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Schweden Eine Stadt zieht um

Im Norden Schwedens wird mehr Erz gefördert als im gesamten Rest Europas zusammen. Die Grube Kiruna wächst weiter in die Tiefe und braucht immer mehr Platz. Deshalb muss eine ganze Stadt umziehen.

Von: Christian Stichler

Stand: 30.07.2017 | Archiv

Haustransport auf einem Schwertransporter | Bild: BR

Diese Stadt hätte es ohne die riesige Eisenerzgrube in den Weiten Lapplands nie gegeben. Mehr als einhundert Jahre hat die Symbiose zwischen Kiruna und der Grube gut funktioniert. Jetzt muss die Stadt umziehen; die Grube rückt näher. Die Häuser stehen auf unsicherem Grund.

Tieflader rücken an. Was nicht abgerissen werden soll, wird einfach Huckepack genommen. An diesem Tag ist es das erste der denkmalgeschützten "Tintenfasshäuser" mit der Nummer B52, das sich auf die Reise macht.

Für die Männer der Transportfirma Maßarbeit: "Diese Träger ist höher als der andere. Aber wir brauchen das gleiche Niveau. Sonst wird das nichts." Knapp 100 Tonnen drücken auf den Tieflader. Das alte Viertel aus der Gründungszeit des Bergwerks wird komplett verschoben.

Jetzt geht es rund 2,5 Kilometer quer durch den Ort.

Und hier soll das neue Kiruna entstehen.

Kjell Törma

Kjell Törma hält seit fast zehn Jahren jeden wichtigen Schritt mit der Kamera fest. Drei Bildbände über den Umzug seiner Stadt hat Kjell schon herausgebracht. Mit Freunden gehört ihm der kleine Buchladen:

"Wir wollen eine der ersten sein, die ins neue Zentrum gehen. Wir sind da offensiv. Natürlich haben wir auch Sorgen. Vielleicht können wir sogar das alte Haus mitnehmen."

Kjell Törma, Fotograf

Die Innenstadt ist erst in fünf Jahren dran. Am meisten Gedanken machen sich die Einzelhändler deshalb über die Zeit bis dahin. So geht es auch Johanna Ringholt, die in dritter Generation das örtliche Kleidergeschäft betreibt:

"In der jede Familie arbeitet, zumindest einer in der Grube oder ist von ihr abhängig. Wenn die also meinen, dass wir umziehen müssen, dann ist das eben so. Da müssen wir uns anpassen."

Johanna Lindgren Ringholt, Ladenbesitzerin

Die Erde unter der Stadt wird ausgehöhlt und gibt nach: riesige Schluchten entstehen. Die Risse der Grube kommen immer näher.

Der Schwerlaster mit dem Haus Nummer B52 hat den ersten Kilometer zurückgelegt. Insgesamt sieben der Häuser werden in diesem Sommer umziehen. Der alte Bahnhof gehört nicht dazu; er ist einfach zu groß. Von ihm steht nur noch ein Grippe. Bald wird er ganz abgerissen.

Mindestens zwei Milliarden Euro kostet die Umsiedlung der Stadt.

Karin Berge steht etwas wehmütig mit ihren beiden Enkeln am Straßenrand:

"Viele alte Erinnerungen verschwinden da. Aber wir sind froh über die Jobs, die bleiben werden."

Karin Berge, Einwohnerin von Kiruna

Der staatliche Grubenbetreiber kommt auch für den allergrößten Teil der Umzugskosten auf.

"Die alten Häuser sind so etwas wie die Seele Kirunas. 20 von ihnen sollen erhalten werden. Doch jetzt wird bereits darüber diskutiert, ob es nicht deutlich mehr werden. Das würde ich sehr begrüßen."

Kjell Törma, Fotograf

Tjabba Nordanfjäll

Der Grubenkonzern LKAB hatte übrigens keine andere Wahl: Ohne den Umzug hätte das Bergwerk in naher Zukunft still gelegt werden müssen. Jetzt soll hier noch bis mindestens 2035 Eisenerz geschürft werden – immer abhängig von der Entwicklung des Weltmarktpreis.

"Das sind jetzt noch 20 Jahre. Ob es danach noch weitergeht, müssen wir sehen. Wir können natürlich nur Erz abbauen, wenn sich das wirtschaftlich lohnt. Wenn es zu teuer wird, ist Schluss."

Tjabba Nordanfjäll, Projektleiter LKAB

Aber das hofft hier niemand, denn die Menschen in Kiruna wissen: wenn das Bergwerk verschwindet, dann gibt es auch für ihre Stadt keine Zukunft mehr.


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