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BR-München Die Schoßgeigen des Sepp Wackersberger

Die Familie Wackersberger aus Rottach-Egern am Tegernsee macht gemeinsam Musik: bayerische Volksmusik. Die Instrumente, die sie dabeihaben, kennt eigentlich jedes Kind: Gitarre, Hackbrett, Harfe, Querflöte.

Stand: 28.06.2015 | Archiv

Schossgeige | Bild: BR

Doch, was ist das? Eine Geige? Eine Zither? Nein, es ist eine Mischung aus beiden. Und Sepp Wackersberger kann als einer von ganz wenigen in Bayern dieses ungewöhnliche Musikinstrument noch spielen.

Seine drei Schwestern begleiten ihn, und auch ein Neffe und eine Nichte sind mit von der Partie. Musik hat Tradition bei den Wackersbergern; sie spielen in Kirchen und bei großen Feiern.

Sepp Wackersberger

Dabei hat Sepp Wackersberger eigentlich Zimmermann gelernt, so wie vor ihm sein Vater. Gleich neben dem Elternhaus liegt die Werkstatt und hier zeigt er uns seine "Schoßgeigen". So lautet die Bezeichnung für dieses merkwürdige Instrument, das Sepp erst gar nicht lernen wollte.

"Das hat sich durch meinen Vater ergeben: Meine fünf Geschwister hatten schon ein Instrument, und da hat mein Vater gesagt: 'Schoßgeige würde bei uns noch fehlen.' Und gerade beim Üben hat es bei mir etwas gefehlt. Und da haben mich die Schwestern einmal am Stuhl festgebunden, damit ich üben soll. Aber ich bin dann mit dem Stuhl abgehauen. Und der Musiklehrer war von der alten Sorte, der war ziemlich streng; da habe ich mir schon bald einmal eine Watsche eingefangen."

Sepp Wackersberger

Die Schoßgeige wird auf dem Tisch gespielt, der auch als Resonanzkörper dient. Man nennt sie deshalb auch Tischgeige.

Das Griffbrett kommt dagegen von einer Zither, deswegen tun sich auch Zitherspieler leichter, Schoßgeige zu lernen als etwa ein Geigenmusiker. Einfach ist es jedenfalls nicht.

"Man muss umdenken, wenn man eine Violine von unten greift. Komplett umdenken. Ein Zitherspieler hat das gleiche Griffbrett, nur noch mit zwei Saiten mehr, ja zwei A-Saiten."

Sepp Wackersberger

Erfunden hat dieses kuriose Instrument 1823 ein Österreicher: Johann Petzmayer aus Wien. Er war ein bekannter Zitherspieler und Komponist und wurde sogar Privatlehrer bei dem Wittelsbacher Herzog Max in Bayern, einem der größten Förderer der bayerischen Volksmusik im 19. Jahrhundert. Beide machten die Zither zu einem bayerischen Nationalinstrument.

Die Schoßgeige dagegen hatte nur eine kurze Blütezeit: besonders im Bauerntheater wurde sie gerne gespielt, etwa von den legendären "Drei Tegernseer Musikanten", dem Reiter Hansl, dem Karl Holl und dem berühmten Kiem Pauli.

So profitierte die Schoßgeige eine Zeit lang von der Berühmtheit des "Tegernseer Trios", durch deren Spiel sie bekannt wurde, und auch das Tegernseer Tal, das sich weit über die bayerischen Grenzen hinaus einen Namen als Heimat der alpenländischen Volksmusik machte.

Für Sepp Wackersberger ist jede seiner vier Schoßgeigen etwas besonderes: eine hat er auf dem Speicher gefunden, die anderen von Leuten erhalten, die damit nichts anfangen konnten. Und erst jetzt wird ihm bewusst, dass er einer der letzten Schoßgeiger ist.

"Es gibt keinen Lehrer mehr. Es ist schade, aber es wird ganz aussterben."

Sepp Wackersberger

Doch der 54-Jährige gibt die Hoffnung nicht auf: Vielleicht, so sagt er, wird später einmal ein jüngeres Mitglied aus seiner Familie dieses Erbe übernehmen und die Tradition eines ungewöhnlichen Instruments fortsetzen, der Schoßgeige.


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