BR Fernsehen - EUROBLICK


0

Weißrussland Polizeistaat in Alarmstimmung

Spezialkräfte riegeln die Minsker Innenstadt ab, viele Tausende sind im Einsatz. Bilder, als bereite sich die Regierung Lukaschenko auf einen Bürgerkrieg vor.

Von: Udo Liellischkies

Stand: 09.04.2017 | Archiv

Spezialkräfte | Bild: BR

Tatsächlich war am Abend zuvor der geplante Protestmarsch der Opposition verboten worden. Startschuss auch für die unzähligen Geheimdienstmitarbeiter.

"Wie können Sie zuhause Ihren Kindern und Nachbarn in die Augen schauen?! Wissen Sie, was in Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg passierte?"

Ein Mann

"Polizeistaat" rufen andere, "Diktatur". "Ihr bringt Schande vor den Augen der ganzen Welt."

Tatsächlich filmen Hunderte von Kameras und Smartphones dann, was überall in der Stadt passiert: Die Bilder markieren das Ende des politischen Tauwetters in Weißrussland, mit dem Lukaschenko im Westen um Sympathien warb.

"So viel Technik gegen das eigene Volk, mein Gott!"

Eine Frau

"Als ob sie Angst um das eigene Fell haben."

Ein Mann

Nach den Massenverhaftungen werden die übrigen Demonstranten weiter aus der Zentrum getrieben.

In den Polizeirevieren der Stadt herrscht an diesem Abend Hochbetrieb. Ein Teil der Verhafteten wird wieder freigelassen, Angehörige warten im Regen.

Die Suche nach den Verhafteten war schwierig, auch sein Vater verschwand spurlos.

"Ich habe versucht, eine Menschenrechtsgruppe anzurufen, aber deren Telefon war total überlastet. Klar, denn offiziell gibt es schon 600 Verhaftete."

Sergej

Wir fahren in die Provinz: Slonim, 50.000 Einwohner, der typische Charme postsowjetischen Verfalls. Planwirtschaft, und es kommt weniger Geld aus dem Bruderstaat Russland.

Gewerkschafter Michail

Die Daunenfabrik geschlossen, so wie neun andere in Slonim, erklärt uns Gewerkschafter Michail. Die Milliardenhilfen des Westens flossen nicht in die Wirtschaft, wie geplant, sondern versickerten in Lukaschenkos Machtapparat, meint er. In den vergangenen Jahren beschleunigte sich der wirtschaftliche Verfall.

"Es gibt wenige Arbeitsplätze. In den noch überlebenden Unternehmen ist gerade ein Drittel der Jobs übrig geblieben. Und die zahlen Minimallöhne: Mehr als zwei-, dreihundert Rubel kann niemand erwarten."

Michail

Umgerechnet 150 Euro. Michail zeigt uns eines der zahllosen Wohnheime der Stadt, als vorübergehende Notunterkünfte gedacht. Doch Menschen wie Elena stranden hier dauerhaft.

Eine Gemeinschaftsküche, gemeinsame Toiletten. Elena hat 35 Jahre gearbeitet und drei Kinder großgezogen, sagt sie, doch für eine Mietwohnung reicht die Rente genauso wenig wie die Löhne vieler Arbeiter in Slonim.

"Wo gibt´s hier schon Lohn, der für Miete reicht?"

Elena

Gefangen in Lukaschenkos kollabierender Staatswirtschaft wächst die Unzufriedenheit: 300 protestierten sogar hier in Slonim gegen die neue Strafsteuer für Arbeitslose, sagt Michail:

"Seit einigen Jahren ist es einfach unmöglich, zu existieren. Man kann keine Lebensmittel mehr bezahlen."

Michail

"Ich habe niemals für Lukaschenko gestimmt, wieso ist der immer noch an der Macht?!"

Eine Verkäuferin

Selbst hier, auf dem Land, wächst jetzt der Widerstand gegen Lukaschenko.

Die Nervosität in Minsk ist entsprechend groß. Am Tag nach der verhinderten Demonstration halten sich Geheimdienst und Sicherheitskräfte zunächst zurück. Eine unerschrockene Rentnerin verurteilt die Verhaftungswelle gestern. Auch das ist neu: Rentner glaubten bisher Lukaschenkos Versprechen von Stabilität und Berechenbarkeit – jetzt gehen viele mit auf die Straße.

Auch Umstehende werden verhaftet, jeder Protest soll offenbar im Keim erstickt werden. Auch zahlreiche Journalisten werden festgenommen, doch die Bilder verbreiten sich schnell:

Wie in Russland setzt die Opposition auf das Internet, um der Zensur des staatlich kontrollierten Fernsehens zu entgehen. Dieses erfolgreiche Internetportal hat die Bilder von gleich vier Reportern und einer Drohne zeitgleich übertragen – zunächst unbehelligt; es gab keine Verbote oder Drohungen, erzählt Managerin Aljona. Doch dann fiel das Signal aus.

"Das passierte in mehreren Etappen. Zuerst fiel die Verbindung beim geplanten Treffpunkt der Demonstranten aus, aber auf der anderen Straßenseite konnten wir noch streamen. Als dann aber das Kommando zur Auflösung der Demonstration kam war das Signal überall weg."

Aljona Andreewa

Nikolai Statkjewitsch

Lukaschenkos Sicherheitsapparat leistete ganze Arbeit: Im ganzen Land wurden Kritiker schon vor der Demonstration verhaftet, auch Nikolai Statkjewitsch, der prominente Oppositionsführer. Er hatte vergeblich versucht, sich bei Freunden zu verstecken: Der KGB fand ihn und steckte ihn in eine Zelle. Fünf Jahre hat Statkjewitsch insgesamt schon in Lukaschenkos Gefängnissen verbracht. Er warnt davor, Lukaschenko mit Milliardenhilfen zu unterstützen.

"Die Leute im Westen sollten wissen, wohin ihre Hilfskredite gehen: Sie haben doch diese neuen Autos und Wasserwerfer gesehen, um Demonstranten auseinanderzutreiben. Diese Gelder gehen zur Miliz, zu den Gerichten, zum KGB."

Nikolai Statkjewitsch

Seine Frau Marina wurde auch kurzzeitig verhaftet. Doch Nikolai Statkjewitsch plant bereits eine weitere Demonstration. Die Zeit sei reif, glaubt er, das Regime könne sich nicht mehr lange an der Macht halten.


0