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RAI - Südtirol Ötzi – Der Mann aus dem Eis

Als das deutsche Ehepaar Simon bei einer Bergtour vor fast 25 Jahren auf dem Hauslabjoch Ötzis Mumie fand, ahnte noch niemand, wie wertvoll diese Entdeckung war. Erst als die Forscher Ötzi untersuchten, staunten sie.

Stand: 26.06.2016 | Archiv

Ein Jäger mit Pfeil und BogenBR | Bild: BR

Das Ehepaar Simon

Im Herzen der Alpen wird vor 5300 Jahren ein Mann geboren, dessen Schicksal die Forschung beflügelt und ein einzigartiges Fenster in die Vergangenheit öffnet. Die Alpenvölker beherrschen seit rund 200 Jahren die Herstellung von Kupfer. Dieser Junge wächst mit den Waffen, den Geräten und dem Schmuck des neuen Zeitalters auf: der Kupferzeit. Reichtum, Macht und Missgunst fußen auf dem neuen Metall. Dieser Junge zählt zu den Privilegierten der Kupferzeit. Wir nennen ihn "Ötzi".

Im Herzen der Alpen, auf rund 3200 Metern Meereshöhe, wurde Ötzi gefunden. Über fünf Jahrtausende lang lag die Gletschermumie hier am Tisenjoch im Schnalstal an der Grenze zwischen Österreich und Italien. Am 19. September 1991 kam es in den Ötztaler Alpen zum spektakulären Fund des Eismannes. Ein Fund von unermesslichem Wert für die Wissenschaft.

Die Bergung der ältesten Feuchtmumie der Welt gestaltete sich überaus schwierig. Zirka 1,60 Meter groß war der Mann zu Lebzeiten. Im Alter von 46 Jahren fiel er einem Mord zum Opfer. Doch zum Zeitpunkt der Bergung erahnte niemand die wahre Identität dieser Mumie. Alle kennen die Bilder der Bergung, den aus archäologischer Sicht heute unsachgemäßen Umgang mit Instrumenten wie Eispickel und Skistöcken. Aber man muss natürlich einräumen, dass zu dem Zeitpunkt niemand von dem archäologischen Wert und dem Alter dieses Menschen, dieser Mumie Bescheid wusste. Die Lederfetzen an der scheinbar nackten Mumie wurden vom Bergungstrupp nicht auf Anhieb als Kleidung erkannt. Nicht mal der neolithische Feuersteindolch. So unerwartet kam dieser Fund, den das deutsche Ehepaar Helmut und Erika Simon getätigt hatte.

Die Helfer und der Gerichtsmediziner Rainer Henn dachten zunächst an einen verunglückten Bergsteiger. Dass dieser Tote zu den ältesten Mumien der Welt zählt, hätte man wegen des hervorragenden Erhaltungszustandes auf den ersten Blick nie gedacht. Die sogenannte Feuchtmumie war auf natürliche Weise in einer Schneemulde perfekt konserviert worden. Ötzi hatte braune Augen und die Haut war noch immer elastisch. Trotz Bergungsverletzungen ist die Mumie noch heute in einem insgesamt sehr guten Zustand.

Ötzi ist einer der wichtigsten Mumienfunde, vor allem für diese Gegend. Denn es ist die einzige Mumie aus dieser alten Zeit, von vor über 5000 Jahren, die wir aus dem Alpenraum haben. Es ist somit auch einer der interessantesten Mumienfunde. Er ist sehr gut erhalten. Darum können wir viele Untersuchungen erfolgreich durchführen. Die Mumie ist 5300 Jahre alt.

Viele Fragen stehen im Raum. Wer war der Mann aus dem Eis? Woher kam er?

Er war für das eisige, windige Hochgebirge bestens ausgerüstet. Die Kappe aus Bärenfell schützte Ötzi vor Auskühlung. Die Grasmatte diente als Umhang und bot Schutz vor Wind und Nässe. Die dunklen und hellen Fellstreifen des Obergewandes zeugen von einem Sinn für Ästhetik. Der Lendenschurz, die damalige Unterwäsche, bestand aus weichem Ziegenleder. Risse in der Kleidung reparierte Ötzi mit Bast und Gräsern. An die eng anliegenden Beinlinge nähte er Laschen aus Hirschfell, um sie mit den Schuhen zusammenzuschnüren. Diese hatten eine robuste Sohle aus Bärenfell, waren mit Gras ausgepolstert, das ein geflochtenes Schuhnetz zusammenhielt.

