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BR-München Die Hagelflieger von Rosenheim

Andreas Kotschenreuther ist oft mit seiner Freundin beim Erdbeerpflücken in Nußdorf, in der Nähe von Rosenheim. Der 38-jährige Berufsschullehrer ist Hobbypilot und arbeitet ehrenamtlich bei der Hagelabwehr.

Von: Sabine Schmalhofer

Stand: 26.07.2015 | Archiv

Hagelflieger | Bild: BR

Andreas Kotschenreuther

Das bedeutet: Wenn ein Unwetter droht, muss er spätestens innerhalb einer halben Stunde am Flugplatz sein. Er ist ständig in Kontakt mit dem Wetterdienst und beobachtet die Wolken am Himmel. Heute scheint sich etwas anzubahnen….

"Es kommt von Süden, wahrscheinlich ein Regengebiet, und es könnte sich in dieser schwül-warmen Luft, die wir hier im Feld gerade merken, da könnte es sein, dass schwere Gewitter dabei sind. Das muss sich noch rausstellen, aber wir sind alarmiert."

Andreas Kotschenreuther, Hagelfliegerpilot

Wenige Minuten später: eine Gewitterzelle mit Hagelpotenzial hat sich bildet. Jetzt muss es schnell gehen: Andreas fährt zum nahe gelegenen Flugplatz in Vogtareuth. Dort wartet schon seine Maschine – startbereit für die Hagelabwehr.

"Fliegst du in die Wolken hinein?"

Frage

"Nein, das ist der Irrtum: viele Leute vermuten, wir fliegen in die Wolken. Das machen wir nicht. Das ist gut für uns. Wir werden im vorderen Bereich der Gewitterzelle bleiben, außerhalb der Wolke."

Andreas Kotschenreuther, Hagelfliegerpilot

Es zählt jede Minute: Andreas sollte bei der Gewitterwolke sein, bevor sich große Hagelkörner bilden können. An den Tragflächen seines Flugzeugs befinden sich zwei so genannte Generatoren: darin befindet sich das "Impfmaterial".

Hat Andreas die richtige Flugposition erreicht, setzt er die Mischung aus Silber- und Jodteilchen frei, damit sie durch die Aufwinde in die Wolken hineingezogen werden. Hagelkörner sollen so erst gar nicht entstehen. Aber wie soll das funktionieren?

Die Silberjodidteilchen, hier gelb, bilden in der Wolke viele kleine Kondensationskeime, um die sich die Wassermoleküle gruppieren. Je mehr, umso besser, denn so bleibt es bei kleinen Regentropfen oder Graupeln. Und es bilden sich keine großen Hagelkörner. Die können so groß wie Taubeneier werden – ein Alptraum, nicht nur bei Landwirten.

Hochschule Rosenheim

Deshalb versuchte man schon früher, Hagel künstlich verhindern: Italienische Obstbauern schossen bis in die 70er Jahre mit Sprengstoff gefüllte Raketen in die Luft, um durch die Explosion die Hagelkörner zu zersetzen. Auch im oberbayerischen Rosenheim schossen die Menschen vom Boden aus in die Wolken, bis 1975 die Hagelabwehr mittels Flugzeug gestartet wurde.

Prof. Peter Zentgraf

Andreas ist einer von derzeit fünf Hagelpiloten, die abwechselnd Bereitschaftsdienst schieben. Wichtige Messdaten erhält Andreas in Echtzeit direkt ins Cockpit. Das gehört zu einem mehrjährigen Forschungsprojekt der Hochschule Rosenheim. Die Wissenschaftler wollen die Arbeit des Hagelpiloten effektiver machen.

"Wir sind eine Art Postbote: Wir transportieren die Messdaten des Deutschen Wetterdienstes in das Cockpit des Piloten. Dort sieht er, wo er ist, und dort sieht er, wo die Unwetter sind. Und er kann sich dann orientieren, wie er fliegen soll."

Prof. Peter Zentgraf, Hochschule Rosenheim, Mess- und Regelungstechnik

Die Forscher haben zudem eine App entwickelt, mit der man den Kurs des Hagelfliegers live verfolgen kann. Die Nutzer können außerdem eigene Wetterbeobachtungen schicken und somit wertvolle Daten liefern für das Einsatzgebiet des Piloten.

Die Hagelabwehr wird finanziert von Gemeinden, Landkreisen und privaten Sponsoren. Jährliche Kosten: rund 230.000 Euro. Ob das Geld gut angelegt ist? Viele sagen ja. Doch es gibt auch Kritik. Beim Deutschen Wetterdienst ist man skeptisch.

"Es gibt Fälle, da ist die Hagelabwehr sicher erfolgreich, aber eben nicht in jedem Fall. Und deshalb sind da noch offene Fragen, die man noch untersuchen und erforschen muss."

Volker Wünsche, Deutscher Wetterdienst

Inzwischen ist Andreas nach rund einer Dreiviertelstunde wieder sicher gelandet und bereitet die Maschine sofort für den nächsten Hageleinsatz vor. Es könnten sich an diesem Tag noch weitere Gewitter bilden. Da klingelt das Telefon, seine Freundin Birgit ist dran:

"Ja, es ist ja alles gut. Wir sind wieder gut unten. Und wenn es nur gegraupelt hat in Rosenheim, dann waren wir eigentlich erfolgreich."

Andreas Kotschenreuther

Auch das Erdbeerfeld wurde vom Hagel verschont. Vielleicht lag es ja am Einsatz von Andreas.


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