Wohnen für alle Neue Ideen gegen die Wohnungsnot
Wer in deutschen Großstädten nach einer Wohnung sucht, sieht sich mit großen Problemen konfrontiert. Denn: Obwohl die Wohnungsnot immer größer wird, stehen Häuser leer, liegt Bauland brach, wird Wohnraum an Touristen vermietet. Neubau ist also nicht die einzige Lösung…
München, Köln, Hamburg, Berlin – dass hier der Wohnungsmarkt eng ist, ist längst kein Geheimnis mehr. Doch das Problem ist noch weiter verbreitet: In 77 Großstädten gibt es 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen zu wenig das ist das Ergebnis einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung vom April 2018. Bezahlbarer Wohnraum ist längst als großes Thema in der Politik angekommen: Reform der Mietpreisbremse oder Wohnraumoffensive mit 1,5 Millionen neuen Wohnungen – all das sind Schlagworte, die auch im Koalitionsvertrag der Regierung verankert sind. Doch über eines scheinen Experten mittlerweile einig zu sein: Mit Neubau allein lässt sich das Problem gar nicht lösen. Auf so manches Neubauprojekt könnte sogar verzichtet werden, wenn Wohnraum gleichmäßiger verteilt und richtig genutzt wäre.
Wohnungstausch
Die verwitwete alte Dame, die auf 90 Quadratmeter alleine lebt. Die gibt es häufig. Die junge drei- oder vierköpfige Familie in der Zwei-Zimmer-Wohnung gibt es genauso oft. Der Wohnraum in Deutschland ist zwischen den Generationen ungleich verteilt. Das ist nicht nur aus persönlicher Sicht aller Betroffenen, sondern aus volkswirtschaftlicher Warte ein Problem, denn viel Wohnfläche bleibt ungenutzt.
Ein einfaches und logisches Mittel wäre ein Wohnungstausch zwischen Jung und Alt. Doch das Problem: viele Senioren leben nicht selten sehr lange in ihrer Wohnung, die Miete ist deshalb verhältnismäßig gering. Die wachsenden Familien zahlen in ihren kleinen Wohnungen dagegen meist deutlich mehr für den Quadratmeter. Ein Wohnungstausch würde also eine höhere Miete bedeuten, die sich die Senioren nicht leisten können.
Beispiel Wien
In Österreich ist das Recht auf Wohnungstausch im Gesetz verankert. Vermieter müssen einem Wohnungstausch zustimmen, wenn nicht gravierende Einwände wie z.B. Mietschulden eines Beteiligten dagegensprechen. Besonders einfach ist das in den Wiener Gemeindebauten – und das sind in der österreichischen Hauptstadt 220.000 Wohnungen. Das heißt, jeder vierte Bürger lebt in einer Wohnung des Gemeindebaus. Bei „Wiener Wohnen“ gibt es das Programm „65 Plus“. Denn die Miete von schon lange bestehenden Verträgen darf auch in Österreich auf das heutige Niveau angehoben werden. Damit die Senioren bei einem Umzug in eine kleinere Wohnung nicht draufzahlen müssen, wird ihnen im Rahmen des Programms ein Mietnachlass von 35 Prozent gewährt. Und bei der Hilfe nach einem Tauschpartner ist man den Mietern auch behilflich.
Doch es gibt durchaus Wohnbaugesellschaften, die ihren Wohnraum möglichst nicht verschwenden wollen und deshalb Unterstützung beim Wohnungstausch anbieten – und auch finanziell entgegenkommen: Der Quadratmeterpreis wird auch nach einem Umzug nicht erhöht.
Wie erfahren aber die Tauschwilligen voneinander? Kleinanzeigen, Aushänge in den Straßen, Internetannoncen – all das bringt in vielen Fällen nur Zufallstreffer. In Berlin gibt es seit neuestem eine Online-Tauschbörse, die Tauschwillige zueinander bringen kann. In München ist der Wohnungstausch als Projekt angeregt – ab 2019 sind Bekanntgaben dazu im Stadtrat vom Sozialreferat der Stadt angekündigt. Eines ist klar: Die Kommunen sind bei der Ankurbelung und Unterstützung der Wohnungstausch-Projekte selbst gefordert.
Zahlen und Fakten
80 Quadratmeter Wohnfläche haben alleinstehende Senioren deutschlandweit zur Verfügung (Statistisches Bundesamt)
30 Quadratmeter pro Person haben Familien mit Kindern deutschlandweit an Wohnfläche zur Verfügung (Statistisches Bundesamt)
Allein in den vergangenen fünf Jahren sind die Bodenpreise in Berlin um fast 350 Prozent gestiegen. In München sind die Preissteigerungen noch extremer.
