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Schweden Wo Gewalt die Vorstädte prägt

Am 9. September wird ein neuer Reichstag gewählt. Eines der am meisten diskutierten Themen: Die Einwanderungspolitik. Schweden gilt seit Jahrzehnten als besonders großzügig bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Aus den Vororten der großen Städte Stockholm, Malmö und Göteborg sind allerdings Problemviertel geworden.

Von: Christian Stichler

Stand: 09.09.2018 | Archiv

Zwei Fotos von jungen Männern und Kerzen und Blumen | Bild: BR

Am Stortorget zeigt Malmö seine Postkarten-Fassade: Hier sind im Sommer die Touristen und im Herbst die Geschäftsleute unterwegs. Bei Bassam Dabbour steigen sie regelmäßig ins Taxi. Aber kaum einer von ihnen will hinaus in die Vorstädte wie Lindeborg oder Rosengård. Bassam selbst kommt von dort. Er ist Mitte der achtziger Jahre als Jugendlicher aus dem Bürgerkriegsland Libanon nach Schweden geflohen, hat 15 Jahre in Rosengård gelebt. Dort fühle er sich noch immer zuhause:

"Hier kommen wir nach Rosengård. Hier rechts und links, das da vorne – das alles ist Rosengård."

Bassam

Bassam Dabbour

Das Viertel hat aus zwei Gründen eine gewisse Berühmtheit erlangt: Zum einen kommt einer der weltweit besten Fußballer von hier: Zlatan Ibrahimovic. Zum anderen hat es in Rosengård in den letzten Jahren so viele tödliche Schießereien gegeben wie in keiner anderen Gegend in Schweden. Zuletzt wurde ein 20-Jähriger auf offener Straße erschossen. Meist sind es verfeindete Drogenkartelle, die sich bekämpfen.

"Das ist beunruhigend, wirklich! Man hat ja selber Kinder. Und man hat Angst um sie. Diese Gewalt akzeptiert hier im Viertel keiner. Viele sind wie ich selbst vor Gewalt und Krieg geflohen, haben alles hinter sich gelassen. Dann will man doch so etwas nicht wieder hier in Schweden erleben, wohin man geflohen ist."

Bassam Dabbour, Taxifahrer in Malmö

In Rosengård wohnen überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund. Viele haben die Sprache nie richtig gelernt, es fehlt ihnen eine gute Ausbildung, es fehlen Jobs. Im Viertel herrscht eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Man bleibt unter sich. Lebt in einer Art Parallelgesellschaft.

Mats Karlsson

Mats Karlsson ist seit Anfang mehr 25 Jahren Polizist in Rosengård. Er ist häufig in Zivil unterwegs. Dass die fehlende Integration zur Gewalt beigetragen hat, steht für ihn außer Frage.

"Im Prinzip kann man sagen, dass 100 Prozent aller Schießereien in Malmö in den vergangenen Jahren von Menschen begangen wurden, die einen Migrationshintergrund haben oder in zweiter Generation hier groß geworden sind. Und sie kommen aus diesen sozialen Brennpunkten wie Rosengård. Natürlich spielt die gescheiterte Integration eine Rolle."

Mats Karlsson, Polizei Rosengård

Basma Alsaif

Was ist da schiefgelaufen in den Vororten? Zum einen fehlte der Druck des Staates auf die Einwanderer, das breite Angebot an Sprachkursen und Ausbildungsmöglichkeiten auch anzunehmen. Es fehlte aber auch der Wille vieler Migranten – gerade der zweiten Generation – sich wirklich in die schwedische Gesellschaft zu integrieren, so wie es Basma Alsaif versucht hat. Die Mutter von zwei Kindern kommt aus dem Irak, hat in Sarajewo studiert und dort ihren Mann kennengelernt. Seit 12 Jahren lebt sie mit ihrer Familie in Schweden. Ihr Sohn hat einen festen Job, ihre Tochter studiert. Basma selbst arbeitet bei einem großen Energieunternehmen – in Sachen Integration eine Erfolgsgeschichte. Trotzdem fühlt sich die Familie in ihrer Parallelwelt Rosengård am wohlsten:

"Wir mögen Rosengård sehr. Hier fühlt man sich tatsächlich zuhause, weil Du bist wie all die anderen. Hier fühle ich mich nicht fremd. Nicht so wie eine Art fremde Kreatur."

