück zu Anna: Es hatte lange gedauert, bis sie mit ihrem Mann Jurij, der gerade bei seiner Arbeit als Parkplatzwächter ist, und ihrer Tochter Tanja diese Wohnung in Jalta bekommen hat. Zuvor mussten sie viele Jahre in einer Gemeinschaftsunterkunft verbringen. Wenn sie die Krim verlassen würde, wüsste Anna nicht wohin. Ihre ukrainischen Verwandten hätten keinen Platz, um sie aufzunehmen. Sie wird also hier bleiben, obwohl ihr Herz nach wie vor für die Ukraine schlägt. Doch das traut sie sich nicht mehr laut zu sagen, schon gar nicht in eine Kamera.

Tochter Tanja fürchtet dagegen, Jalta bald verlassen zu müssen. Denn hier findet die gelernte Maskenbildnerin keinen Job. Die wirtschaftlichen Perspektiven für die Krim sind düster: Russland wird hier viel investieren müssen, um die Bevölkerung weiterhin bei Laune zu halten. Das Abenteuer Krim wird teuer für den Kreml werden.


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