Es fehlen 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen in den Großstädten und Ballungszentren.
Unter Sozialwissenschaftlern und Immobilienexperten liegt die Belastungsgrenze für die Wohnkosten bei 30 Prozent des Nettoeinkommens. Rund 40 % der Großstadt-Haushalte übersteigen diesen Wert. Damit sind 8,6 Millionen Menschen betroffen. (Hans-Böckler-Stiftung 2018)
44 deutsche Großstädte haben die Mietpreisbremse eingeführt, würden sie konsequent angewandt, müssten die Vermieter in den Metropolen ihre Aufschläge bei Einzug um bis zu 29 Prozent reduzieren. (Hans-Böckler-Stiftung 2018)
Im Jahr 2014 in Deutschland nur 12.617 geförderte Wohnungen mit Sozialbindung neu erbaut – davon 4.700 in den zehn größten Städten. (Hans-Böckler-Stiftung 2018)
Vermietung an Touristen
Es gibt noch mehr Möglichkeiten für Kommunen, mehr Wohnraum zur Verfügung zu stellen, ohne neu zu bauen. So werden private Wohnungen immer wieder komplett und dauerhaft an Touristen vermietet. Für die Eigentümer ein lukratives Geschäft. Aber ein illegales. Denn wenn mehr als insgesamt 8 Wochen im Jahr an Touristen vermietet wird, liegt eine klare Zweckentfremdung vor. In München wird dabei nicht nur an gewöhnlichen Touristen verdient: hier boomt der Medizin-Tourismus. Gerade aus dem arabischen Raum kommen Patienten, um sich in den Kliniken der Landeshauptstadt medizinisch versorgen zu lassen. Gewohnt wird lieber in Wohnungen als im Hotel. In München geht man alleine hierbei von 1.300 zweckentfremdeten Wohnungen aus – AirBnB & Co nicht miteingerechnet. All diese Wohnungen fehlen bitter auf dem heißumkämpften Mietmarkt. Die Stadt München ahndet schon seit längerem Verstöße in Sachen Zweckentfremdung. Mit Erfolg.
Beispiel München
In der bayerischen Landeshauptstadt ist die Zweckentfremdungssatzung 2017 verschärft worden. Die Bußgelder sind deutlich auf bis zu 500.000 Euro gestiegen. Außerdem wurde die Frist verkürzt: das Überlassen einer kompletten Wohnung an Feriengäste ist jetzt nur noch für acht Wochen im Jahr erlaubt. Auch Leerstand ist höchstens drei Monate erlaubt. Überprüft wird das mittlerweile von einem Sonderermittlungsteam des Sozialreferats. Es kontrolliert Portale wie AirBnB, recherchiert aufwändig, und klingelt schließlich auch vor Ort. Seit diesem Jahr gibt es in München ein Onlineportal, auf dem Bürger leerstehende oder an Touristen vermietete Wohnungen anzeigen können und von dem rege Gebrauch gemacht wird.
"Im Jahr 2017 haben wir insgesamt 298 Wohnungen wieder an den normalen Mietmarkt übergeben können. Das ist für uns eine echte Errungenschaft. Weil wenn sie die bauen müssten, müssten sie 70 Millionen Euro investieren, um genau diese Anzahl an Wohnungen in München zu bauen."
Dorothee Schiwy, Sozialreferentin der Stadt München
"Also ich denke, die Städte haben ein Recht einzugreifen und sie müssen ihre Instrumente dafür schärfen und sie müssen dafür Verwaltungsmitarbeiter haben, die das können und es ist kein einfaches Geschäft, um es einmal deutlich zu sagen."
Christiane Thalgott, Professorin, Stadtplanerin und ehemalige Stadtbaurätin von Kassel und München
Leerstand
Ein weiteres Phänomen: Schaut man sich nachts in deutschen Städten um, so bleiben hinter einer ganzen Reihe von Fenstern die Wohnungen dunkel. Es gibt jede Menge leerstehende Wohnungen – auch in absolut hochpreisigen Ballungsgebieten wie München. Sollte die Wohnung vermietet sein, und der Mieter nutzt sie einfach nicht oder selten, so ist das legal. Steht sie aber länger leer, weil der Eigentümer sie nicht vermieten will, so ist das in vielen Gebieten Deutschlands Zweckentfremdung, die ebenfalls geahndet wird.
