Urlaubsziel Türkei? Tourismus im politischen Ausnahmezustand
Viele Deutsche scheuen sich mittlerweile davor, ihren Urlaub in der Türkei zu verbringen. Sie haben Angst vor Terror oder sind beunruhigt von der Politik des türkischen Präsidenten Erdogan. Der baut das Land kontinuierlich zur Autokratie um, noch immer gilt der Ausnahmezustand und die politischen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland sind angespannt.
Flughafen München: Flüge in die ganze Welt. Uns interessiert der nach Antalya. Wer fliegt in die Türkei, jetzt, wo die Situation alles andere als entspannt ist.
Drei Reporterteams fliegen: Eines nach Side. Dort begleiten wir ein Geschwisterpaar beim Pauschalurlaub. Das zweite nach Kappadokien: Hier reisen wir mit einem Rentnerehepaar ins Landesinnere, wo viele hinter Erdogan stehen. Das dritte Team nach Istanbul: dort treffen wir einen deutschen Studenten, der nach langer Zeit endlich wieder Besuch aus Deutschland bekommt.
Ankunft in der Türkei
Acht Stunden später: Gleich kommen Tanja und Felix im Hotel an. Check-in, dann direkt aufs Zimmer.
Der nächste Morgen. Tanja und Felix waren vor drei Jahren schon mal hier. Damals haben die beiden kaum einen Platz am Strand bekommen. Diesmal: Kein Problem, eine Liege zu finden.
Hier starten wir gleich unsere zweite Tour: eine Rundreise durchs Landesinnere, Siebentagesbustour quer durch Kappadokien, eine politisch konservative Gegend. Neun Leute sind dabei, auch er: Günter. Günter macht die Tour zusammen mit seiner Frau: Christine: eine Tour dorthin, wo Erdogan viele Anhänger hat. Wird die Gruppe das mitkriegen?
Bülent, unser Reiseleiter: Er lebt von den Bustouren und früher war er meist ausgebucht. Doch dieses Jahr ist unsere Gruppe nur eine von wenigen – und gerade mal halb so vielen Teilnehmern wie letztes Jahr: „Das bedeutet für mich, dass ich arbeitslos bin dann auch. Bis in der Zeit, wo ich meine nächste Gruppe bekomme, bin ich dann zu Hause.
Politik spielt eine Rolle
Die erste Pause: Wir wollen direkt über die politische Lage hier reden, mit Günter und Christine. Ihre Freunde haben aber nicht gesagt, das ist etwas gefährlich?
"Ja, das sagen die alle. Es gibt Leute, die sind total ablehnend. Aber ich muss ehrlich sagen, vor zehn Jahren bin ich das erste Mal hier runter und ich wollte auch nicht hierher fahren. Inzwischen bin ich 25 Mal hier gewesen."
Christine und Günter
In der Raststätte. Hier gibt es ein spezielles Angebot: Teppiche mit Bildern von Erdogan und früheren Herrschern. An der Politik kommt man nicht vorbei, noch nicht mal bei einer Buspause.
Istanbul – unser drittes Urlaubsziel, früher beliebt bei Städtetouristen. Heute dagegen denkt man eher an Terror und politische Ausschreitungen. Hier besuchen wir Sven. Der deutsche Student lebt seit einem Jahr in Istanbul. Morgen bekommt er Besuch aus Deutschland.
"Ich hab einmal im April Besuch bekommen von einem befreundeten Pärchen – seit letztem Jahr schon gar nicht mehr."
Sven
Vorsicht in der Öffentlichkeit
Letzte Vorbereitungen vor dem Besuch. Svens gute Freundin Laura kommt in ein Istanbul, das sich seit einigen Jahren immer mehr verändert.
"Ich überlege mir Dinge zweimal: Wie laut ich den Namen des Präsidenten sage, weil man sagt ihn ja schon mit einer gewissen Betonung. Nein, da ist man schon vorsichtig. Sind eben doch viele sehr begeistert. Und diese Begeisterung lässt keine zweite Meinung zu."
Sven
Vier Millionen Deutsche machten 2016 Urlaub in der Türkei, ein Viertel weniger als im Jahr zuvor. Statt deutscher Touristen nun vor allem Russen.
Kappadokien im Landesinneren. Die Felsenhöhlen bei Göreme gehören zum Weltkulturerbe der UNESCO. Günther erzählt uns, dass die Touristen hier normalerweise Schlange stehen. Doch Warten wird für uns heute nicht das Problem sein. In den Höhlenkirchen gibt es viele alte Wandmalereien.
