BR Fernsehen - EUROBLICK


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Polen Rechtsruck in Polen

"Vielen Dank für die jahrelange Zusammenarbeit im Polnischen Fernsehen", so Tomasz Lis, "vor allem den Mitarbeitern. Ohne sie wäre die Sendung nicht möglich gewesen." Und in einem offenen Brief schrieb der Starmoderator: "Keiner wird mir den Mund verbieten."

Von: Griet von Petersdorff

Stand: 10.01.2016 | Archiv

Applaus auf der Regierungsbank | Bild: BR

In seiner Talkshow beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen wurden Politiker gern mal in die Mangel genommen. Nun ist die national-konservative PIS-Partei an der Macht; die Sendung ist nicht mehr gewünscht.

"Sie wird sowieso von der regierenden Partei boykottiert. Wenn weder Präsident, noch Minister, noch Parteichef als Talkgäste kommen wollen, dann verliert solch eine Sendung ihren Sinn."

Tomasz Lis, Chefredakteur und Moderator

Nachts im Sejm, zwischen den Jahren: Abgeordnete der PIS sind begeistert, das neue Mediengesetz ist durch, in Windeseile verabschiedet – die PIS hat die absolute Mehrheit. Die Folgen für die öffentlich-rechtlichen Medien sind gravierend: das Führungspersonal wird ausgetauscht, sie werden direkt dem Finanzministerium unterstellt. Kritische Äußerungen gegenüber der Regierung könnten vielleicht den Job kosten. Um Pressefreiheit geht es der neuen Regierung auch nicht. Sie will nicht zu viel Kritik.

"Gerade in den letzten Wochen war die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien extrem unprofessionell, vor allem als um die Neuordnung des Verfassungsgerichts ging. Wir mussten schnell handeln."

Ryszard Terlecki (PIS)

Die Kritik heftig: "Jetzt haben wir Regierungsmedien", schrieb eine Zeitung. "Pis-Anhänger besetzen das polnische Fernsehen"

"Es geht vor allem um das Nachrichtenprogramm des polnischen Fernsehens und da vor allem um TVP-Info. Da kommt es zu einem Gemetzel; da wird gemäht wie mit einem Rasenmäher. Stattdessen kommen rechtskonservative Journalisten."

Jacek Rakowiecki, unabhängiger Journalist

Die EU-Spitze ist verärgert: Protestbriefe gehen an die polnische Regierung, und Polen solle sich einem Prüfverfahren unterziehen: Ist das Land überhaupt noch rechtstaatlich? Brüssel hat Angst um das größte osteuropäische Mitgliedsland, bisher stabil und EU-freundlich. Und mit Donald Tusk steht ein Pole an der EU-Spitze. Und die polnische Regierung wendet sich ab. Deren Außenminister wehrt sich:

"Manche Auftritte von EU-Kommissaren sind etwas seltsam. Offensichtlich sind sie auch falsch informiert durch die Medien. Die Beziehungen zur EU leiden darunter. Wir müssen da was klären."

Witold Waszczykowski, Außenminister

Druck von außen. Aber von innen heraus stark ist die PIS-Partei. Klatschende Abgeordnete auch bei der Neuordnung des Verfassungsgerichts: die Anzahl der Richter, die Entscheidungen fällen dürfen, wird drastisch erhöht. Eine Zweidrittelmehrheit ist nötig. Kaum machbar, sagen Kritiker. Das Gericht, das die Regierung kontrollieren soll, ist praktisch arbeitsunfähig. Und das war auch das Ziel, so Bürgerrechtler.

"Wir glauben, dass die Änderungen die Arbeit des Verfassungsgerichts lähmen. Und das hätte natürlich negative Auswirkungen auf die Bürgerrechte."

Marcin Szwed, Helsinki-Stiftung für Menschenrechte

Die Unabhängigkeit der Justiz in Gefahr – das brachte Zigtausende auf die Straße, zwei Wochenenden hintereinander: "Wir verteidigen die Demokratie", rufen sie. "Es war, als wäre die Zivilgesellschaft jetzt erst aufgewacht, endlich!" sagen manche: "Wir sind stark."

Viele bekommen, tatsächlich Angst, dass die Demokratie auf dem Spiel steht: "Auch wenn die PIS die Mehrheit hat, darf man doch nicht die Institutionen zerstören, die uns Bürger schützen." "Ich lehne es ab, wenn man die Hand gegen die Verfassung oder das Verfassungsgericht erhebt. Darum bin ich hier."

Die Protestierenden wissen, wer die wahre Macht hat: Jaroslaw Kaczynski, der Parteichef der PIS. Seit dem Tod seines Zwillingsbruders Lech Kaczynski beim Flugzeugabsturz umgibt ihn eine besondere Aura: er wittert Staatsfeinde überall, spricht wie hier von Landesverrätern, die Gestapo-Methoden anwenden würden. Sein Werk: die bis dato unbekannte Beata Szydlo wurde Ministerpräsidentin, der bis dato unbekannte Andrzej Duda Staatspräsident. Alle Macht der PIS – fast wie ein Vermächtnis von seinem Bruder, dem früheren Präsidenten.

Im ländlichen Osten wie hier in Kulesze Koscielne wählt fast jeder die national-konservative PIS. Die große Kirche ist von weitem zu sehen. Der Westen scheint weit weg, die Sehnsucht nach nationaler und religiöser Identität ist groß. Ein junger Journalist befragt die Einwohner:

"Warum haben Sie hier eigentlich alle PIS gewählt?"

Karol Bancerz

"Wir mögen die Partei!"

Eine Frau

"Und warum?"

Karol Bancerz

"Weil sie katholisch ist. Ja, das ist uns wichtig!"

Die Frau

"Ja und wegen der Gerechtigkeit. Darum geht es."

Eine andere Frau

In Polen treffen auch Lebenswelten, Traditionen aufeinander. Die politische Auseinandersetzung ist hochemotional und manchmal auch gnadenlos.


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