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Schweiz "Senioren-TÜV" in der Kritik

Nein, Rasen ist seine Sache nicht: Gepflegte Ausflüge ins Grüne schon eher. Seit 58 Jahren fährt Friedhelm Ryter leidenschaftlich gern Auto.

Von: Daniel Hechler

Stand: 19.07.2015 | Archiv

Demenztest | Bild: BR

Heute allerdings muss der 77-jährige Schweizer zu einem eher unangenehmen Termin, einem Gesundheitscheck.

"Jetzt fühl ich mich überhaupt nicht nervös, überhaupt nicht."

Friedhelm Ryter

Friedhelm Ryter

Da dürfte der Rentner ein wenig flunkern, denn es steht einiges auf dem Spiel: Fällt Ryter durch, ist die Fahrerlaubnis weg.

Seh- und Hörtest, Blutdruck, Puls, Reaktionsfähigkeit; ein aufwändiger Test streng nach Schema. Ryters Hausarzt Heinz Bhend hat dafür eigens eine Schulung absolvieren müssen. Es gilt vor allem, erste Anzeichen von Demenz zu erkennen.

"Die Demenz meldet sich nicht selber. Der Patient merkt es selber auch nicht. Wenn es einen Hinweis auf eine beginnende Demenz gibt, müssen wir hellhörig werden. Das ist klar."

Dr. Heinz Bhend, Hausarzt

Und deshalb sieben die Eidgenossen Senioren ab 70 gnadenlos aus dem Verkehr aus. Die Gründe liegen auf der Hand:

"Ja, wissen Sie, es gibt Leute, die können kaum mehr gehen. Wenn sie dann nicht mehr gehen können, dann fahren sie noch Auto und teilweise auf ganz kriminelle Weise. Sie gefährden Andere, ohne dass sie sich bewusst sind, was sie eigentlich tun."

Ein Mann

"Ja, das ist korrekt!"

Eine Frau

"Mein Vater wäre ausgeflippt! Aber wir nehmen das so hin. In der Schweiz ist es so."

Ein Mann

Am strengsten prüfen die Aargauer. Der Kanton - ein heikles Pflaster für betagte Autofahrer. Und das hat seinen Grund: 2005 fuhr ein 82-jähriger Rentner ein 15-jähriges Mädchen tot. Er war dement, zuckerkrank, auf einem Auge blind. Die Empörung war groß. Die Vorschriften wurden verschärft und vereinheitlicht. Heinz Bhend hält sich ganz genau daran, entscheidet im Zweifel auch mal gegen den Prüfling.

"Ich habe schon Patienten verloren, die haben gesagt, ich komme nicht mehr. Ich wurde ja auch schon eines besseren belehrt: Ein über 90-Jähriger, 92, hatte keinen so harten Befund, aber ich habe das Gefühl gehabt, mehr Bauchgefühl als Härtebefund: Das geht nicht mehr. Und ich habe ihn zum Fahrtest geschickt. Medizinisch hatte ich auch nichts Handfestes. Und der hat triumphiert, dass er den Fahrtest bestanden hat. Für mich ist das okay."

Dr. Heinz Bhend, Hausarzt

Eine seltene Ausnahme. Das Aargauer Straßenverkehrsamt verschickt rechtzeitig zum 70. Geburtstag die Einladung zum Test, nimmt die Berichte der Ärzte dann genau unter die Lupe.

"Ich schließe daraus, dass immer mehr Senioren auf Schweizer Straßen gesund und untersucht unterwegs sind und sein dürfen."

Martin Bruder, Straßenverkehrsamt Aargau

Uwe Ewert

Tatsächlich verursachen junge Fahrer in der Schweiz ebenso wie in Deutschland und Österreich die meisten tödlichen Unfälle. Der Anteil Älterer steigt allerdings, und zwar am stärksten in der Schweiz, so Wissenschaftler der eidgenössischen Beratungsstelle für Unfallverhütung. Erstaunlich, da es in Deutschland und Österreich keine verpflichtenden Gesundheitstests gibt.

"Nach den Untersuchungen die wir – und auch andere – gemacht haben, sieht es eher so aus, als ob es in Ländern, wo es diese medizinische Untersuchung gibt, tendenziell mehr Unfälle bei Fußgängern gibt, weil natürlich die Älteren, die nicht mehr Auto fahren, dann als Fußgänger unterwegs sind. Es gibt auch überraschenderweise mehr getötete Ältere als Fahrzeuginsassen. Die Erklärung dafür ist nicht ganz einfach: Vermutet wird, dass die Älteren dann zum Beispiel bei Jüngeren mitfahren, die höhere Geschwindigkeiten fahren, weswegen dann es zu tödlichen Verletzungen kommt."

Uwe Ewert, Beratungsstelle für Unfallverhütung

Für Friedhelm Ryter wird es jetzt eng. Beim Demenztest zeigt er Schwächen, hat Aussetzer, ist nervös.

"Er hat sich zu meinem Erstaunen nicht so geschlagen, wie ich erwartet hätte. Aber ich kenne ihn schon seit längerem. Und ich bin sicher, dass er das hinkriegt, wenn er die entsprechende Nervosität ablegen kann."

Dr. Heinz Bhend, Hausarzt

Ryter muss jetzt noch einmal zum Test - wohl seine letzte Chance. Für ihn eine unwürdige Prozedur.

Fahrerlaubnis mit Verfallsdatum - die Schweiz macht damit ernst. Eine harte Regelung, die auf den ersten Blick Sinn macht. Bei genauerem Hinsehen aber kommen Zweifel.


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