BR Fernsehen - EUROBLICK


0

Frankreich Antisemitismus auf dem Vormarsch

Hier hat Aziz bis vor ein paar Tagen koschere Lebensmittel an die jüdische Gemeinschaft des Pariser Vorortes Creteil verkauft. Jetzt ist von den Regalen nichts mehr übrig: Brandstiftung. Aziz hatte Jahre gebraucht, um sich den Laden aufzubauen.

Von: Susanna Dörhage

Stand: 11.02.2018 | Archiv

Bild eines mit einem Hakenkreuz beschmierten Geschäfts auf einem Smartphone | Bild: BR

"Das war mein Baby! Hier habe ich 12 bis 15 Stunden pro Tag hart gearbeitet. Und jetzt ist das hier alles Schutt und Asche."

Aziz in dem zerstörten Supermarkt

Der zerstörte Supermarkt

Aus Angst vor weiteren Angriffen will er sein Gesicht nicht zeigen, denn seit Wochen werden jüdische Geschäfte hier mit Hakenkreuzen beschmiert, darunter auch das von Aziz. Dabei, sagt er, sei er selbst kein Jude, sondern ein aus Algerien stammender Berber und Muslim:

"Ich habe das Gefühl, man hat mir die Hakenkreuze auf den Rücken gemalt. Es geht da nicht nur um den Sachschaden, ich fühle mich auch persönlich bedroht. Ich weiß jetzt noch besser, was die Juden empfinden."

Aziz

Ilan Fitoussi

Hier in Creteil leben etwa 15.000 Juden und eine weit grössere muslimische Gemeinschaft zusammen. In den letzten Jahren hat es immer wieder Angriffe auf Juden gegeben. Die Täter waren meist junge Muslime. Doch offen will hier kaum einer darüber reden, auch nicht der jüdische Feinkosthändler, mit dem Aziz befreundet ist:

"Ich will hier niemanden beschuldigen, ich habe gute Beziehungen zu Leuten aus Nord- und Schwarzafrika. Ich weiß nur, dass der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern im Nahen Osten ausgetragen werden muss und nicht hier bei uns."

Ilan Fitoussi, Feinkosthändler

Rudy Reichstadt

Doch das wird immer schwieriger, denn in den letzten Jahren macht sich in Frankreich eine immer stärkere anti-jüdische Propaganda breit. Fast täglich gebe es neue Gerüchte, erzählt Rudy Reichstadt vom Verein Conspiracy Watch:

"Alles Schlimme, was in der Welt passiert, wird durch einen jüdischen Komplott erklärt, zum Beispiel die Anschläge in Frankreich und anderswo in Europa, aber auch Wirtschaftskrisen oder Volksaufstände. Sogar wenn bekannte Persönlichkeiten sterben, wird das als verdächtig dargestellt. Hinter all dem sollen Juden stecken, die die Fäden der Geschichte in der Hand haben."

Rudy Reichstadt, Conspiracy Watch

Alain Soral

Einer der schlimmsten geistigen Brandstifter in Frankreich, so Reichstadt, sei dieser Mann: Alain Soral, ein Publizist und Verleger, der sich selbst als "Nationalsozialist" bezeichnet und gerade Hitlers "Mein Kampf" neu herausgegeben hat. Fünf Millionen Besucher hat Soral monatlich auf seinen Internetseiten.

Ganz offen versucht Soral, auch junge Muslime zu verführen:

"Ihr müsst endlich aus der Verliererposition herauskommen. Es ist, als würdet Ihr Poker spielen und Ihr hättet nur Zweien und die anderen haben die Asse. Ihr müsst extrem schlau und strategisch sein, sonst werdet Ihr immer weiter verlieren."

Alain Soral, Publizist

Seine Ideen finden offenbar Gehör:

"Die Juden sind die geheimen Herrscher der Welt. Sie sind ganz oben und wir ganz unten. Das ist wie eine Sekte. Sie kümmern sich nur um ihre eigenen Leute."

Junge Männer

Antisemitische Parolen mit tödlichen Konsequenzen: Im letzten April dringt ein unter Drogen stehender junger Muslim in dieser Pariser Straße in die Wohnung der streng gläubigen jüdischen Ärztin Sarah Halimi ein. Er quält sie brutal und wirft sie dann aus dem Fenster. Dabei beschimpft er sie als "Satan". Der Anwalt der jüdischen Familie setzt seitdem alles daran, dass die Tat als "antisemitisches Verbrechen" eingestuft wird:

"Wenn ich nicht zwei Monate nach der Tat die Presse zur Hilfe gerufen hätte, dann hätte es womöglich nicht einmal einen Prozess gegeben. Man hätte gesagt, der Kerl war im Delirium; das lohnt sich nicht den zu verurteilen. Und man hätte gar nicht mehr darüber gesprochen."

Jean-Alex Buchinger, Anwalt

Zurück nach Creteil. Auch der Muslim Aziz und sein jüdischer Freund sind sich einig: wegsehen könne keine Lösung sein. Alle Franzosen müssten das Problem endlich mutig und vor allem gemeinsam angehen.


0