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Frankreich Freilaufende Nutztiere spalten Korsika

Gérard Alfonsi hängt an seinem Stück Kastanienwald. Hier in der Nähe des Dorfes Piubbeta südlich von Bastia sind seine Vorfahren begraben. Hier will er seinen Lebensabend verbringen.

Von: Susanna Dörhage

Stand: 02.10.2016 | Archiv

Landschaft in Korsika | Bild: BR

Alles könnte wunderschön sein, wären da nicht die Tiere: Ziegen, Kühe und sogar Schweine, die frei herumlaufen, auch durch sogar mitten in Alfonsis Garten. Sie gehören den Bauern aus der Nachbarschaft. Rentner Alfonsi ist empört: Alles machen sie kaputt!

"Früher haben sie hier Mauern gebaut, um die Bäume zu schützen. Da war die Mauer. Aber die Schweine haben hier herumgewühlt, die Mauer zerstört und die Wurzeln des Baumes ausgegraben. Jetzt liegt die Wurzel hier bloß."

Gérard Alfonsi

Gérard Alfonsi

Der frühere Forstwirt gehört zu einer ganzen Gruppe von Rentnern, die nach Jahrzehnten in den großen Städten ins   korsische Heimatdorf Piubbeta zurückgekehrt sind. Während sie weg waren, hätten sich die Bauern ihre Gärten angeeignet unter den Nagel gerissen, sagen sie, für ihre Tiere und vor allem, um dadurch bei der EU Subventionen zu erschleichen.

"Desto mehr Tiere die Bauern haben, desto mehr Subventionen bekommen sie. Dazu müssen sie aber auch entsprechend viel landwirtschaftliche Fläche angeben."

Gérard Alfonsi

"Die Bauern behaupten einfach: wir haben hier noch ein paar Hektar und da noch ein paar Hektar. Dabei sind das alles unsere Flächen."

Francette Vincenti, Rentnerin

Ange-Paul Alfonsi

Damit ist er gemeint, der Ziegenbauer Ange-Paul. Auch er heißt Alfonsi wie sein Namensvetter von Gérard Alfonsi im Dorf, der sich darüber ärgert dass seine Ziegen ihm den Garten umgraben. Der hält hier in Piubbeta seit mehr als 40 Jahren die Stellung. Bauer Alfonsi beruft sich auf Gewohnheitsrecht: Seine Ziegen einzusperren – das sei ihm nie in den Sinn gekommen. Solange er denken könne, seien hier in Piubbeta die Tiere frei herumgelaufen.

"Denen geht’s gut draußen, sie fressen das Unkraut und laufen spazieren."

Ange-Paul Alfonsi, Landwirt

Auf die Anschuldigung, er erschleiche EU-Subventionen, antwortet er mit Bauernschläue:

"Es schummeln doch alle. Und die, die nur ein bisschen schummeln, die werden immer erwischt. Diejenigen, die das im großen Stil betreiben, die kommen immer davon."

Ange-Paul Alfonsi

Ob er nun eher im großen oder im kleinen Stil schummele, dazu will sich Alfonsi lieber nicht äußern. Nur so viel: er könne auch ohne die EU-Hilfen auskommen.

Die Rentner wollen sich jetzt per Gericht durchsetzen. Sie haben bereits ein Urteil gegen die Gemeinde Piubbeta erwirkt: für die frei laufenden Tiere musste das Rathaus diese eingezäunte Weide zur Verfügung stellen.

Inzwischen haben die Rentner ein Gerichtsurteil erwirkt: Die Gemeinde Piubbeta muss eine Weide zur Verfügung stellen, auf die freilaufende Tiere, die stören, getrieben werden können. Nur, wie sollen die Rentner sie hierhin bekommen? Mit der Polizei? Der Bürgermeister sagt, die hätte besseres zu tun als Schweine und Ziegen aus fremden Gärten hierher zu treiben. Das wiederum empört die Rentner: Bürgermeister und Bauern steckten unter einer Decke. Auch die Weide sei nur wegen des Gerichtsurteils. In Wirklichkeit sei alles vorgetäuscht, selbst der Wasseranschluss.

