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Großbritannien Countdown zum Brexit-Referendum

An Englands Südküste liegt Eastbourne. Der beschauliche Ort ist ein Generationen-Mix. Einige Ecken sind voller junger Leute. In anderen bestimmen die älteren das Bild.

Von: Frank Jahn

Stand: 29.05.2016 | Archiv

Schilder mit der Aufschrift "Vote Leave" | Bild: BR

Hier im Senioren-Club für kreatives Schreiben wollen alle für den EU-Austritt stimmen:

"Die Leute wollen im Grunde das England ihrer Jugend zurückhaben."

Ein Mann

"Wir haben immer weniger zu sagen in der EU. Erst waren wir eins von acht oder neun Mitgliedern. Aber irgendwann sind wir einer unter 100. Wir müssen das zurückschrauben."

Eine Frau

Ganz andere Töne in diesem Teil von Eastbourne. Die Studenten machen eine Ausbildung zu Sportlehrern. Hier wollen sie alle für den Verbleib im europäischen Völkerbund stimmen.

"Die Zeiten haben sich geändert, seit die Generation unserer Großeltern jung war. Wir akzeptieren mehr Vielfalt."

Ein Mädchen

"Ich gehe an vieles anders heran als meine Oma damals. Die Dinge ändern sich nun mal."

Ein Junge

"Ich fühle mich wohl in der EU."

Ein anderer Junge

Für "In", fürs Drinbleiben, tourt der britische Premierminister durchs Land. Es liegt auf der Hand, meint er, dass die Vorteile überwiegen, wenn Großbritannien in der Gemeinschaft bleibt. Der Regierungschef von der konservativen Partei wirbt passenderweise bei Easyjet vor einem Airbus aus europäischer Fertigung für ein weltoffenes Großbritannien, das sich nicht abschottet. Die EU ist für ihn das Ticket in eine sonnige Zukunft.

"Wir sind sicherer, wenn wir drin bleiben, weil wir den Terrorismus im Team mit den anderen besser bekämpfen können. Wir sind stärker, denn die Briten profitieren von der Gemeinschaft mehr als sie verlieren. Und wir werden wohlhabender sein."

David Cameron, Premierminister Großbritannien, 'Better in', EU-Befürworter

Der Premier posiert vor einem Jet. Seine Kontrahenten kommen auch mit reichlich PS daher. Es sieht nur so aus, als hätten sie hier die Orientierung verloren. Ihr Ziel ist klar. Sie wollen ganz schnell raus aus der EU. Und die Kontrolle zurückgewinnen, wie der Frontmann der Anti-EU-Bewegung Boris Johnson sagt: "We are taking back control."

Boris Johnson

Auf Wahlkampftour geht er lieber im Bus als im Rennwagen. Aber der Kopf der Austrittskampagne bringt seine Botschaft dennoch lautstark vor: Die Briten müssen ihre Unabhängigkeit von Brüssel zurückerobern.

"Wir sind für Europa, aber Anti-EU. Es ist doch total verrückt, dass uns die EU vorschreibt, wie leistungsstark unsere Staubsauger sein dürfen und welche Form die Bananen haben und all das."

Boris Johnson, 'Vote Leave', EU-Gegner

Gisela Stuart und Boris Johnson im Bus

Der Populist hat beim Aufstand gegen Brüssel die deutschstämmige Gisela Stuart an der Seite. Die Labour-Abgeordnete wurde in Bayern geboren und hat einen britischen Pass. Sie fühlt sich dem Königreich verbunden und wirbt deshalb neben dem Konservativen Johnson für den EU-Austritt.

"Ich bin seit 40 Jahren in Großbritannien, seit 20 Jahren in der britischen Politik. Deshalb weiß ich, dass der Staat, den man Europa nennt, bestimmte Dinge braucht, um richtig zu funktionieren. Ich habe aber auch gelernt, was für das Vereinigte Königreich am wichtigsten ist, und als britischer Politiker habe ich eine Verantwortung, das zu tun, was für Großbritannien im besten Interesse ist."

