BR Fernsehen - EUROBLICK


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Russland Generation Putin

Die Russen stehen hinter ihrem Präsidenten. Eine aktuelle Umfrage besagt, dass zwei Drittel der russischen Bevölkerung Putin auch nach 2018, wenn seine jetzige Amtszeit zu Ende geht, als Präsidenten haben wollen.

Von: Manuela Roppert

Stand: 06.07.2014 | Archiv

Eine Klappbrücke öffnet sich | Bild: BR

St. Petersburg ist eine junge Stadt: erst vor gut 300 Jahren wurde sie von Peter dem Großen als Fenster zum Westen gegründet. Und junge Menschen prägen ihr Bild: die sogenannte "Generation Putin". Sie kennt den Kommunismus nur aus den Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern. Als Putin an die Macht kam, lernten sie gerade laufen.

Nastja

Nastja ist Kamerafrau. Durch ihren Beruf ist sie schon viel herumgekommen. Sie liebt ihre Heimatstadt, trotzdem überlegt sie, von hier wegzugehen:

"Ich denke, dass es in St. Petersburg mehr liberal denkende Jugendliche gibt als insgesamt in Russland. Das liegt sicher an der Nähe zu Westeuropa. Aber auch hier nimmt die Zahl patriotischer gesinnter Menschen immer mehr zu. Das gilt auch für die jungen Leute. Unsere Fernsehsender verkünden uns ja täglich, wie wunderbar hier alles bei uns ist."

Nastja, Kamerafrau

Alexander

Die Propaganda zeigt offenbar Wirkung. Ein Institut der Technischen Universität. Hier studiert Alexander Elektrotechnik. Auch der 22-Jährige war schon in mehreren europäischen Ländern unterwegs. Ein Studium oder ein Job im Ausland aber reizt ihn nicht:

"Aus Russland will ich auf keinen Fall weg. Ich möchte hier arbeiten und unser Land weiterentwickeln. Denn inzwischen bin ich stolz darauf, ein Russe zu sein und ich finde es angenehm, dass Ausländer inzwischen respektvoll darauf reagieren, wenn ich sage 'Ich bin aus Russland.' und nicht mehr Mitleid mit uns haben oder sich sogar lustig über uns machen. Ich bin kein Nationalist, aber mir ist es wichtig, dass Russland stark ist und dass unser Land seine Stärken weiter entwickelt. Seit dem Zusammenbruch sind gerade einmal 20 Jahre vergangen, das ist keine lange Zeit für so ein großes Land. Und es ist natürlich sehr schwer, es wieder zu seiner alten Stärke zurückzuführen. Aber wir arbeiten daran."

Alexander

Über Beziehungen ist Nastja erst beim Film und schließlich beim Lokalfernsehen gelandet und hat ihr Handwerk von der Pieke auf gelernt. Sie kann sich keinen schöneren Beruf vorstellen. Aber die Art und Weise, wie ihre Journalistenkollegen ihre Arbeit machen müssen, stößt ihr manchmal bitter auf. Der Lokalreporter berichtet über den Lopuchinskij-Park: Eigentlich sollte hier eine Straße gebaut werden. Doch die Anwohner protestierten gegen die Umwidmung der historischen Anlage und hatten damit Erfolg. Jetzt wird der Park restauriert.

Engagierte Bürger, einsichtige Beamte - man könnte meinen in der Fünf-Millionen-Stadt herrschten paradiesische Zustände, eine "lupenreine Demokratie" sozusagen.

Mit ihrer Kritik riskiert Nastja einiges:

"Wir bemühen uns sehr, das Leben in der Stadt von der positiven Seite zu zeigen, auch die Tätigkeit der Beamten nur von der guten Seite, also von der politisch richtigen Seite, kann man sagen. Das ist tatsächlich nicht immer so und nicht immer richtig, Wir zeigen nicht die negativen Seiten, die es auch gibt, die negativen Seiten unserer Regierung zum Beispiel. Das können wir nicht zeigen."

Nastja

Gut ausgebildete junge Menschen finden in St. Petersburg derzeit leicht einen lukrativen Job. Sie gehören zur neuen Mittelschicht, die ihrem Präsidenten die Stange hält. Wirtschaftliche und politische Stabilität ist ihnen offenbar wichtiger als Demokratie. Dabei ist die heutige russische Jugend so frei aufgewachsen wie keine Generation zuvor. Schüler einer zehnten Gymnasialklasse: Wie stellen sich 17-jährige Petersburger ihre Zukunft vor?