"Wenn Sie den Wasserhahn hier aufdrehen, dann kommt da nichts. Wir folgen mal dem Schlauch. Sehen Sie, das ist der Schlauch, der eigentlich für die Wasserzufuhr sorgen soll!"

Pierre Louis Castellani, Polizist im Ruhestand

Pierre Lorenzi

Im Rathaus füllen die Gerichtsakten der Rentner schon einen ganzen Schrank – die Verfahren haben die Gemeinde Tausende Euro gekostet. Das Problem der freilaufenden Tiere will der Bürgermeister trotzdem nichtlösen anpacken. Ihm sind die Bauern wichtiger. Die Rentner seien jahrelang nicht dagewesen und wollten jetzt alles auf den Kopf stellen.  Er ärgere sich zu sehr über die zurückgekehrten Rentner, die nun hier den Ton angeben wollten:

"Das stimmt doch alles gar nicht. Bei denen ist doch gar nichts kaputt zu machen. Die bauen ja gar nichts an. Die haben jahrelang auf dem Festland Karriere gemacht. Jetzt regen sie sich über ein paar Bäume auf, um die sie sich seit 60 Jahren nicht gekümmert haben."

Pierre Lorenzi, Bürgermeister Piubbeta

Allerdings sind die freilaufenden Tiere nicht nur ein Problem für aufgebrachte Gartenbesitzer: Allein die Kühe werden auf 20.000 geschätzt. Immer wieder kommt es zu Verkehrsunfällen, am Strand wurde eine Touristin durch einen Stier schwer verletzt. Die Bauern berufen sich auf altes Recht. Außerdem sei es unmöglich, die Berge einzuzäunen. Unbestritten ist aber auch, dass diese unkontrollierbare Form der Tierhaltung viele Vorteile auf dem Schwarzmarkt bringt. Aber auch auf Korsika werden die alteingesessenen Bauern zur immer kleineren Minderheit, und immer mehr nichtbäuerliche Inselbürger stören sich an den unbeaufsichtigten Tieren überall.

Der französische Staat hütet sich, in diesem Streit einzugreifen. Zu groß ist die Angst, dem korsischen Pulverfass aus Rebellion und Separatismus wieder Zunder zu geben. So lange sich der berüchtigte Hang der Korsen zur Anarchie auf das Freilaufenlassen von Tieren beschränkt, nimmt man das lieber hin.

Einen gewissen Hang zur Anarchie zeigt aber auch Gartenbesitzer Gérard Alfonsi: Weil er sich von den Behörden alleingelassen fühlt, schafft er selbst das, was er für Recht und Ordnung hält: Er hat sich ein Gewehr zugelegt und schießt. Bei so viel Unverständnis fühlt der Rentner Gérard Alfonsi sich völlig im Recht, wenn er zu härteren Bandagen greift und die Tiere, die sich auf seinen Grund und Boden wagen, einfach abschiesst - seit Jahren.

"Es müssen so um die 40 Schweine gewesen sein und auch etwa ein Dutzend Kühe und ein paar Bullen waren auch dabei."

Gérard Alfonsi

Eine Brutalität, für die der Bauer Alfonsi wohl nie Verständnis haben wird.

"Wenn ich eine Ziege schlachten muss, dann tut mir das im Herzen weh. Und die da, die schießen auf die Tiere, als würden sie auf Kartons schießen."

Ange-Paul Alfonsi

Die Rentner wollen Recht und Ordnung. Jede Kuh, jedes Schwein soll hinter einen Zaun. Und mit der gleichen Unerbittlichkeit kämpfen die Bauern für ihre Vorstellung von Recht und Ordnung auf Korsika. Im Moment haben sie noch Oberhand.

Dass ihr Dorf Piubbeta so ganz ohne freilaufende Tiere vielleicht auch nicht mehr Piubbeta wäre und viel von seinem Charme verlör, das haben die Rentner bei ihrem Kampf offenbar nicht bedacht.


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