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Großbritannien Was wird aus den EU-Ausländern?

Großbritannien und die Europäische Union haben die Weichen für den Brexit gestellt: Im Vereinigten Königreich machen sich die Bürger der EU-Länder Sorgen um ihre Zukunft.

Von: Julie Kurz

Stand: 30.04.2017 | Archiv

The 3 Millons | Bild: BR

Zeiten der Unruhe:

"Keiner weiß, was aus uns wird. Sie lassen uns in der Luft hängen."

Kim

Sorgen vor der Zukunft:

"Ich habe mir hier ein Leben aufgebaut, seit 30 Jahren. Bristol ist mein Zuhause!"

Anne Laure

Ein Schwebezustand:

"Ich glaube also im Ernst nicht daran, dass man mich hier rauswerfen wird."

Professor Hans-Joachim Hahn

Prof. Hans-Joachim Hahn

Vor 50 Jahren ist Hans-Joachim Hahn ausgewandert. Die Flexibilität, der Humor, die Weltoffenheit der Briten – das hat den Germanistikprofessor von Anfang begeistert. In seinen schlimmsten Albträumen hätte er sich nicht ausmalen können, dass ihm mal die Abschiebung drohen würde, dass er massenhaft Unterlagen sammeln würde, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen:

"Für mich, und vielleicht bin ich hier etwas zu empfindlich, war das eine Verletzung der Menschenwürde: Wenn man also wirklich einem nicht mehr glaubt und wenn man alles, gar alles, irgendwie den Behörden heran schleifen muss, dann halte ich das für einfach….man traut einem nicht mehr. Man wird dadurch auch unmündig."

Hans-Joachim Hahn, emeritierter Germanistikprofessor

Sein Antrag, sein Schicksal nun in den Händen britischer Behörden. Auch Anne Laure sammelt und sammelt, um zu beweisen dass sie seit mehr als fünf Jahren im Land lebt und damit ein Bleiberecht hat – auch nach dem Brexit.

"Da sind Bankauszüge, Stromrechnungen – von vor einer Ewigkeit, Wasserrechnung, diverse Quittungen. Und das hier ist erst die Hälfte dessen, was meinen Antrag am Ende ausmachen wird."

Anne Laure

Ein bürokratischer Irrsinn. Die Französin setzt sich dafür ein, das Verfahren zu vereinfachen, für sich und all die anderen. Unter anderen mit einer Deutschen hat sie die Organisation "Die 3 Millionen" gegründet – entsprechend der Anzahl an EU-Bürgern im Land. Für jene ist die Organisation zum zentralen Anlaufpunkt geworden, auch zum Kummerkasten. Immer wieder hören sie von abgelehnten Anträgen, manchmal allein weil die private Krankenversicherung fehlt.

"Es ist einfach nicht länger tragbar, emotional sowieso nicht, aber auch ganz praktisch. Wir müssen einfach wissen, ob wir eine Zukunft in diesem Land haben. Manchen Leuten wird der Hauskredit verweigert oder sie werden bei einem Job abgelehnt, mit der Begründung, dass man eben nicht weiß, ob sie nach dem EU-Austritt bleiben können."

Anne Laure Donskoy, the3million

Anne Laure Donskoy und Maike Bohns

Die Frauen aus Bristol haben es mit geschickter PR geschafft, die Öffentlichkeit für ihre unsichere Lage zu sensibilisieren. Sie fordern ein Bleiberecht für alle EU-Bürger, die momentan in Großbritannien leben. Und sie wehren sich dagegen, als Faustpfand eingesetzt zu werden in den EU-Verhandlungen.

"Wir brauchen jetzt Gewissheit über unsere Lage. Aber es ist natürlich auch unwürdig und demoralisierend, in den Topf geworfen zu werden mit Autoteilen und Gemüsesorten. Das heißt wir wollen das voneinander abkoppeln. Und wir wollen in jedem Fall Klarheit gewinnen, denn die Verhandlungen können ja auch scheitern."

Maike Bohns, the3million

Familie Davis

Kürzlich hat ihnen EU-Verhandlungsführer Michel Barnier bei einem Treffen zugesichert, dass Ihre Rechtslage bis Ende des Jahres geklärt werden soll. Versprechungen – sie reichen Kim Davis nicht aus. Seit der Geburt ihres Kindes hat die Deutsche nicht mehr gearbeitet, deshalb befürchtet sie keine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Dass sie mit einem Briten verheiratet ist, zählt bei den Behörden nicht. Sie reißen die Zelte ab.

"Klar tut das weh. Ich habe meinen Mann hier. Ich habe meine Freunde. Ich habe hier ein Leben. Ich habe meine Wurzeln irgendwo in den Boden gegraben. Und jetzt fängt man halt wieder von vorne an. Mein Mann ist 51; ich werde 45. Wird nicht einfach werden. Aber wir schaffen das."

Kim Davis

Bleiben oder Aufbrechen? Es ist die Frage, die sich viele EU-Bürger im Moment stellen, zerrissen zwischen der Insel und dem Kontinent mehr denn je, zwischen alter und neugewordener Heimat.

Hans Joachim Hahn reicht ein Schluck badischer Wein als Erinnerung an Deutschland. Freiwillig geht er nicht. Und wenn er muss?

"Ja, dann ziehe ich halt woanders hin. Und bin verärgert. Was anderes bleibt mir nicht übrig."

Hans-Joachim Hahn

Erst mal aber wartet er ab. Seine unverhoffte, instabile Lebenslage im Alter, er nimmt sie auch mit einer Portion Humor, ganz der Engländer!


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