Ötzis Kupferbeil war eine Waffe, ein Werkzeug und ein Statussymbol von unermesslichem Wert für die damalige Zeit. Nur die ranghöchsten Männer trugen ein solches Kupferbeil. Vielleicht waren es Herrscher einer weltlichen Elite. Für schwere Arbeiten waren damals Steinäxte üblich und auch effizienter. Mit dem Kupferbeil hielt Ötzi sicherlich eine seltene Kostbarkeit und große Verantwortung in Händen. Eine solch seltene Axt vom Typ Remedello begleitete ihren Besitzer meist ein Leben lang, bis ins Grab. Das Beil oder die Axt war ein Statussymbol, ein Rangabzeichen bedeutender Persönlichkeiten der damaligen Zeit. Man könnte an Häuptlinge denken, aber auch an Personen, die vielleicht auch sakrale Funktionen hatten. Bis zum Fund des Kupferbeils dachten Forscher, Männer wie Ötzi hätten erst 1000 Jahre später eine derartige Axt angefertigt. Eine Axt, wie sie Ötzi trug, wurde im Südalpenraum häufig auf Bildsteinen verewigt. Die sogenannte Menhire waren ihrerseits Statussymbol und Kultobjekte einer ganzen Gesellschaft, im vierten und dritten Jahrtausend in ganz Europa verbreitet. Wie stilisierte Krieger oder Fürsten stellen Menhire die damaligen Waffen in heroisierender Weise zur Schau. Es wird daran gedacht, dass es sich um Ahnen, um Helden handeln könnte, die damals als Menhire dargestellt worden sind und die für die Personen der Kupferzeit eine verbindende Wirkung hatten. Sie sind ein Identifikationssymbol für die damalige Menschheit gewesen.

In der Bichl-Kirche in Latsch im Vinschgau, dem vermutlichen Siedlungszentrum zu Ötzis Zeit, wurde dieser Menhir entdeckt. Zwar ist dieser Bildstein rund 300 Jahre jünger als Ötzi, doch sein Bildprogramm weicht von der üblichen Darstellung ab. Hier sieht man einen Mann, der anscheinend von hinten erschossen wird. Der Ötzi-Mord, der einging in die Bildsteingeschichten? Alles Spekulation. Zehn Jahre lang glaubten die Forscher, Ötzi sei vermutlich durch einen Wettersturz ums Leben gekommen.

Die Pfeilspitze in Ötzi

Dass tief in seiner linken Schulter die totbringende Pfeilspitze steckte, hatte man bis zum Jahr 2001 übersehen. Erst bei erneuten Untersuchungen konnte man die Feuersteinspitze und die Wunde deutlich ausmachen. Die Todesverletzung ist letztendlich die Durchtrennung der Schlagader, die zum linken Arm führt. Es ist dadurch zu einem sehr starken Blutverlust gekommen, der letztlich zum Tode des Mannes geführt hat. Die Überlebenszeit zwischen der Verletzung und dem Tod ist mit ungefähr 10 bis 20 Minuten einzugrenzen. Die Verletzungen an dieser Mumie sind neben der Pfeilspitze die Verletzungen an der rechten Hand und die Verletzungen am Gesichtsschädel. Sie gehen auf kämpferische Handlungen zurück, die in den letzten 24 Stunden seines Lebens erfolgt sind. Weil er eine große Mahlzeit zu sich genommen hat kurz vor seinem Tod, zeigt, dass er sich relativ sicher gefühlt hat. Aber offensichtlich war jemand dort oder ist ihm gefolgt und hat ihn von hinten erschossen. Es war ein richtiger Mordfall. Wir können leider nicht sagen, warum er erschossen worden ist und von wem, weil wir hierfür gar keine Anhaltspunkte haben.

So bleibt der Kriminalfall Ötzi nach wie vor ein großes Rätsel.

Text: Untertitelung BR 2015

(Wiederholung vom 11.10.2015)

(Dieser Text ist eine stark gekürzte Fassung des vollständigen Beitragstextes, den Sie hier unten herunterladen können.)

Beitragstext Format: PDF Größe: 58,5 KB


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