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Griechenland Der Stand der Verhandlungen

Die EU-Kommission in Brüssel. Die Stimmung ist angespannt. Zum ersten Mal während der Griechenlandkrise geht die Kommission in die Offensive: Sie verkündet von sich aus Details aus den laufenden Verhandlungen.

Von: Gerhard Losher

Stand: 21.06.2015 | Archiv

Das Europäische Parlament | Bild: BR

"Die Ziele von 2015 sind schon enorm reduziert: Im Primärhaushalt erwarten wir nur noch ein Prozent Überschuss. Das ist erheblich weniger als die vorher verlangten drei Prozent."

Sprecherin der Kommission

Der Primärhaushalt ist die Bilanz aus dem, was ein Staat einnimmt, und, was er ausgibt. "Primär" deshalb, weil ohne Berücksichtigung von staatlichen Zinszahlungen.

Ein Primärhaushalt ist dann "ausgeglichen", wenn die Einnahmen genauso hoch sind wie die Ausgaben. Ein "negativer" Primärhaushalt ist es dann, wenn die Ausgaben die Einnahmen überwiegen – und das Ganze, wie gesagt, ohne Berücksichtigung von Zins- und Schuldendiensten.

Das ist das Problem von Griechenland: Seit mehr als zehn Jahren gibt der Staat mehr aus, als er einnimmt. Die 1990er Jahre, als es um die Aufnahme in den Euro ging, waren die einzigen, in denen das Land etwas mehr erwirtschaftete, als es ausgab. Aber kaum war der Euro da, stiegen die Ausgaben – nach 2002 ohne Ende: Finanziert wurde dies durch einen gigantischen Schuldenberg. Die Kredite gingen aber nicht in Straßen, Bildung, Infrastruktur; sie wurden regelrecht "verfrühstückt".

So kam es zu den Rettungspaketen nach dem Prinzip: Geld gegen Auflagen.

"Wir verlangen", so die Sprecherin, "nur noch ein Prozent Überschuss im Primärhaushalt."

Aber selbst das wollen die Griechen nicht liefern. Sie feilschen: Erst 0,6, dann 0,75, jetzt 0,8 Prozent. Der Unterschied sind nur noch zwei Milliarden Euro. Warum können die Griechen das nicht stemmen?

Für einen Überschuss im Primärhaushalt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man erhöht die Einnahmen oder man spart, verringert die Ausgaben. Aber noch mehr sparen geht nicht mehr.

Und um die Einnahmen zu erhöhen, bräuchte man entweder mehr an Steuern oder eine besser funktionierende Volkswirtschaft.

Und das ist das eigentliche griechische Kernproblem: Industrie, High Tech, IT, Administration und Bürokratie: Überall liegt es im Argen. Im Vergleich zu den anderen hoch entwickelten europäischen Staaten gibt es keine wirklich funktionierenden Wirtschaftsstrukturen.

Da helfen auch keine Investoren und kein Marshallplan: Bevor ein Regen Ernte bringen kann, muss erst einmal der Boden bereitet werden.

Deshalb verlangen die Institutionen – früher "Troika" – weitere Strukturreformen: Neben dem Überschuss im Primärhaushalt soll unbedingt das Rentensystem weiter reformiert werden, denn das ist für den Staat einer der größten Klötze am Bein.

"Ja, das Rentensystem ist einer der größten Ausgabeposten und eines der teuersten in ganz Europa."

Kommissionssprecherin

Griechenlands Ausgaben für Rentenzahlungen betragen 15 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. Das ist der höchste Wert aller Euroländer. Deutschland liegt mit 9,6 Prozent in der Mitte. Am geringsten ist der Anteil bei Irland mit 4,6 Prozent.

Nach mehr als acht Rentenreformen seit Ausbruch der Krise gehen die Durchschnittsgriechen nun nur noch zweieinhalb Jahre früher in Rente als die Deutschen. Und die griechische Durchschnittsrente ist mit 958 Euro ähnlich hoch wie in Deutschland, wo es noch zahlreiche Zusatzrenten gibt. Dafür ist das Durchschnittseinkommen, aus dem sich ja die Rentenzahlungen berechnen, in Griechenland nur halb so hoch wie in Deutschland. Das heißt: Für fast die gleiche Rente zahlen die Griechen nur halb so viel ein wie die Deutschen.

Aber das große Problem der griechischen Rentenkassen sind die Frühverrentungen: Während der Krisenjahre wurden viele schon ab 50 in die Rente geschickt, insbesondere Beamte: Von 2008 bis 2014 hat sich die Zahl der Verrentungen verdreifacht: Jahr für Jahr kamen im Vergleich zur Zeit vor der Krise auf eine "normale" Verrentung 1,78 weitere Frühverrentungen. Hinzu kommen noch überhohe Verwaltungskosten: Die zahlreichen Einzelversicherungen wurden zwar zusammengelegt, das Personal aber ist geblieben, darunter zahlreiche politische "Versorgungsstellen"; Insgesamt 15.000 Beamte, mehr als doppelt so viel, als erforderlich.

Um ein Prozent, von 15 auf 14 Prozent der Wirtschaftsleistung sollte Griechenland seine Rentenausgaben kürzen.

"Was sie uns angeboten haben", so die Sprecherin, "waren ganze 71 Millionen. Das ist weniger als 0,04 Prozent."

Ein dritter Streitpunkt zwischen Griechenland und den Institutionen ist die Mehrwertsteuer: "Griechenland hat ein überaus zersplittertes Mehrwertsteuersystem. Fortschritte bei der Erhebung sind dringend erforderlich." Kommissionssprecherin

Im Griechenland gibt es drei Mehrwertsteuersätze: 6,5, 13 und 23 Prozent. Hinzu kommt noch der "Ägäisrabatt": Auf zahlreichen Inseln sind die Sätze um 30 Prozent reduziert auf fünf, neun und 16 Prozent. Mit dieser Zersplitterung wollen die Geldgeber der drei Institutionen aufräumen. Vor allem aber: Nach Berechnungen der Kommission, besteht in Griechenland eine Erfassungslücke von 33 Prozent: Durch Bekämpfung der Schwarzarbeit und striktere Erfassung könnten 6,6 Milliarden Euro mehr erzielt werden.

Ein so zähes Ringen hat es innerhalb der EU schon lange nicht mehr gegeben. Ein Journalist fragt in der Pressekonferenz, warum sich die Kommission denn so anstelle, man sei doch nur noch zwei Milliarden auseinander. Da könne man doch über seinen Schatten springen.

Die Antwort der Sprecherin: "Wir haben schon genug Zugeständnisse gemacht, substantielle. Aber jetzt ist Schluss: Dies ist keine Einbahnstraße."


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