BR Fernsehen - EUROBLICK


2

Litauen Geteiltes Dorf

Das hier ist Jan Kildanavicius in seiner Datsche. Er ist hier geboren und auf gewachsen, in Sakaline, einem kleinen Dorf ganz im Osten Litauens, direkt an der Grenze zu Weißrussland.

Von: Mark Michel

Stand: 06.07.2014 | Archiv

Jan Kildanavicius an der Grenze | Bild: BR

"Das hier drüben ist Weißrussland, und hier nebenan, Litauen, da steht meine Datsche. Litauen – Weißrussland."

Jan Kildanavicius

Jan Kildanavicius

Jan scherzt und sagt, er hätte den am besten bewachten Garten Litauens. Gleich ein paar Meter weiter stehen Tag und Nacht Grenzbeamte. Seit Litauen Mitglied der Europäischen Union ist, verläuft zwischen den einstigen Sowjetrepubliken inzwischen die EU-Außengrenze, eine Art neuer Eiserner Vorhang, der das Dorf zerteilt, Familien und Freundschaften entzweit und Arbeitskontakte gekappt hat.

"Früher gab es hier keine Grenze. Es war ein Dorf und wir haben uns alle gegenseitig besucht. Heute aber ist da drüben ein anderes Land. Ich kenne viele Leute von dort und die kennen mich. Manchmal können wir durch den Zaun miteinander sprechen. Und wenn man ein Visum hat, kann man auch rüber gehen, aber vorher muss man eine Rundreise machen, um das Visum zu bekommen. Wir müssen erst ungefähr 30 Kilometer weit zum nächsten Grenzübergang fahren, um dann von da wieder hier nach drüben zu fahren."

Jan Kildanavicius

Mit dem Zerfall der Sowjetunion kam die Grenze, und mit dem EU-Beitritt Litauens der bewachte Stacheldrahtzaun - eher ein Fluch für die einst lebendige Grenzregion: Sakaline wirkt verlassen. Idyllische Natur, aber kaum Perspektive.

"Hier gab es einen Mix aus Kulturen in der Grenzregion. Aber die Jüngeren sind inzwischen weggegangen, wie meine Schwester und ich auch."

Julija Mackevic

Julija Mackevic

Julija ist in Sakaline aufgewachsen und zum Studieren nach Vilnius gegangen. Wer jung ist, verlässt die Region, geht in die Hauptstadt oder ins Ausland. Für immer. Seit dem EU-Beitritt Litauens und der Außengrenze blutet die Region zunehmend aus. Die Folgen: Überalterung, hohe Arbeits- und Perspektivlosigkeit bei der Jugend. Wenige Tage bevor wir Julia besuchen, ist wieder ein 29-Jähriger durch Alkoholmissbrauch gestorben.

"Es ist sehr schwierig, hier einen Job zu finden, weil es kaum Unternehmen und Fabriken gibt, nur ein paar Schulen, öffentliche Verwaltung und ein Krankenhaus. Ich verstehe die jungen Leute, die weggehen. Wenn man eine Ausbildung hat, eine Sprache kann, dann sollten sie weggehen. Ich sage ihnen: 'Geht ins Ausland, um zu studieren. Aber bitte kommt dann zurück, um ein neues Litauen aufzubauen.'"

Julija Mackevic

Genau deshalb ist auch Julija nach dem Studium wieder zurückgekehrt. Sie organisiert jetzt Freizeitangebote und Workshops für die Jugendlichen in der Grenzregion. Sie will Netzwerke schaffen, den jungen Menschen auch Job-Perspektiven aufzeigen und sie darin bestärken, ihre Heimat selbst wieder lebenswert zu machen.

"Ich bin hier geboren und habe die Probleme gesehen und ich denke, dass wir die Probleme lösen können. Wir sind der Überzeugung, dass jede Veränderung nur von den Jungen ausgehen kann. Wenn wir sie als gute Bürger erziehen, dann wird sich auch die Gesellschaft verändern."

Julija Mackevic

Heute hat sie Edvinas eingeladen, einen jungen Innendesigner, der sehr gefragt ist und von seinem Job inzwischen gut leben kann. Er soll den Jugendlichen Mut machen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.

"Ich erzähle hier den Jugendlichen von meiner Vergangenheit. Ich war alkohol- und drogenabhängig, habe mich mit Leuten geprügelt, sie geschlagen. Ich vergleiche hier mein altes Leben mit meinem neuen Leben, so dass die Leute hier den Unterschied sehen können, so dass sie sich ein Beispiel nehmen können."

Edvinas Knostenberg

So oft wie möglich, holt Julija für ihre Projekte Jugendliche aus dem Ausland in die Region, vor allem aus Weißrussland. Dann wird es wieder bunter an der Grenze. Man tauscht sich aus, ist gemeinsam kreativ. Europa steht dabei meistens im Mittelpunkt. Denn Julija brennt für die europäische Idee. Grenzen, so sagt sie, sind ihr einfach suspekt.


2