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Schweden Neutral aber wehrhaft

Im Wald von Tofta üben sonst Schützenvereine. Die Kanone an der Zufahrt stammt noch aus dem Zweiten Weltkrieg. Doch das hier am Wegesrand ist eine Attrappe und Teil des größten Manövers seit Jahrzehnten.

Von: Tilmann Bünz

Stand: 15.10.2017 | Archiv

Eine Kanone im Wald von Tofta | Bild: BR

Patrik Monard

Patrik Monard gehört zum 18. schwedischen Bataillon. Nach der russischen Annexion der Krim wurde es nach Gotland verlegt. Wir fragen, wie er sich fühlt:

"Hervorragend! Jetzt machen wir das Richtige. Wir kommen ein bisschen spät. Es war ein Fehler, die Armee so zusammenzuschrumpfen und die Wehrpflicht auszusetzen Es ist gut, dass wir wieder hier sind."

Patrik Monard, Leutnant Schwedische Armee

Ganze vier Panzer hat man vom Festland auf die Ostseeinsel herbeigeschafft, alte Modelle. Man kann ihnen ansehen, dass Schweden schon sehr lange keinen Krieg mehr führen musste. Die Soldaten dagegen sind ganz neu bei der Truppe; sie müssen noch üben.

"Unsere Leute haben erst vor drei Monaten angefangen.Da sitzt noch nicht alles."

Patrik Monard, Leutnant der schwedischen Armee

Seit Russland begonnen hat, Grenzen in Europa zu verschieben, wächst im neutralen Schweden die Angst vor einem Überraschungsangriff. Ein mögliches Ziel wäre Gotland. Doch für diesen Fall fühlen sie sich allein nicht gerüstet. Und so haben sie sich Hilfe geholt von jenseits des Atlantiks: Es ist das erste Mal, dass amerikanische Kampfhubschrauber vom Typ Apache im Tiefflug über gotländische Wiesen und Schafweiden donnern. Den ganzen Tag lang fliegen die US-Amerikaner Scheinangriffe und die schwedischen Schützen justieren die Kanonen.

Ryan Ackerson und Oskar Hullegård

Für Schweden ist das Neuland: Man war immer sehr bemüht, seine Neutralität zu pflegen und Feindbilder zu vermeiden. Auch heute nehmen die Offiziere das Wort "Russland" nicht in den Mund. Sie reden nur von Rot und Blau.

"Auf der Seite der Roten kämpfen einige Schweden, Finnen und Amerikaner."

Oskar Hullegård, Leutnant Schwedische Armee

Wir fragen: "Aber eure Truppe sind die Blauen. Warum ist der Feind denn rot?"

"Das sind nur Farben. Das macht man so bei Militärübungen. Es geht immer rot gegen blau."

Ryan Ackerson, Leutnant US-Luftwaffe

Das Manöver wäre andernorts vielleicht nur ein typisches Herbstmanöver. Aber es gibt eine Vorgeschichte, die zeigt, dass die Nerven in Schweden seit einiger Zeit blank liegen.

Wir fahren in den armen Osten der Insel; eine ruhige Gegend mit wenig Arbeitsplätzen, Landflucht und hoher Verschuldung. Unser Ziel ist der Hafen Slite. Eine Zementfabrik dominiert den Ort, ansonsten ist nicht viel los. Da, wo früher Rohre für die russisch-deutsche Gaspipeline gelagert wurden, liegen heute nur noch ein paar Baumstämme. Die Regierung hat Angst, die Russen könnten hier einen geheimen Stützpunkt einrichten.

Anders Johannson

Unsere Frage: "Wie nennt ihr den Kai, Putin–Kai?"

"Ja, aber früher nannten wir ihn Apotheker-Kai. Dort hat Nordstream die Rohre für die erste Pipeline gelagert. Warum auch nicht? Wir sehen in Slite jede Woche ein Schiff aus Russland, mit Kohle Gips oder Zement. Diese Rohre waren früher kein Problem, warum sollten sie jetzt eines sein. Warum dürfen wir keine Rohre für Nordstream lagern? Ich verstehe das nicht."

Anders Johannson, Anwohner Slite

50 Millionen Kronen, etwa fünf Millionen Euro sind den Menschen in Slite so durch die Lappen gegangen. Das Zwischenlager wird jetzt woanders in Schweden gebaut, in Karlshamn auf dem Festland. Russenangst ist in Slite nach all den Jahren guter Handelskontakte nicht sehr ausgeprägt:

"Wenn die Russen Gotland einnehmen wollen, dann können sie das jederzeit. Dafür brauchen sie doch nicht unseren Hafen."

Lars-Inge Söderberg, Anwohner Slite

Nach drei Tagen Manöver bleiben ein paar geknickte Tannen und ein paar hundert Soldaten zurück auf Gotland. Viel zu wenig, sagt Patrik Monard. Militärs wie er misstrauen den Russen und denken, wer Gotland hat, der kann die ganze Ostsee beherrschen.

Wir fragen nach: "Habt ihr genug Soldaten, verglichen mit denen auf der anderen Seite, wenn die zu Feinden werden?"

"Kann man für die Verteidigung jemals genug Soldaten haben?"

Patrik Monard

Ein Satz, der harmlos klingt und doch sehr ungewöhnlich ist für ein Volk, das sich seit mehr als 200 Jahren aus allen Kriegen heraus gehalten hat.


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