Basma Alsaif

So geht es vielen in Rosengård. Man bleibt unter sich.

Basma hat Besuch eingeladen. Auch ihre Tochter ist zuhause. Sie lebt noch bei den Eltern. Alle in der Familie haben einen schwedischen Pass. Aber ist sie wirklich in der schwedischen Gesellschaft angekommen?

"Wenn ich Kartoffeln und Köttbullar essen würde, hätte ich vielleicht das Gefühl, mehr zur schwedischen Kultur zu gehören. Aber ich glaube nicht, dass die Schweden mich deshalb als Schwedin ansehen würden."

Tiba Alfallooji

Statt Integration – Segregation!

Bassam, der Taxifahrer, hat einen Bekannten getroffen: Sedat Arif. Auch er lebt in Rosengård, ist mittlerweile Kommunalrat. Die Stadt hat erkannt, dass sich etwas ändern muss, sagt er. Eine S-Bahn Station und Wohnheime für Studenten sollen das Viertel für neue Bürger attraktiv machen. Aber wenn die Kinder hier eine Zukunft haben sollen, dann muss mehr passieren.

"In Malmö entstehen derzeit viele neue Jobs. 60.000 Jahr ziehen jedes Jahr hierher. Aber die Jobs bekommen nicht die Leute aus Malmö, weil sie nicht über die richtige Qualifikation verfügen. Wir müssen die jungen Menschen besser ausbilden. Die Kinder brauchen Vorbilder, müssen sehen, dass ihre Eltern jeden Tag aufstehen und zur Arbeit gehen."

Sedat Arif, Kommunalrat Malmö

Maher Turkie

Arbeit als Mittel zur Integration – eine gute Idee, findet auch Maher Turkie. Bis vor einem halben Jahr war er selbst kriminell. Heute hat er 34.000 Fans bei Facebook, hat die Organisation "No 2 crimes - Nein zu Verbrechen" gegründet.

"Vor sechs Monaten kam eine Mutter auf mich zu und sagte zu mir: Maher, ich brauche Deine Hilfe. Ich dachte schon, was ist passiert? Sie erzählte mir, dass sie einen 16-jährigen Sohn habe. Er sei in die Kriminalität abgerutscht, habe Schulden. Und sie fragte mich: kannst Du mithelfen? Und dann habe ich ein wenig telefoniert. Und er ist tatsächlich ausgestiegen. Das war mein Wendepunkt. Jetzt will ich noch mehr von diesen Jungs retten."

Maher Turkie, No 2 crimes, Malmö

Mohammed Abbas

Aber das wird dauern. Bis dahin braucht es das Engagement gegen die Gewalt im Viertel. Mit den sogenannten "Nachtwanderungen" wollen viele Vereine Präsenz auf den Straßen zeigen, den Bewohnern des Viertels Sicherheit geben. Auch im Sommer, wenn es draußen noch lange hell ist, ziehen die Nachtwanderer ihre Runden – mit einem Traum im Kopf:

"Rosengård ist ein wunderbarer Platz. Die Medien und die Leute da draußen sollen wissen, dass wir anders sind. Viele denken so schlecht über uns. Das muss sich ändern. Und ich glaube, gemeinsam können wir das auch ändern!"

Mohammed Abbas

Aber allein wird diese Zuversicht nicht genügen, in einer Stadt, in der die Gewalt zum Alltag gehört. Es braucht mehr, damit die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht verloren geht.


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