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Gibraltar Angst vor dem Brexit

Das ist der Stein des Anstoßes: der Felsen von Gibraltar – seit 300 Jahren gehört er Großbritannien, und genauso lange will ihn Spanien zurück. Viel Streit um sechs Quadratkilometer, einen kleinen Ort und ein paar Affen oben auf dem Hügel.

Von: Stefan Schaaf

Stand: 23.10.2016 | Archiv

Felsen | Bild: BR

Damon Bossino und Rosa Arrimades

Doch nun verschärft der Brexit die Lage, etwa für Rosa und Damon, ein Ehepaar, das sich große Sorgen macht: sie Spanierin, er englischsprachiger Gibraltareño.

"Sehen Sie, da drüben ist Spanien. Dort gehen wir über die Grenze und besuchen Freunde oder Familie. Aber wenn der Brexit wirklich kommt und es dann Einschränkungen geben sollte, dann wird es sehr, sehr schwierig für uns."

Rosa Arrimades

"Das Ganze war ein schwerer Schock, gerade auch für uns persönlich. Wir wissen einfach nicht, was das in Zukunft bedeuten wird."

Damon Bossino

Der kleine Ort, 30.000 Einwohner, bietet englisches Flair und eine prosperierende Wirtschaft. Viele Onlinewettbüros, boomender Tourismus und auch Steuerparadies – das ist die Jobmaschine Gibraltar. Rund 10.000 Spanier arbeiten hier, die EU-Freizügigkeit macht es möglich.

Doch der Anwalt Damon Bossino weiß, dass all dies in Gefahr ist. Schon jetzt macht sich die Ungewissheit für ihn im juristischen Alltag bemerkbar:

"Solange wir nicht wissen, wie der Brexit genau aussieht und was die Auswirkungen dann sein werden, solange können wir unsere Klienten derzeit nicht richtig beraten."

Damon Bossino

Dr. Joseph Garcia

Wachwechsel am Regierungssitz – hier war man immer gegen den Brexit. Im Juni stimmte Gibraltar mit 97 Prozent für den Verbleib in der EU, denn die Kronkolonie ist auf den Zugang zum europäischen Binnenmarkt angewiesen – der steht nun auf der Kippe.

"Ein harter Brexit wäre sehr schwierig. Gibraltar würde die Hälfte seiner Arbeitnehmer verlieren, 50 Prozent kommen täglich über die Grenze. Der Tourismus hätte ein Problem. Und Spanien könnte, wenn Gibraltar die EU verlässt, die Grenze als Waffe gegen uns benutzen."

Dr. Joseph Garcia, Deputy Chief Minister Gibraltar

Die Grenze als Druckmittel - schon jetzt hat die konservative Regierung in Madrid durch verschärfte Kontrollen lange Wartezeiten produziert. Bislang konnte die EU gegen solche Schikanen vorgehen, aber wie wird das in Zukunft sein? Unsere Interviewanfrage zur Grenzsituation blieb in Madrid unbeantwortet.

Im Schatten des Felsens liegt La Línea. Die Stadt auf der spanischen Seite ist doppelt so groß wie Gibraltar, aber das Lebensgefühl ein völlig anderes. Hier herrscht Depression, die Arbeitslosigkeit erreicht fast vierzig Prozent, die Kommune ist hoch verschuldet. Die Menschen, die noch einen Job haben, haben ihn auf der anderen Seite der Grenze – ohne die Kronkolonie gingen hier die Lichter aus. In einer Kneipe trifft sich regelmäßig der "Verein der spanischen Arbeiter in Gibraltar". Wütend sind sie auf die eigene Regierung in Madrid – die mache mit ihrer Konfrontation ihnen das Leben schwer. Und der Brexit ist bei den Arbeitern schon angekommen – sie spüren ihn im Geldbeutel.

"Ich werde drüben in Pfund bezahlt, und das hat schwer verloren. Im Schnitt verdiene ich nun 300 Euro weniger im Monat, das tut richtig weh."

Jesús Moya

Jesús Moya

Am nächsten Morgen treffen wir Jesús Moya an der Grenze – seine Fahrt zur Arbeit ist schon jetzt ein Lotteriespiel; nie weiß er, wie lange es dauert. Bei einem Brexit fürchtet er Wartezeiten von mehreren Stunden. In Gibraltar fährt Jesús für einen Großhändler Tiefkühlkost aus. Nach dem Beladen geht es den ganzen Tag mit dem Lieferwagen durch die engen Gassen der Stadt.

Seit elf Jahren macht der 48-Jährige diesen Job; er ist zufrieden. Auf der anderen Seite, in Andalusien, würde er so schnell keine Arbeit finden. Gibraltar ist für die südspanische Provinz der zweitgrößte Arbeitgeber. "All das", meint Jesús, "steht mit dem drohenden Brexit auf dem Spiel."

"Noch läuft alles normal, aber das kann sich ändern und es wird wie vor 50 Jahren. Da brauchte man ein Arbeitsvisum, nur um über die Grenze zu kommen."

Jesús Moya

In Gibraltar hofft man den Brexit noch abwenden zu können, vielleicht zusammen mit Schottland, denn man weiß: die Grenze wird umkämpfter Brennpunkt bleiben, sehr zum Leidwesen der Bürger auf beiden Seiten. Noch trifft Rosa ihre Freundin einmal die Woche zum Kaffeeklatsch auf der spanischen Seite – aber wie lange das noch so geht, das wissen die beiden nicht.

"Derzeit ist es einfach, aber wenn ich drei oder vier Stunden in der Schlange stehen müsste, dann wäre es das nicht mehr wert."

Rosa Arrimades

Die Ungewissheit zehrt an den Nerven; für die Grenzgänger am Affenfelsen könnte der Brexit zu einem richtigen Alptraum werden.


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