"Ich hätte auch die Möglichkeit zum Studium ins Ausland zu gehen, aber ich will unbedingt in Russland bleiben. Ich will hier lernen und arbeiten. Ich habe hier meine Freunde und meine Familie. Ich bin Patriotin."

Nastja, Schülerin

"Auch ich bin uneingeschränkt Patriotin meines Landes. Ich liebe die russische Literatur und ich bin stolz auf unsere Geschichte."

Mascha, Schülerin

"Eine Reise ins Ausland ist sehr interessant, ohne Frage. Man lernt dort andere Menschen kennen, eine andere Art zu leben, eine neue Kultur kennen. Aber ich habe dabei immer Heimweh."

Alexandra, Schülerin

Nastja fühlt sich hier immer mehr in der Minderheit. Mit der Annexion der Krim hat sich der Patriotismus sprunghaft ausgebreitet. Sie informiert sich ausschließlich über das Internet. Doch immer mehr kritische Seiten werden blockiert - Dostup sakryt, Zugriff verweigert - wie lange noch wird sie Zugang zu unabhängigen Informationen haben?

Internet überall, selbst im Park - da ist Russland ganz modern. Alexander informiert sich ebenfalls überwiegend im Netz und findet dort genügend regierungstreue Seiten. Ganz ohne Gerichtsbeschluss darf die zuständige Kontrollbehörde missliebige Inhalte einfach blockieren. Von chinesischen Verhältnissen ist man hier nicht mehr weit entfernt. Alexander stört das nicht, im Gegenteil:

"Es wird ja nur das blockiert, was einen negativen Charakter hat und was die Zerstörung unserer Gesellschaft zum Ziel hat. Wenn eine Seite keinen konkreten Inhalt hat, sondern einfach nur alles schlecht macht, dann finde ich es absolut richtig, wenn der Zugriff verweigert wird. Noch vor ein paar Jahren war ich kein Anhänger der herrschenden Macht, aber dann bin ich in mich gegangen und habe ich darüber nachgedacht: Wenn nicht diese Regierung, welche dann? Und ich habe keine befriedigende Antwort gefunden. Deswegen bin ich froh, dass ich schließlich zu einer Entscheidung gekommen bin und ich jetzt eine gefestigte Meinung im Kopf habe. Lieber unsere jetzige Regierung unterstützen als eine andere, von der man nicht weiß, ob sie uns nicht wieder ins Chaos führt."

Alexander

Die Enttäuschung über den Raubtierkapitalismus Anfang der 90er Jahre haben die Eltern offenbar an ihre Kinder weitergegeben. Die Angst, diese Zeit könnte sich wiederholen, sitzt auch bei jungen Russen tief.

Zwischen zwei und fünf Uhr nachts öffnen sich die Brücken über die Newa, damit auch größere Schiffe passieren können. Ein Schauspiel nicht nur für die Touristen. Auch Nastja schaut während der Weißen Nächte öfter vorbei. Sie wird es vermissen, genauso wie ihre Freunde und ihre Familie. Doch ihr Entschluss steht inzwischen fest: Sie wird sich eine neue Heimat suchen.

"Ich will nicht von St. Petersburg weg, sondern aus Russland. Ich möchte in einem kleinen, ruhigen, stabilen Land leben, und ich möchte auch, dass meine Kinder und Enkel in so einem Land aufwachsen. Ich denke liberal und ich glaube aufrichtig daran, dass die Freiheit des Menschen das höchste Gut ist, das uns gegeben wurde und das man unbedingt schützen muss. Hier aber wird Freiheit nicht geachtet."

Nastja

Die Zahl der Russen, die planen auszuwandern, ist rückläufig. Emigrieren wollen vor allem junge Menschen, die wie Nastja mit Putins autoritärer Politik und dem immer mehr um sich greifenden Patriotismus nicht einverstanden sind. Doch was wird aus diesem Land, wenn die ohnehin nicht sehr zahlreichen demokratisch gesinnten Menschen es verlassen? Braucht dann Russland noch ein Fenster zum Westen, eine Brücke nach Europa?


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