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Finnland Wie die Luftwaffe für den Ernstfall probt

Freie Fahrt, kein Stau, keine Baustelle – das mögen wir alle, auch Finnen. Doch bei denen kommt's manchmal auch anders. Denn wenn Finnlands Luftwaffe wieder mal den Ernstfall probt, bremst man Autofahrer komplett aus.

Von: Heiner Böck

Stand: 06.05.2018 | Archiv

Startendes Flugzeug | Bild: BR

Captain Olli Siivola

Dann nämlich rollen statt Autos F18-Kampfjets über extra breit ausgebaute Straßenabschnitte. Sie werden umfunktioniert zu Runways für Starts und Landungen – natürlich nur für den absolut und total fiktiven Fall, dass irgendein Feind ihre sonstigen Flugbasen zerstörte.

"Normale Startbahnen sind natürlich ein paar Dutzend Meter breiter und Seitenbewuchs ist weit weg. Hier sind die Anforderungen größer. Sobald der Jet hier die Startgeschwindigkeit erreicht, zieht ihn der Pilot so steil wie möglich hoch. Er muss es nämlich unbedingt vermeiden, den seitlichen Büschen und Bäumen zu nahe zu kommen. Und darin liegt bei solchen Manövern die wohl größte Herausforderung."

Captain Olli Siivola, Pilot der finnischen Luftwaffe

Kari Rajamäki

Dahinter steckt natürlich ein Teil der Sorge vieler Finnen über vermehrte russische Militärbewegungen entlang ihrer 1340 Kilometer langen Grenze mit Russland. Der große Nachbar als reale Bedrohung? Vor fünf Jahren noch glaubten das 20 Prozent der Finnen. Inzwischen sind es fast 45 Prozent, denn immer lauter rasselt Putin mit dem Säbel. Er zelebriert riesige Manöver wie ZAPAD 2017, schickt Bomber und Kriegsschiffe in den baltischen Ostseeraum: Vorboten einer Intervention? Finnen beobachten das alles mit gemischten Gefühlen, wollen aber nicht glauben, dass es schon morgen losgeht.

"Finnen haben gelernt, mit Realitäten aller Art umzugehen. Wir wissen uns auf sie vorzubereiten und notfalls zu reagieren und zwar ohne gleich die Nerven zu verlieren. Diese Lektion hat uns die Geschichte gelehrt und das haben wir auch verinnerlicht. Aber wir wissen auch um die sozusagen nackten Tatsachen: So zum Beispiel ist und bleibt die uns nahe St. Petersburg-Murmansk-Achse für Russland von höchster strategischer Bedeutung. Daher ist es für uns Finnen in punkto Erhalt unserer eigenen Sicherheit wichtig, unser Staatsgebiet für Russland nicht als Ausgangspunkt möglicher Bedrohungen erscheinen zu lassen."

Kari Rajamäki, Ex-Innenminister und Mitglied im Interministeriellen Ausschuss für Außen- und Sicherheitspolitik

In Finnland sind ein halbes Dutzend schnurgerader, breiter, kilometerlanger Straßenabschnitte als Behelfs- oder Notflugplätze ausgebaut. Damit hier Kampfjets starten und landen können, werden solche Abschnitte mehrmals pro Jahr für den gesamten Verkehr gesperrt – oft für mehr als eine Woche und bis zu zehn Kilometer weit. Dadurch verursachte Behinderungen nehmen Finnlands Autofahrer widerspruchslos hin, denn sie wissen um die politischen Hintergründe von derlei Maßnahmen. Autofahrer müssen nun auf Nebenstrecken ausweichen. Was in Deutschland zu totalem Chaos führen würde – bei Finnlands geringer Verkehrsdichte kein Problem.

Bevor aber auch nur ein einziger Kampfjet über die Straße rollt, wird der Asphalt kurz vor jedem Manöver von Mitarbeitern lokaler Straßenmeistereien akribisch auf mögliche Schäden inspiziert, die umgehend ausgebessert werden. Der Asphalt muss quasi Rollfeld-Qualität aufweisen. Die Idee, Autobahnen oder Straßen als Notflugplätze zu benutzen, ist nicht neu: Bereits im Zweiten Weltkrieg gab es das bei der deutschen Luftwaffe. Selbst im heutigen Deutschland gibt es angeblich 240 dafür geeignete Verkehrsadern. 1984, so heißt es, fand auf einer davon die erste und zugleich auch letzte praktische Übung statt.

"Es kann ja immer mal alles Mögliche passieren. Fällt zum Beispiel während des Starts eines der Triebwerke aus oder platzt beim Landen ein Reifen, da muss der Pilot bei so einer schmalen Piste schon ganz anders reagieren als auf dem großen Flugfeld und versuchen, umsichtiger und spontaner mit der Situation umzugehen, um das Risiko zu minimieren."

Captain Olli Siivola, Pilot der finnischen Luftwaffe

Stets finden sich Neugierige ein: Hier können sie "ihre" Kampfjets vom Typ F-18 Hornet, was Hornisse bedeutet, auch mal aus der Nähe bewundern. 60 Hornets, Stückpreis etwa 40 Millionen Euro, besitzt Finnlands Luftwaffe. Und demnächst soll und muss die ganze Flotte erneuert werden.

Militärisches Flugtraining auf Straßen kennt keine Jahreszeiten. Selbst im Winter wird geübt.

"Wir sorgen auch weiterhin für den Erhalt eines landesweiten Netzes von Straßen als Behelfsflugplätze. Aber auch ohne diese Maßnahmen ist unsere Luftwaffe stets voll einsatzbereit."

Kari Rajamäki, Ex-Innenminister und Mitglied Interministerieller Ausschuss für Außen- und Sicherheitspolitik

Egal ob Sommer oder Winter: Nach meist einer Woche ist der ganze Spuk vorüber. Zügig werden alle Umleitungen abgebaut und die Finnen freuen sich wieder über freie Fahrt – bis zur nächsten Übung.


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