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Bosnien Bilanz der Hochwasserkatastrophe

Dem kleinen Bach am Stadtrand von Obrenovac würde niemand zerstörerische Kräfte zutrauen.

Von: Barbara Mai

Stand: 20.07.2014 | Archiv

Ein "Stop"-Schild im Hochwasser | Bild: BR

Doch Mitte Mai hatten er und weitere Flüsschen in der Region nach starken Regenfällen südlich von Belgrad weiter Landstriche unter Wasser gesetzt.

Auch nach zwei Monaten versuchen die Menschen hier, ihre Häuser wieder bewohnbar zu machen. Der Verputz ist abgeschlagen, damit die Wände austrocknen können, aber die alten Holzfensterrahmen hat die Nässe zu sehr verzogen.

Srdan Jankovic

Srdan Jankovic hat gleich zwei Baustellen: das Haus seiner Mutter und sein eigenes.

Die Flut hat nicht nur zerstört, sie hat auch fast alles, woran Menschen hängen, mitgenommen: Fotos, Schriftstücke, Bücher.

"Das ist das einzige Foto, das mir geblieben ist."

Srdan Jankovic

Es erinnert ihn an seine Militärzeit.

Dammbrüche und der Rückstau in den Seitenflüssen der Save haben die Flut ausgelöst. Srdan war mit seinem Traktor über 24 Stunden unterwegs, um erst seine Familie und dann Nachbarn und Haustiere in Sicherheit zu bringen – ganz selbstverständlich, wer hätte es sonst tun können?

"Ich war einer der ersten, den die Flut erwischt hat. Da konnte mir keiner helfen – und jetzt zähle ich nicht, wie viele Leute ich rette. Ob es zwei, drei, fünf oder zehn Leute sind, die ich mit meinem Traktor wegfahre, ist mir egal."

Srdan Jankovic

Familie Jankovic hat ihre Küche in die Werkstatt verlegt. Hier kocht Srdans Mutter auch für die Freunde und Nachbarn, die beim Herrichten helfen. Wer arbeitet, hat Hunger. Doch die Lebensmittel kann man nicht im Ort kaufen. In Obrenovac sind die Geschäfte immer noch geschlossen und das Gemüse vom eigenen Hofland ist vernichtet. Strom und fließendes Wasser gibt es ebenfalls noch nicht.

Mit diesem schon etwas betagten Traktor hat Srdan seine Familie und Nachbarn in Sicherheit gebracht. Jetzt ist er kaputt – Wasserschaden. Ob er ihn jemals repariert bekommt, ist ungewiss. Aber das ist ihm im Moment nicht so wichtig.

"Die eigentlich großen Probleme fangen jetzt erst an. Die Leute werden jetzt erst mitkriegen, wie schlimm es wirklich ist. Das was bisher passiert ist, ist noch gar nichts mit Ausnahme der Leute, die bei der Überschwemmung jemanden verloren haben. Die materiellen Verluste – da kriegst du ja vielleicht wieder was hin, wenn du einen Job findest und kannst dir wieder was aufbauen. Aber wenn es keinen Job gibt – was dann? Wohin? Wie? Das Problem ist, es gibt keine Arbeit. Es gibt kein Geld. Wo soll man denn gegenwärtig Geld verdienen. Mit wem soll man denn zusammenarbeiten? Wie sollen wir aus dem Schlamassel wieder heraus kommen? Es ist ganz einfach unglaublich viel, was da zerstört wurde."

Srdan Jankovic

Bisher hat noch niemand geholfen, die Regierung nicht und auch keine Versicherung, denn die wenigsten waren versichert. Staatliche Schadensermittlung? Fehlanzeige. Dafür kümmert sich ein unabhängiger Regierungsbeauftragter, der allerdings kein Fachmann ist, um die Flutopfer.

"Was die Hilfsgelder betrifft, die die serbische Regierung bekommen hat, beläuft sich deren Höhe auf ungefähr 30 Millionen Euro. Hier haben vor allem serbische und serbischstämmige Menschen aus dem Ausland gespendet. Dann kam aber auch Hilfe aus der ganzen Welt. Da waren natürlich auch Einzelpersonen, die spontan gespendet haben. Mitbürger, sowohl von hier, als auch aus den direkt umliegenden Ländern – oder Wohlmeinende aus den verschiedensten Ecken der Welt. Dank all dieser Spender haben wir jetzt insgesamt die erwähnten 30 Millionen zur Verfügung. Diese Mittel werden natürlich für den Wiederaufbau zur Verfügung gestellt werden, sobald ein effizienter Ausgabemechanismus vorhanden ist."

Marko Blagojevic, Direktor Regierungsbüro Flutopfer Belgrad

Und das kann dauern. Die Landstraßen in der westlichen Bergregion Serbiens – lebensgefährlich, aber nicht gesperrt.

An dieser Stelle nahm das Verhängnis für Topcic Polje seinen Lauf. Die Wassermassen aus den Bergen hatten Felsen und Baumstämme mit sich gerissen und begruben mit dem nassen Erdreich das halbe bosnische Dorf.

Innerhalb einer Stunde mussten die Bewohner ihre Häuser verlassen. Meterhoch türmt sich auch nach Wochen noch Schlamm und Geröll auf Straßen und Plätzen. Einige Häuser sind noch immer unter den Massen verschwunden - so wie das von Ramiz Skopljak.

"Was ich in 43 Jahren meines Lebens aufgebaut habe, ist innerhalb von einer Stunde vernichtet worden. Ich bin jetzt 65 Jahre alt. Wie soll es jetzt weiter gehen? Wie soll ich denn meinen Lebensunterhalt verdienen? Es geht mir nicht so sehr um mich, mein Sohn tut mir leid. Wie soll`s bei ihm weitergehen? Ich lebe von umgerechnet 215 Euro Rente."

Ramiz Skopljak, Flutopfer Topcic Polje

Ramiz Skopljak

Bisher ist auch in Topcic Polje kaum Hilfe angekommen. Die Gemeinde stellt zwar schweres Gerät zum Räumen zur Verfügung, aber die Arbeiter müssen die Betroffenen selbst bezahlen.

Und wer das Geld nicht aufbringen kann? So manches Haus wird unter der Last auseinanderbrechen, wie einige Autos, die der Schlamm erwischt hat.

So mancher aus Topcic Polje fragt sich, ob er sein Haus überhaupt wieder aufbauen soll, wenn der Berg beim nächsten Starkregen wieder in Bewegung gerät? Diese Frage können aber nur Fachleute, Geologen beantworten, die bis heute nicht hier waren.

Die traurige Bilanz des Jahrhunderthochwassers in Bosnien: zwei Dutzend Tote, 78 Städte und Gemeinden unter Wasser, mehr als 50.000 Häuser und Gebäude zerstört.

Serbien und Bosnien werden Hilfe von der EU bekommen; auf der Geberkonferenz letzte Woche war die Rede von 70 Millionen Euro. Das wird nicht reichen, denn die Infrastruktur – wie Dämme an der Bosna oder auch der Save – ist marode. Versäumnisse der Vergangenheit, beide Länder haben jahrelang EU-Mittel nicht abgerufen.


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