Istanbul: Sven will Laura vom U-Bahnhof abholen. Vom Flughafen quer durch die Stadt – hat sie hergefunden? Jetzt gleich geht es nach Kadiköy, eines der liberalen Stadtviertel, ein erstes Highlight mit dem Sven Laura von Istanbul überzeugen will. Hier scheint tatsächlich alles sehr entspannt, aber die Türkei verändert sich. Ein entspannter Abend. Morgen werden sie nicht mehr an der Politik vorbeikommen.
Strandurlauber Tanja und Felix: Sie wollen heute in Side Shoppen gehen. Bei ihrem Urlaub hier vor drei Jahren waren alle Händler nett und hilfsbereit.
"Können wir mal ein Interview geben? Zu den Medien in Deutschland würde ich gerne etwas sagen. Von wem lasst ihr euch steuern? ARD. Nein, nein, die schneiden das, pass auf, ich kenne die..."
Händler Osman
Nein, das schneiden wir nicht. Unsere Kamera sorgt für Misstrauen. Dort will Tanja aber sowieso nichts kaufen, sondern lieber hier eine Kette suchen.
"Also, letztes Jahr und dieses Jahr waren eigentlich ein bisschen schlechter als die Jahre davor, könnte man schon sagen," erzählt Händler Osman. Wer ist Schuld, dass weniger Deutsche kommen? Für Osman ist klar: "Die Medien, weil sie Erdogan schlecht machen und die Menschen in Deutschland sagen: 'Wir wollen Erdogan nicht unterstützen und deshalb gehen wir nicht in die Türkei.'" Ein Erdogan-Fan.
Auf den Spuren des Putschversuchs
Istanbul: Sven und Laura in der Altstadt. Eigentlich wollen sie zum Gewürzbasar. Doch dann fällt ihnen etwas anderes auf: Erinnern an die Toten des Putschversuchs, an den Juli 2016, als Teile des Militärs Erdogan stürzen wollten. Die Soldaten besetzen die Bosporusbrücke, Schüsse fallen. 250 Menschen sterben in der Putschnacht. Gedenken an Menschen, die den Putsch gestoppt haben – im Namen Erdogans. Die Geschehnisse der Putschnacht sind bis heute nicht vollständig aufgeklärt.
Die Istiklal Caddesi, Haupteinkaufsstraße Istanbuls. Sie führt zum Taksim-Platz. Den will Sven Laura auch zeigen, denn es ist der Ort, den viele Deutsche mit Polizei und Ausschreitungen verbinden. Das findet er wichtig. Ob sie davon etwas sehen werden? Der Taksim-Platz: eine Festung? Nur noch ein paar Meter. Ein Denkmal, das erste, was Laura sieht, an dem zentralen Ort, der für die Proteste gegen Erdogans Politik steht. Polizei und Wasserwerfer stehen am Taksim-Platz auch, aber eher unauffällig.
Weiter geht’s in den Gezi-Park: Genau hier hat 2013 alles angefangen: Widerstand gegen die Regierung und gegen Polizeigewalt. Vor einem Jahr dann: der Putschversuch, auch hier im Gezi-Park. Und heute? Scheint alles friedlich.
Auch wenn es ruhig scheint: In der Türkei gilt offiziell Ausnahmezustand. Erdogan kann im Alleingang regieren. Die Folge: 50.000 Menschen festgenommen, 160.000 Staatsbedienstete entlassen.
Wer hier Urlaub machen will, bekommt davon nichts mit, außer er fragt nach. Wer das nicht tut, kann seinen Türkei-Urlaub wie früher verbringen.
Unsere Urlauber finden Erdogans Politik nicht gut. Sie kommen trotzdem her, denken an die Menschen, die vom Tourismus leben. Und denen bleibt nur Optimismus.
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Matthias Kohler, Montag, 14.August 2017, 07:40 Uhr
1. Respekt
Ich finde Beitrag grundsätzlich sehr gut und auch einigermaßen neutral. Was ich nicht so toll fand, war der Herr auf der Rundreise, der sich einen "Sport" daraus macht, Fotos an Orten zu machen, an denen das Fotografieren untersagt ist. Obwohl im Beitrag darauf hingewiesen wird, dass das Blitzlicht schädlich für die Wandmalereien ist, wird das Verhalten des Herrn nicht wirklich kritisiert.