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Schweiz Künstliche Monsterlawine ausgelöst

Skitourismus in den Alpen. Das Risiko fährt mit. Selten gab es so viele Verletzte und Tote. Selten war die Gefahr durch Lawinen so groß.

Von: Daniel Hechler

Stand: 22.02.2015 | Archiv

Eine Lawine kurz nach der Sprengung | Bild: BR

Aufbruch ins Ungewisse im Morgengrauen. Eine Gruppe von Wissenschaftlern und Journalisten hofft auf die Monsterlawine. Ein beschwerlicher Aufstieg durch Eis und Schnee auf 1500 Meter über dem Meer.

Ein Hubschrauber, 15 Kilo Dynamit, Dutzende Messgeräte. Nichts bleibt dem Zufall überlassen auf dem Versuchsgelände der Lawinenforscher bei Sitten im Wallis. Die Wetterbedingungen: ideal, Sonne nach heftigem Schneefall. Und doch kann alles schiefgehen. Beim letzten Versuch vor drei Jahren löste sich schlicht kein Schnee.

"Es bleiben noch fünf Minuten vor der Sprengung."

Francois Dufour, Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF

Michael Bründl

Monatelang haben Wissenschaftler des Schweizer Lawineninstituts das Experiment vorbereitet. Lawinen: extrem komplizierte Phänomene und bis heute rätselhaft.

"Wir wissen noch lange nicht alles. Insbesondere in der Bewegung der Lawine haben wir sehr viel gelernt. Aber wir verstehen zum Beispiel noch nicht genau die Physik, die in einer so genannten Staubwolke stattfindet. Wir haben auch noch nicht genau verstanden, wie die Wirkung von Lawinen auf Hindernisse ist. Und das brauchen wir auch, um Fragestellungen aus der Praxis richtig beantworten zu können."

Michael Bründl, Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF

Bange Sekunden vor der Sprengung. Das Dynamit wird an einem Seil langsam herabgelassen. Alle Kameras sind auf den Hang gerichtet.

Dann die Geburt einer Bilderbuchlawine.

"Was ist los? Eine Lawine kommt. Eine schöne, gute Lawine."

Francois Dufour

Fast lautlos beschleunigen sich die Schneemassen mit gewaltigem Druck auf 250 Stundenkilometer. Geschwindigkeit, Wärme, Dynamik, Aufprallkraft: Radargeräte und Sensoren vermessen das Monster aus allen Perspektiven. Mit tödlicher Wucht donnern gut 200.000 Quadratmeter Schnee ins Tal, hochgewirbelt auf bis zu 100 Meter. Nach knapp zwei Minuten ist dann auch schon alles vorbei.

"Wir warten seit Jahren, so eine Lawine auslösen. Für uns ist eine Explosion, eine Freude zu sehen."

Francois Dufour, Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF

Die eigentliche Arbeit aber beginnt erst jetzt, die Auswertung gigantischer Datensätze im Institut. Aus denen werden dann Modelle für solche XXL-Lawinen berechnet.

"Diese Modelle brauchen wir, damit wir Gefahrenkarten erstellen können. Gefahrenkarten braucht man dazu, um zu schauen: Wo ist es gefährlich, ein Haus zu bauen, und wo ist es weniger gefährlich. Das brauchen wir für die Raumplanung, damit wir solche gefährdeten Gebiete ausscheiden können, wo die Gefährdung höher ist."

Michael Bründl, Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF

Und doch bleiben unkalkulierbare Risiken. Graubünden vor gut einer Woche: Ein Schneebrett am Vilan löst sich, begräbt sieben Menschen unter sich. Drei werden tot geborgen, erfahrene Skifahrer mit Bergführer.

Jürg Wiedemann hat sie noch kurz zuvor getroffen. Am selben Tag auf derselben Tour. Er blieb unverletzt, hatte Riesenglück.

"Momentan bin ich schockiert. Für mich ist es unvorstellbar, dass es zeitlich und auch geographisch so nah ein so massives Ereignis gibt. Es waren Leute, die ich vorher noch beim Aufstieg getroffen habe, mit denen ich ein paar Worte gewechselt habe."

Jürg Wiedemann, Skitourenfahrer

Die Tragödie am Vilan: In den Schweizer Alpen kein Einzelfall. In nur einer Woche kamen sechs Menschen in Lawinen ums Leben.

"Die Lawinensituation im Moment ist relativ kritisch. Wir haben verbreitet eine relativ schwache Schneedecke und da genügt ein einzelner Skifahrer, um eine Lawine auszulösen und diese Situation haben wir im Moment."

Michael Bründl, Lawinenexperte

Ende eines geglückten Experiments. Die Lawinenforschung aber steht erst am Anfang. Warnungen: Ja. Präzise Vorhersagen: Nein. Bis auf weiteres ist der Rest Erfahrung und Vorsicht.


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