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Tschechien Heiß begehrt: Leben in Plattenbauten

Hier fühlen sich die Tschechen also wohl, in den Plattenbauten, wie eine Studie ergab. Ausgerechnet hier, zwischen unschönen Graffitis, in durchnummerierten Gebäuden, in Siedlungen, die vor Jahrzehnten am Reißbrett entworfen wurden.

Von: Nils Kopp

Stand: 14.12.2014 | Archiv

Plattenbauten | Bild: BR

Was macht sie heute noch so attraktiv?

"Es reicht, sich hier einmal umzuschauen, in der Wohnung ist es angenehm zu wohnen, sie ist einfach wunderschön."

Eine Maklerin

"Hier gefällt es mir. Es ist alles da, was ich brauche, ich bin schnell in der Stadt."

Ein Mann

"Ich hatte früher schon mal hier gewohnt. Jetzt bin ich wieder zurückgezogen, weil’s mir hier so gefällt."

Eine Frau

Kateřina Baumrukova

Auch Kateřina Baumrukova wohnt gerne hier, in einem Prager Plattenbauviertel. Der Kindergarten ihres Sohnes Štepan liegt gleich neben dem Haus, in dem sie vor fünf Jahren eine Wohnung gekauft hat, weil hier einfach viele ihrer Wünsche erfüllt werden.

"Hier liegt alles in der Nähe: die Geschäfte, das große Einkaufszentrum, bis zur U-Bahn sind es nur fünf Minuten mit dem Bus. Auch für die Kinder ist alles da: Spielplätze, der Kindergarten, die Schulen - das Schwimmbad ist auch gleich um die Ecke. Hier hat man schlicht alle Vorteile wie in einer Stadt."

Kateřina Baumrukova

Einkaufsmöglichkeiten, Kneipen, alles gleich am Platz, Autos sind hier nicht nötig. Doch es gibt noch weitere Gründe, warum die Bewohner hier zufriedener sind als in einer Banlieue westlicher Großstädte.

Petr Sunega von der Akademie der Wissenschaft hat dazu eine Umfrage durchgeführt. Was auch ihn erstaunte: Bewohner von Plattenbausiedlungen äußerten sich deutlich zufriedener mit ihrer Wohnsituation im Vergleich zur selben Umfrage vor einem Jahrzehnt. Vielleicht, weil viele Gebäude in den letzten zehn Jahre Farbe bekamen und nicht mehr an sozialen Wohnungsraum erinnern.

"Bei uns werden Plattenbauten in der Gesellschaft anders gewertet als in Deutschland, dort haben sie ja ein recht schlechtes Image. Bei uns denkt so niemand – und das liegt auch daran, dass in unseren Plattenbauten alle Bevölkerungsgruppen leben, aus allen sozialen Schichten."

Petr Sunega, Wirtschaftssoziologe

Václav Škarda

Tatsächlich: In tschechischen Plattenbausiedlungen leben Handwerker gleich neben Managern. Und noch etwas hat sich in den letzten Jahrzehnten geändert. Das Architektenbüro von Václav Škarda: Er beobachtet die Situation in Plattenbausiedlungen schön länger. Damals sollten sie möglichst schnell Menschen Wohnraum bieten. Eine Lebensdauer von 40, 50 Jahren wurde vorhergesagt. Jetzt zeigt sich: sie bleiben länger.

"Von Jahr zu Jahr werden die Bäume immer höher, damit ändert sich auch die Umgebung. Denn dort wo nach dem Siedlungsbau die ersten Pflanzen gesetzt wurden, daraus ist heute eine wunderschöne Landschaft erwachsen. Und ich glaube in der Zukunft, nachdem die Siedlungen immer älter werden, dass deren Umgebung, deren Umfeld immer attraktiver wird."

Václav Škarda, Architekt und Städteplaner

Wie zum Beispiel im Stadtteil Prosek im Norden von Prag. Seit 50 Jahren stehen die Häuser schon. 50 Jahre, in denen aus einer Baustelle ein Dorf wurde, in dem auch gelebt wird.

"Ich bin sehr zufrieden hier, es ist sauber, es ist hell, ich habe allen Komfort, den ich brauche."

Eine ältere Dame

"Ich komme vom Land, wir haben eine Wohnung hier gekauft, weil‘s hier so nett ist."

Eine junge Frau

"Mein Wunsch ist, dass ich hier ende – ich will nirgendwo mehr hinziehen."

Eine ältere Dame

Um mal zu sehen, wie eine Wohnung in einem Plattenbau von innen ausschaut, zeigt die Maklerin Irena Kumpoštová eine Wohnung, die zum Verkauf steht: 75 Quadratmeter, dreieinhalb Zimmer für umgerechnet 100.000 Euro. Sie wird nicht lange auf einen Käufer warten. Denn auch sie merkt, dass Plattenbauwohnungen in den letzten Jahren immer häufiger gesucht werden. Die Wiederkehr der Platte – auch durch ein Klientel, das sich hier schon auskennt.

"Viele Leute suchen hier Wohnungen, weil sie hier aufwachsen sind, weil sie Jugenderinnerungen an die Siedlung haben, und man sieht, dass es ihnen deswegen nicht gleichgültig ist, wie es da ausschaut. Deswegen bin ich überzeugt: Das Wohnen in einer Siedlung hat eine Zukunft."

Irena Kumpoštová

Und schon ruft der nächste Interessent an. Wie lebt es sich also in einem Kaninchenstall, wie die Tschechen die Wohnungen früher nannten?

Als Kateřina Baumrukova ihre Wohnung vor fünf Jahren kaufte, war sie bereits renoviert. Die Zwischenwände aus Spanplatten wurden durch Mauern aus Betonsteinen ersetzt, dadurch sind sie auch schalldichter als früher.

Hier stand ein Besucher früher auf der Terrasse, hier erst begann das Wohnzimmer – so wurde mehr Wohnraum geschaffen. Auch der Flur wurde umgestaltet.

In jeden Raum reicht jetzt das Tageslicht. Dafür wurde zwischen Badezimmer und Küche eine fast blickdichte Glaswand gelegt und mit Kaktusbildern von beiden Seiten verklebt.

"Vor der Renovierung war die Küche getrennt vom Wohnraum, es war ein riesiger Flur, der ungenutzt war. Die Toilette und das Bad waren in einem Zimmer, das war auch nicht ganz praktisch."

Kateřina Baumrukova

Letztens traf Kateřina Baumrukova ihre Vorbesitzer zufällig auf der Straße. Sie sind in der Nähe in einen Neubau gezogen, in eine größere Wohnung. Jetzt bereuen sie es.

"Die würden gerne wieder zurückkommen und machten mir ein Angebot: Wenn ich verkaufen würde, wären sie die ersten Interessenten."

Kateřina Baumrukova

Doch verkaufen käme für sie überhaupt nicht in Frage, denn in Tschechien sind sie eben beliebt – auch 25 Jahre nach der Wende, 60 Jahre nach dem Bau der ersten Siedlungen. Und das wird auch erst mal so bleiben.


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