Gisela Stuart, 'Vote Leave'

Die deutschstämmige Mitstreiterin soll wohl den Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit entkräften beim Topthema Einwanderung. Brexit-Befürworter meinen, die EU nimmt Großbritannien die Kontrolle über die Zuwanderung. 184.000 Einwanderer aus EU-Ländern kamen dank der Freizügigkeit in der EU letztes Jahr, viele aus Osteuropa. Die meisten arbeiten und zahlen Steuern. Sind sie eine Belastung oder eine Bereicherung? Die Antwort darauf beeinflusst viele Briten beim EU-Votum, auch in Eastbourne.

"Es ist absurd, dass uns die EU alles vorschreibt in der Immigration. Wir haben keine Kontrolle über die Grenzen. So viele Einwanderer kommen, viele von ihnen illegal."

Ein Mann

In Eastbourne liegen die Generationen auch in der Zuwanderungsfrage weit auseinander. Die Jungen sehen offene Grenzen nicht als Bedrohung: "Mir fällt keine einzige britische Sache ein, die wir verlieren würden in der EU." "Und die Grenzen?" "Ja, es gibt Einwanderer, die Probleme machen, aber die anderen Einwanderer haben für unser Land sehr viel geleistet."

Für Premier Cameron ist die Freizügigkeit in Europa auch gut fürs Geschäft. Zum Beweis holt auch er sich deutschen Beistand, im Siemenswerk auf der Insel. Ein EU-Austritt brächte Wettbewerbsnachteile für die Briten, warnt der deutsche Chef des britischen Siemensablegers.

"Deutschland oder Frankreich oder Spanien wird mit einem Vereinigten Königreich nicht so gerne zusammenarbeiten, wenn man nicht in der EU ist, weil am Ende will man natürlich die Wertschöpfung und auch das Know-how in einer EU behalten, und man will es nicht an einen Partner, der nicht in der Gemeinschaft mit drin ist."

Jürgen Maier, Geschäftsführer Siemens Großbritannien

Es bleibt nicht immer bei sachlichen Argumenten. Die Debatte heizt sich zum verbalen Schlagabtausch auf. Cameron warnt vor unsicheren Zeiten nach einem Austritt aus der EU und malt die Gefahr neuer Kriege an die Wand. Boris Johnson vergleicht die EU mit Hitlers Idee von einem Superstaat, in dem Europa gleichgeschaltet wäre. Pro oder contra EU? Vor dem Referendum sind die Fronten verhärtet.

Auf Eastbournes historischem Pier treffen beide Seiten aufeinander. Die Kluft zwischen den Generationen ist groß. Beim Tee auf dem Pier suchen sie die Annäherung.

"Diese Europäer knöpfen uns Milliarden ab. Warum soll man mit denen zusammenbleiben?"

Ein Mann

"Es ist doch eine Frage des Zugangs. Viele von uns wollen im Ausland unterrichten. Wir glauben, wenn wir austreten, behindert das unsere Chancen und die EU wäre für uns nicht mehr so zugänglich."

Ein Mädchen

"Sie mischen sich in unsere Art zu leben ein. Wir haben sie nicht darum gebeten, aber sie tun es."

Ein Mann

"Wenn die alle herkommen, dann sind für euch keine Jobs mehr da."

Eine Frau

"Ich will nicht unhöflich klingen, aber wir werden noch etwas länger hier sein als Sie. Deshalb sollten wir mehr bestimmen dürfen. Wir sind diejenigen, die nach Europa gehen, dort studieren. Deshalb haben unsere Ansichten mehr Gewicht."

Ein Mädchen

Welche Meinung mehr Gewicht hat, wird das Referendum klären: Wer abstimmt, entscheidet über das Verhältnis der Briten zu ihren Nachbarn auf der anderen Seite des Kanals.


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