Nur im Zuge einer Renovierung oder wenn eine Veräußerung bevorsteht, darf die Wohnung auch einmal länger leer stehen - dazu benötigt der Vermieter aber eine amtliche Genehmigung. Sagt der Eigentümer, seine Wohnung ließe sich schlecht vermieten, dann muss er seine Vermietungsversuche nachweisen. Nur wenn die Wohnung unverschuldet durch schlechten Zustand nicht mehr vermietbar ist, gilt kein Vermietungszwang. Ansonsten muss Wohnraum dem Wohnmarkt zugeführt werden.
In manchen Städten wie in Hamburg oder seit diesem Jahr auch in Berlin, ist im Härtefall sogar eine zeitweise Enteignung erlaubt. In Hamburg wurde 2016 erstmals davon Gebrauch gemacht: Wohnungen wurden enteignet, renoviert und wieder auf den Markt gebracht. Der Eigentümer bekam sie zurück, nachdem er sein Bußgeld und auch die Renovierungen bezahlt hatte. In Bayern ist man da noch zurückhaltend – schaut aber laut Ilse Aigner, Ministerin für Wohnen, Bau und Verkehr, mit Interesse auf die Erfahrungen, die in Hamburg und Berlin gemacht werden.
"Entzug des Eigentums ist, glaube ich, im Wohnungsmarkt nicht die richtige Methode. Aber Beschränkung des Eigentums alle Mal. Denn Eigentum verpflichtet, heißt es in unserem Grundgesetz und wenn sich diese Verpflichtung auf null reduziert, dann ist das im gesellschaftlichen Zusammenhang wirklich schädlich und gefährlich."
Christiane Thalgott, Professorin, Stadtplanerin und ehemalige Stadtbaurätin von Kassel und München
"Wenn wir davon reden, dass wir auch gegen den Widerstand von Eigentümern zu diesem Mittel greifen, dann ist das unsere ultima ratio, dass wir darauf zugreifen wollen, wenn jemand überhaupt nicht einsichtig ist und mitwirkt, diesen Wohnraum wieder dem Wohnungsmarkt zur Verfügung zu stellen. Aus unserer Sicht - gerade vor dem Hintergrund dieses drängenden Problems in Berlin und anderen Großstädten - ist es meines Erachtens eine richtige Lösung, auch zu zeigen, dass der Staat handlungsfähig ist. Auch in diesem Bereich."
Sebastian Scheel, Berliner Staatssekretär Stadtentwicklung und Wohnen
Kommunale Wohnungen
Wenn so viele Wohnungen fehlen, sollten dann nicht die Kommunen selbst tätig werden? Das Land Berlin besitzt 300.000 Wohnungen, sogar mehr als in Wien mit 220.000 Gemeindewohnungen. Und auch Nürnberg besitzt 18.000 Wohnungen. Hier finden Bürgerinnen und Bürger meist günstigere Mieten.
Das Bundesland Bayern hat gerade eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft gegründet, die „BayernHeim“. Insgesamt sollen rund 10.000 Wohnungen neu entstehen, davon einige hundert für einfache Beamte auf dem Gelände der ehemaligen McGraw-Kaserne in München. Doch Bayern hatte schon einmal eine eigene Wohnungsgesellschaft, die GBW. Ihr gehörten 32.000 Wohnungen. Im Zuge der Landesbank-Sanierung wurde sie aber verkauft, an einen privaten Investor. Ein Schock für viele Mieter und - auch nach einem Landtags-Untersuchungsausschuss - bis heute umstritten. Und auch in den ehemaligen GBW-Wohnungen gibt es heute Leerstand, z.B. in Pasing. An anderen Standorten werden Wohnungen modernisiert oder verkauft. Die Befürchtungen der Mieter: Die Mieten werden für sie unerschwinglich teuer.
Gegen die Spekulanten
Die Wohnungsmarkt-Situation in Deutschland ruft auch Spekulanten auf den Plan: Bodenpreise vervielfachen sich innerhalb weniger Jahre. Am extremsten sind die Preissteigerungen in München. Hier hat sich Anfang 2017 die „Initiative für ein soziales Bodenrecht“ gegründet: die Grundidee: Boden ist Allgemeingut wie Luft und Wasser. Deshalb könne entsprechend den Regeln des Grundgesetzes und der Bayerischen Verfassung der Boden nicht dem freien Spiel des Marktes überlassen werden. Eingriffe in diesen Markt seien notwendig, um gesellschaftliche Gerechtigkeit wieder herzustellen. Gefordert wird eine Bodenwertzuwachssteuer, dafür soll die Grund- und die Grunderwerbssteuer abgeschafft werden. Das würde der Bodenspekulation Einhalt gebieten und somit auch Leerstände und das Horten von Bauland uninteressant machen.