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Schweden Überforderte Kommunen

Seit November kontrollieren sie die Grenzen, vor allem hier im Süden Schwedens, an der großen Brücke über den Öresund. Zigtausende waren im vergangenen Jahr über diesen Weg ins Land gekommen.

Von: Clas Oliver Richter

Stand: 24.04.2016 | Archiv

Stefan Löfven

Flüchtlinge aus den Krisenregionen, die sich einen Neuanfang in Schweden erhofften, in dem Land, das Schutzsuchenden seit Jahrzehnten ein Leben in Frieden ermöglicht hat. Doch Schwedens Flüchtlingspolitik hat sich dramatisch geändert.

"Schweden kann nicht länger Asylsuchende in diesem Umfang aufnehmen. Unsere Kommunen sind nicht mehr in der Lage, diese große Zahl von Asylbewerbern sicher und angemessen unterzubringen."

Stefan Löfven, Regierungschef Schweden

Die Regierung verschärft die Asylgesetze, auch weil die Rechten im Land immer mehr Zulauf bekommen und stabil bei knapp 20 Prozent liegen, zwischendurch in einigen Umfragen sogar als stärkste Partei gehandelt werden. Inzwischen sind auch in Schweden die Flüchtlingszahlen zurückgegangen. Dennoch, in kleineren Kommunen wie hier in Norrtälje fühlen sie sich weiterhin überlastet mit der Unterbringung und Betreuung der vielen Schutzsuchenden, vor allem mit der Betreuung von alleinreisenden minderjährigen Flüchtlinge.

Heinz Glöckler

Der aus Deutschland stammende Landschulrat Heinz Glöckler muss jetzt auf einmal viele neue Schüler unterbringen:

"Im Herbst 2015 hatten wir 45, jetzt haben wir zur Zeit 245 und bis zum Ende des Jahres berechnen wir, dass wir ungefähr 450 bis 500 Schüler haben in unserem Ausbildungssystem in Nortällje."

Heinz Glöckler, Landschulrat Norrtälje

Fast 500 Schüler, die dann als erstes Schwedisch lernen müssen. Dabei sind in Norrtälje schon jetzt die Sprachklassen übervoll. Es fehlt an Lehrern. Jetzt helfen Migranten mit, die schon einige Jahre in Schweden leben und die Sprache zumindest ein wenig beherrschen, als Mentoren. Landschulrat Glöckler ist über jeden froh, der mithilft:

"Wir haben in Schweden nicht genug Lehrer. Wir haben jetzt die Rentner, die wir engagieren. Aber ich habe gerade gesehen, unsere Lehrer, die jetzt Rentner sind, wie können die mit den iPads arbeiten? Da müssen wir uns genau ausdenken, wie wir das machen. Ob die vielleicht dann nur Hilfslehrer sind, und die vielleicht nur noch begleiten und unterstützen."

Heinz Glöckler

Neben der Sprache wollen sie den jungen Flüchtlingen vor allem die schwedische Art zu leben beibringen: Wie geht man miteinander um? Was sind geschriebene und vor allem ungeschriebene Gesetze? Was ist höflich? Was gilt als respektvoll? Die jungen Flüchtlinge sollen in einer Art Crashkurs möglichst schnell integriert werden, auch wenn viele sich erst langsam an die neue Umgebung gewöhnen.

"Bei uns in Syrien war es immer warm, hier ist es so ungemütlich."

Ein Flüchtling

"Am Anfang war es schwer, das war nicht einfach für mich: ich kannte niemanden. Aber dann habe ich Freunde gefunden, aus vielen Ländern. Wir wohnen ja zusammen und helfen uns gegenseitig."

Ein anderer Flüchtling

"Ich habe draußen Fußball gespielt. Das ist so kalt. Ich habe wirklich versucht, draußen zu spielen, aber wegen des Schnees, den wir in Somalia ja nicht haben, fühlte ich mich sofort krank."

Abshir, 16 Jahre alt, aus Somalia

Weil es draußen nicht wirklich einladend ist, dürfen die jungen Flüchtlinge ab und zu mit anderen Mannschaften kicken. Heute sind sie beim Training des Feuerwehrfußballteams untergekommen.

Gemeinden wie Norrtälje tun sich schwer, die jugendlichen Flüchtlinge in der Freizeit sinnvoll zu beschäftigen. Vor allem dann, wenn die staatlichen Einrichtungen geschlossen haben, den zehn Wochen langen Sommerferien!

"Auch jetzt in den Sommerferien sind alle Schulen geschlossen. Da brauchen wir alle Freiwilligen: Schwimmunterricht, Segeln, alles drum und dran wird organisiert. Und da hilft die Bevölkerung mit, das ist wichtig."

Heinz Glöckler

Besonders aufwendig, die Unterbringung der jugendlichen Asylsuchenden. Die leben in Wohngruppen, werden rund um die Uhr betreut. Doch es fehlt an billigem Wohnraum, den Kommunen wie Norrtälje kurzfristig anmieten können. Etwa 180 Euro täglich bekommt die Gemeinde für jeden jugendlichen Flüchtling pro Tag. Das reicht nicht immer, denn die gesamte Unterbringung muss davon bezahlt werden - die Sozialarbeiter, die ebenfalls hier leben, genauso wie Kleidung und psychologische Hilfe für die häufig Traumatisierten.

In Norrtälje glauben sie übrigens nicht, dass die Zahl der Flüchtlinge weiter abnimmt - im Gegenteil: sie bereiten sich auf noch mehr jugendliche Asylsuchende vor:

"Ganz konkret, einen Reserveplan immer in der Hinterhand zu haben: Wo kann ich noch eine Schule aufmachen? Wo kann ich noch mehr Lehrer herkriegen? Wo können wir noch mehr Wohnungen herkriegen? Also, man muss immer daran denken."

Heinz Glöckler

Dennoch, sie hoffen, dass sich das Engagement irgendwann auszahlt. Wenn möglichst viele der jungen Schutzsuchenden hier tatsächlich eine zweite Heimat finden, Arbeit bekommen und Steuern zahlen – als ganz normale schwedische Bürger.


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