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Österreich Wo Investitionsstau zum Verfall führt

Sie wohnt und putzt hier, im Gemeindebau Goethehof. Claudia Nachförg ist Hausbesorgerin von Beruf – in guter alter Wiener Tradition.

Von: Darko Jakovljevic

Stand: 22.01.2017 | Archiv

Sozialwohnungen | Bild: BR

Wichtig ist ihr:

"Ein Verhältnis, ein gutes, sollte man eigentlich zu allen haben, egal, wer das ist. Nach so vielen Jahren, glaube ich, habe ich das im Griff, mit wem ich wie umgehen muss."

Claudia Nachförg, Wiener Hausbesorgerin

Ruth Prediger und Claudia Nachförg

Wenn sie aber in Rente geht, dann soll ihre Stelle verschwinden. Eine Reinigungsfirma würde dann übernehmen. Doch das ist was ganz anderes, vor allem für bedürftige Bewohner. Denn sie, wie diese Nachbarin mit einer kleinen Rente, finden bei ihrer Hausbesorgerin Halt:

"Wenn man krank ist, wenn man was zum Einkaufen braucht, wenn man eine Hilfe braucht."

Ruth Prediger

Und die wünschen sich viele, wie hier im Goethehof. Jede vierte Wohnung in Wien gehört zum städtischen Sozialbau. Für 50 Quadratmeter zahlt man rund 400 Euro Miete. Solche Sozialwohnungen sind sogar verteilt auf die ganze Stadt – in Europa ist das nahezu beispiellos.

Im Goethehof wohnen auch jene, die es im Leben geschafft haben, wie Peter Pilz, ein grüner Abgeordneter im österreichischen Parlament. Er verdient rund 8700 Euro im Monat, lebt aber in einer sehr günstigen Sozialwohnung. Das aber will nicht jeder akzeptieren:

"Sollen wirklich wir Politiker, wir Abgeordnete als Volksvertreter jetzt in die Luxusviertel der Stadt ziehen? Und sollten wir wirklich keine Ahnung mehr haben, wie normale Menschen leben?"

Peter Pilz, Abgeordneter im Österreichischen Parlament, Die Grünen

Egal ob Politiker, Professor oder ein Langzeitarbeitsloser – der zuständige Stadtrat will genau diese Mischung:

"Denn wenn man den geförderten Wohnbau nur noch für soziale Schwache vorzusehen hat, dann kommt es unbedingt zu dem, was wir unbedingt verhindern wollen in Wien oder in anderen Großstädten, nämlich, dass es zur Konzentration von sozial schwierigen Situationen kommt."

Michael Ludwig, Wiener Stadtrat für Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung

Was aber, wenn jemand ganz neu in der Stadt ist? Wie dieser Kleine und sein Vater aus Syrien. Zwar haben sie einen positiven Asylbescheid, aber noch lange keinen Anspruch auf eine Gemeindewohnung, die sie wohl nicht bekommen werden, für Jahre hinaus. Bekommen haben sie über einen Hilfsverein etwas anderes, in einem privaten Altbau, für sie derzeit mietfrei, aber unsaniert. Denn wäre saniert, könnte die Familie die Miete gar nicht zahlen. Sie sind froh, überhaupt eine Bleibe zu haben. Auch wenn sich drinnen so etwas verbirgt: hier die vergleichbare Nachbarwohnung. Bis vor kurzem lebte hier eine österreichische Rentnerin. Solche Wohnungen für weniger als 200 Euro Miete, oft ohne Dusche, sind keine Seltenheit. Oder dass sich mehrere Familien ein Klo im Hausflur teilen müssen. Der Grund: Oftmals ist Altbau sanieren in Wien für Bauunternehmen nicht lukrativ, denn der Mietpreis ist dann gebunden an einen gesetzlichen Richtwert.

Deshalb gibt es solche unsanierten Wohnungen noch immer in ganz Wien, geschätzt mehrere Zehntausend. Und trotzdem fehlt der fast Zwei-Millionen-Stadt genügend leistbarer Wohnraum, vor allem für die sozial Schwächsten.

Die Folge davon sieht so aus: Mitten im Zentrum von Wien, in einem anderen privaten Mietshaus: jeder geht nach oben in seine Wohnung, doch der Rumäne Ilije Coscadaru muss diesen Weg nehmen: in den Keller. Er nimmt uns mit. Verstecken will er sich nicht mehr, wie in den ersten Wochen, nachdem er und seine ganze Familie hier einziehen mussten: auf knapp 15 Quadratmetern. Die Miete: unglaubliche 550 Euro. Mit Gelegenheitsjobs schaffen sie es gerade, wie Vater Ilije erzählt. Doch hier bleiben, will er nicht:

"Hier lagert man doch Dinge, die man nicht braucht: Kartoffeln oder Zwiebeln. Das ist kein Ort zum Wohnen, schon gar nicht für Kinder."

Ilije Coscodaru

Mutter Mirela bereitet Essen zu. In Rumänien dagegen konnte sie das nicht jeden Tag, wie sie sagt:

"Ich will endlich hier ausziehen. Ich kann hier nicht mehr leben. Ich bin krank. Ich hoffe, die Kinder werden es einmal besser haben."

Mirela Coscodaru

Hier einziehen, im Goethehof – das wird die rumänische Familie nicht so bald können. Die Wartelisten sind lang und freie Wohnungen fehlen, auch wenn die Stadt Wien jetzt wieder neue baut.

Die Hausbesorgerin ist froh, wie die meisten Nachbarn, dass hier nicht nur ärmere Menschen leben, sondern auch der Politiker, der Besserverdiener.

"Andere sind woanders zu Hause. Ich bin genau hier, im Goethehof, zu Hause."

Peter Pilz, Abgeordneter im Österreichischen Parlament, Die Grünen

Mit Bewohnern wie ihm soll aus dem friedlichen Goethehof nie ein Ghetto werden. Allerdings: Eine günstige Wohnung wie seine, brauchen inzwischen mehrere Zehntausend Bedürftige. Und jedes Jahr kommen mehr. Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht – in Wien, der Vorzeigestadt des Sozialbaus.


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