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Albanien Leben auf der Müllhalde

Wer nicht muss, geht nicht hinter diesen Zaun. Allein der bestialische Gestank lässt einen übel werden. Aber sie stehen mitten drin.

Von: Susanne Glass

Stand: 23.11.2014 | Archiv

Hütten an einer Müllhalde | Bild: BR

Auf den Müllwagen haben sie schon seit den Morgenstunden gewartet, in der Hoffnung, dass er etwas ausspuckt, das ihnen das Überleben sichert: Pfandflaschen oder Dosen etwa, für die sie ein paar Cent bekommen.

Mathilda ist Sieben: "Ich helfe meinem Papa beim Geldverdienen", sagt sie, erzählt stolz, dass sie in die erste Klasse Grundschule geht. Und dies ist ihr Zuhause: auf der Müllhalde der albanischen Hauptstadt Tirana.

Wenn man es nicht mit eigenen Augen gesehen hat, glaubt man nicht, unter welchen Bedingungen hier viele der insgesamt 800.000 Einwohner leben. Und wie es an den Ufern des Flusses aussieht, der mitten durch die Stadt geht: Von hier aus treibt die Brühe direkt in die Adria.

Enno Bozdo

Der für Infrastruktur zuständige Vizebürgermeister sagt, das Problem sei seit langem bekannt. Man versuche auch, in der Bevölkerung ein Bewusstsein für Umweltschutz zu schaffen, aber das brauche eben seine Zeit.

"Die Situation, in der wir uns derzeit befinden, ist den meisten europäischen Ländern nicht so fremd: In den 60er oder 70er Jahren gab es auch in Deutschland eine Menge illegaler Müllhalden etwa entlang von Flüssen. Natürlich müssen wir jetzt mit voller Energie daran arbeiten, dass sich hier etwas ändert. Als ersten Schritt werden wir den Fluss säubern und das Ufer wiederherstellen. Und dann müssen wir das Problem grundsätzlich angehen."

Enno Bozdo, Vizebürgermeister Tirana

Das wird höchste Zeit. Albanien ist nämlich seit Juni offiziell Beitrittskandidat der EU – aber mit dem Erbe von 46 Jahren kommunistischer Diktatur. Ein kleiner Teil der insgesamt rund drei Millionen Albaner ist zu Reichtum gekommen, auch die politische Klasse. Aber ein großer Teil lebt in heruntergekommenen Plattenbauten, oft mit einer Infrastruktur wie in der Dritten Welt. Und viele der Gebäude sind ohne jede Genehmigung entstanden. Wie auch hier, an diesem Flussabschnitt, wo die Stadt den Müll bereits entfernt hat.

600.000 Kubikmeter haben sie in den vergangenen Wochen rausgeholt, rechnen noch mit weiteren 500.000 und sind dabei auf ein weiteres Problem gestoßen:

"Wir haben hier auf einer Länge von etwa einem Kilometer 2000 illegale Abwasserleitungen und -kanäle entdeckt. Die werden wir jetzt entfernen und dafür sorgen, dass die Abwässer geklärt werden."

Enno Bozdo, Vizebürgermeister Tirana

Die Stadtverwaltung hat sich also viel vorgenommen. Tirana soll eine blühende Stadt mit funktionierender Infrastruktur werden, der Fluss sauber. Im Bürgermeisterbüro hängen die entsprechenden, optimistischen Pläne. Sie besagen auch: Tiranas Müllhalde soll in der jetzigen Form geschlossen werden.

"Aber was machen Sie dann mit den Menschen, die dort Müll sammeln und leben?", wollen wir vom Bürgermeister wissen.

"Da gibt es keine Menschen mehr! Wissen Sie, wir haben da eine Mauer rumgezogen…"

Enno Bozdo, Vizebürgermeister Tirana

"Aber wir waren doch erst gestern da. Da waren viele Leute!"

Reporter

"Nicht auf der Müllkippe selbst. Am Anfang der Müllkippe ja! Aber nicht am Eingang! Und überhaupt, die werden wir dort verbieten."

Enno Bozdo

Menschen, wie etwa die kleine Mathilda "verbieten" – das klingt nun nicht nach einem guten Plan. Und natürlich sind sie auch weiterhin da. Nicht nur am Anfang und Eingang der Müllkippe. Sondern auch auf der Müllkippe selbst. Einer der Arbeiter macht zwar den halbherzigen Versuch sie zu vertreiben, aber nur bis die Kamera aus ist. Er weiß doch selbst, dass sie nichts anders haben. Der Müll sichert ihr Überleben. Und mehr noch: Hier ist ihr Zuhause.


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