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RAI-Südtirol Ein Forschungsprojekt in den Dolomiten

"Kindheit am Berg" nennt sich ein längerfristiges Projekt in Tiers. Verschiedene Vereine machen mit und auch die Senioren, die mit ihren Erinnerungen Einblick geben in die Lebenswelt vergangener Tage.

Von: Regina Jaider

Stand: 11.01.2015 | Archiv

Buchdeckel "Kindheit am Berg" | Bild: BR

"Die Menschen waren sehr gläubig; am Abend wurde Rosenkranz gebetet. Da konnte es schon vorkommen, dass man nach einem arbeitsreichen Tag eingeschlafen ist. Schlimm war es nur, wenn der Vater betroffen war. Da bestand er darauf, den Rosenkranz ganz von vorne noch einmal zu beten!"

Hildegard Runggaldier, Tiers am Rosengarten

Die Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern war getragen von Strenge und Gehorsam. Die Rute durfte nicht fehlen, aber zwischendurch war sie einfach nicht mehr da:

"Wir waren fünf Buben. Die arme Mutter, sie konnte sich kaum erwehren. Hinter einem Bild steckte daher zur Abschreckung eine kleine Rute. Ich war der Jüngste, meine älteren Brüder haben mich dazu angestiftet, die Rute herunterzuholen, wir mussten aufpassen, dass uns niemand sieht. Wir haben sie in den Ofen geschürt."

Georg Mahlknecht, Tiers

Beten in der Stube

Das Projekt Kindheit am Berg findet in Tiers großen Anklang, vielleicht auch deshalb, weil die Erzählenden sich die Heiterkeit aus der Kindheit herüber gerettet haben.

"Oft hört man: Früher war alles schwerer oder besser. Ich glaube, dass es nicht besser, sondern anders war. Die Kinder wurden schon bald in die Verantwortung genommen. Heute müssen Kinder aufgrund des Wandels andere Entscheidungen treffen."

Irene Vieider, Vorsitzende Bildungsausschuss Tiers

Ein Junge arbeitet im Stall.

Noch Mitte des 20. Jahrhunderts verliefen Kindheiten am Berg in relativer Armut. Aber Ängste, Erlebnisse und Wünsche von Kindern haben alle ein ähnliches Muster, nur die Umstände waren früher anders. Gab es überhaupt so etwas wie Kindheit und war sie am Berg anders als in den Städten?

"Damals im Weltkrieg, Anfang der vierziger Jahre, wurde die Stadt Bozen und der Bahnhof stark bombardiert. Viele Familien zogen zu uns, um sicherer zu leben. Die Kinder waren ganz anders angezogen, trugen andere Kleider. Sie hatten meistens auch zwei linke Hände, weil sie ja nie arbeiten mussten. Es wurde eng im Haus – und ohne Reibereien ging es manchmal nicht ab."

Georg Mahlknecht, Tiers

Kindheit am Berg beschränkt sich nicht auf mündliche Erinnerungen. Der Bildungsausschuss und der Museumsverein von Tiers haben ein Buch herausgegeben und mit der Freien Universität Bozen eine wissenschaftliche Tagung veranstaltet. Angedacht war auch ein Museum.

Noch ist es nicht soweit. Eigentlich soll es auch gar kein Museum im herkömmlichen Sinn werden. Vielmehr möchte man den Dialog zwischen den Generationen anregen und die Frage aufwerfen nach der Kindheit in Tirol und im gesamten Alpenraum.


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