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Türkei Nach dem gescheiterten Umsturz

Die dramatischen Ereignisse haben bei ihm Erinnerungen geweckt. Mit putschenden Militärs verbindet Celalettin Can Folter und Haft. 1980, als er Student in Istanbul war, übernahm das türkische Militär die Macht und brachte damit viel Schmerz in Cans Leben.

Von: Gunnar Köhne

Stand: 24.07.2016 | Archiv

Der Taksim-Platz | Bild: BR

"Hier haben sie mich festgenommen. Ich wurde von zwei Autos eingekeilt. Die Polizisten sprangen heraus, stülpten mir einen Sack über und brachten mich aufs Polizeipräsidium. Dort begann dann die sogenannte Befragung mit Schlägen auf die Fußsohlen, Elektroschocks, Aufhängen, Schlafentzug und ständigen Beschimpfungen. Zwei Tage dauerten diese schweren Folterungen."

Celalettin Can

In wenigen Tagen werden mehr als 650.000 Menschen verhaftet: Linke wie Can, Liberale und Kurden. Der 12. September 1980 ist der letzte geglückte Militärputsch in der Türkei. Die Armeeführung setzt die Regierung ab und erklärt das Kriegsrecht. Der Taksim-Platz wurde zum Symbol des Putsches.

Auch vergangene Woche standen hier wieder bewaffnete Soldaten, die die Macht an sich reißen wollten. Inzwischen werden hier Erinnerungsfotos geschossen. Viele stellten sich den Putschisten entgegen, vor allem die Anhänger von Staatspräsident Erdogan; sie betrachten sich nun als die Sieger.

"Wir lieben unsere Regierung und unseren Präsidenten. Mit ihnen gemeinsam sind wir stark. Jetzt geht unser Leben wieder normal weiter. Aber wir sind gestärkt aus dieser Sache hervorgegangen. Uns kriegt niemand unter."

Eine Frau

Celalettin Can

Celalettin Can ist erleichtert, dass der Putsch gleich zu Beginn gescheitert ist. Doch dem Jubel der Erdogan-Anhänger will er sich nicht anschließen. Denn bei dem Putschversuch heute habe es sich um einen Machtkampf zwischen zwei autoritären Systemen gehandelt – ganz anders als damals:

"Vor 36 Jahren richtete sich der Putsch nicht gegen eine Regierung, sondern gegen einen Großteil der Gesellschaft; gegen diejenigen, die für eine emanzipierte und demokratische Zukunft kämpften. Egal, ob es Studenten oder Geschäftsleute waren, diese Entwicklung wollte die Armee damals stoppen."

Celalettin Can

Von Demokratie ist in diesen Tagen wenig in der Türkei zu hören. Die zivilen Opfer des Putschversuchs werden mit "Allah ist groß"-Rufen zu Grabe getragen. Die religiösen Kräfte nutzen selbst die Beerdigungen zu Machtdemonstrationen. Und abends patrouillieren Regierungsanhänger in den Straßen der Großstädte.

"Die Soldaten dürfen nie wieder ihre Waffen gegen das eigene Volk richten, selbst wenn sie dafür nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden: Der gerechten Strafe Allahs werden sie nicht entkommen!"

Ein Mann bei der Beerdigung

Aydin Engin

Viele Regierungskritiker fürchten nun einen Machtzugewinn der religiösen Kräfte um Präsident Erdogan. Der gescheiterte Putsch käme ihnen gelegen:

"Nach dem Putschversuch wird es Erdogan noch leichter fallen seine Vorstellungen von einem autoritären oder autokratischen System durchzusetzen. Und das ist für die Demokratie mindestens so gefährlich wie ein Militärputsch."

Aydin Engin, Cumhuriyet

Über 30 Jahre lang hat Can dafür gekämpft, dass die Putschgeneräle von 1980 und seine Folterer vor Gericht kommen – vergeblich. "Vielleicht", sagt er, "hätte das ja den jüngsten Putschversuch verhindern können."

"Egal von welcher Seite, ein Militärputsch kann nichts Gutes sein. Denn egal gegen wen er sich richtet, am Ende bezahlen in der Türkei immer die fortschrittlichen Kräfte und die Kurden den Preis."

Celalettin Can

Gegen Autokraten und das Militär! Celalettin Can ist seinen politischen Überzeugungen treu geblieben. 19 Jahre saß er nach dem Militärputsch 1980 im Gefängnis. Und eines weiß er ganz gewiss: Mit Militärs an der Macht ist kein Staat zu machen. Auch nicht in der Türkei.


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